Sein erstes Spiel als Unparteiischer leitete Armin Raufmann am 8. April 1955. Die Herrenmannschaft des SV Weetzen II traf damals auf den FC Rethen II. Raufmann sprang ein, als der angesetzte Schiedsrichter nicht erschien. „In schwarzer Trainingshose und hellen Tennischuhen“, erinnert er sich lächelnd an jene Premiere als sei es gestern gewesen.
Seither sind sechs Jahrzehnte vergangen. Es hat sich viel getan im Fußball. Raufmann packte Woche für Woche die Tasche und pfiff – Partien ab der Kreisliga abwärts in Hannover Land und Stadt. Ein Referee aus Leidenschaft. 60 Jahre lang.
Nun streifte der 82-jährige letztmalig den Schiedsrichter-Dress über. Er beendete seine Laufbahn dort, wo einst alles begann: auf dem Sportgelände des SV Weetzen bei Hannover - der Abpfiff der Kreisklassen-Partie zwischen dem SV Weetzen II und dem BSV Gleidingen II war für Raufmann der finale Pfiff.
"Ich sehe mich als Vermittler zwischen den Teams. Bevor ich eine Karte zücke, nehme ich mir den Spieler erstmal zur Seite"
„Die Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen“, sagt er. "Ich war immer mit Herzblut Schiedsrichter.“ Aber irgendwann müsse ja Schluss sein. „Bis jetzt hat keiner gemeckert über den Alten an der Pfeife", soweit wolle er es auch nicht kommen lassen.
Mehr als 1100 Begegnungen hat der drahtige Senior auf dem Buckel. Raufmann ist gebürtiger Dessauer; seit 15 Jahren wohnt er in der Deisterstadt, zuvor lebte er in Weetzen, Degersen, Egestorf und Hannover. Der TV Jahn Leveste ist seine Schiedsrichter-Heimat - nach Stationen beim SV Weetzen , SV Gehrden sowie dem TSV Egestorf.
Raufmann liebt den Fußball und seine Rolle dabei: „Ich sehe mich als Vermittler zwischen den Teams. Bevor ich eine Karte zücke, nehme ich mir den Spieler erstmal zur Seite und sage 'Junge, ...'." Verwarnungen und Hinausstellungen sind für ihn das allerletzte Mittel. Er ist ein Mann der Kommunikation und leisen Töne. Einer, der das Spiel angenehm zurückhaltend leitet. Und die neuesten Entwicklungen wie Online-Spieleingaben, Freistoßspray und Torlinientechnik? „Das interessiert mich nicht“, sagt Raufmann. Auf unterer Kreisebene sei das sowieso (noch) nicht relevant.
Seine Ehefrau Helga hat ihn bei seinen Einsätzen stets begleitet. Sie ging zwischenzeitlich spazieren und holte ihn dann pünktlich wieder ab. „Ich habe im Laufe der Jahre viele Dörfer kennengelernt“, erzählt sie schmunzelnd. Es gab auch Situationen, in denen sie sich mutig mit herumpöbelnden Zuschauern auseinandergesetzt hat. „Wenn die sich unflätig über den Schiri geäußert haben, bin ich schon mal hingegangen und habe gesagt „Hey, das ist mein Mann!“
Goldene Verdienstnadel des DFB
Raufmann bereitet die zunehmende Aggressivität auf und abseits des Platzes Sorge. Seit etwa 15 Jahren habe sich das Klima im Fußball extrem verschärft. „Natürlich musste man sich als Schiedsrichter früher auch Kritik und Gemecker anhören, aber kein Vergleich zur heutigen Zeit mit Gewalt und Randale.“ Der 82-Jährige ist tief betroffen von diesem Verfall, „das ist deprimierend und traurig.“
Dennoch hängt der Träger der Goldenen Verdienstnadel des Deutschen Fußball-Bundes die Pfeife mit Wehmut an den Nagel. 60 Jahre Referee - die Wochenenden waren immer verplant. Und nun? „Ich engagiere mich ehrenamtlich in der Denkmalpflege im Deister, wir wandern, unternehmen Radtouren und sind überhaupt sehr aktiv“ – Langeweile kommt im Hause Raufmann sicher nicht auf. Mehrmals jährlich fährt der ehemalige Sparkassen-Angestellte mit seiner Ehefrau nach Sasbachwalden. Dass er dort von 1980 bis 2009 Gast-Schiri in der badischen Liga war, wen wundert's.
Raufmann hat nicht die schillernden Schauplätze des großen Fußballs erlebt. Keine Kameras, kein Rampenlicht. Er ging raus auf die Sportplätze zu den Klubs im Kreis. Wenn er pfiff, schauten 30, 40 Zuschauer zu. Vielleicht 100 bei einem Derby. Trotzdem ist der 82-Jährige eine Schiedsrichter-Legende – in der gesamten Region Hannover.
Autor/-in: Nicola Wehrbein