Bei Blau-Weiß Berolina Mitte sind derzeit 14 Frauen- und Juniorinnen-Teams in allen Altersklassen im Spielbetrieb vertreten. Damit hat der Klub aus der Hauptstadt etwa 300 weibliche Mitglieder – und ist damit in dieser Hinsicht einer der größten in Deutschland. Wie hat der Verein das geschafft? Und welche Lehren können andere Klubs aus diesem Beispiel ziehen? Wir haben bei Andreas Weiss, Abteilungsleiter für Frauen- und Mädchenfußball, nachgefragt.
Die Ausgangslage: Vor der Frauen-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland gab es bei Berolina Mitte nur zwei Juniorinnen-Teams. "Das Turnier hat dann dafür gesorgt, dass immer mehr Mädchen bei uns Fußball spielen wollten. Durch diesen Zulauf entstand fast im Alleingang eine eigene Abteilung für den Mädchen- und Frauenfußball", sagt Weiss. "Im Rückblick war es genau richtig, dass wir damals schon Raum geschaffen haben für Juniorinnen. Denn wir haben gemerkt, dass wir zu diesem Zeitpunkt fast die einzigen waren, die nachhaltigen Mädchenfußball betrieben haben."
Die Problematik: Je mehr Mitglieder*innen der Verein durch sein Engagement im Mädchen- und Frauenfußball gewann, umso enger wurden die Platzkapazitäten. "Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir auf unserem Hauptplatz – dem "Bero" - eine Grenze erreicht hatten. Also mussten wir eine Lösung finden", sagt Weiss. "Wir hatten das Glück, dass wir andere Plätze in unserem Bezirk gefunden haben, auf denen wir unseren Trainingsbetrieb durchführen können. Das war allerdings ein ziemlich harter Kampf, dem wir uns gerne gestellt haben. Wir wachsen an unseren Aufgaben und entwickeln uns weiter."
Die Grundidee: Bei uns wird kein Unterschied gemacht zwischen Junioren- und Männer- sowie Juniorinnen- und Frauenfußball. "Bei uns hat alles denselben Stellenwert. Das ist uns wichtig", sagt Weiss. "Wir wollen ein vielfältiger Verein sein, der allen eine Heimat bietet. Das ist auch daran zu erkennen, dass der Migrationsanteil der fußballspielenden Mädchen und Frauen relativ hoch ist – bei den Jungs und den Männern ist das bei uns übrigens nicht anders."
Das Trainer*innenkonzept: Bei Berolina Mitte wechseln die Trainer*innen nicht mit ihren Teams in den nächstälteren Jahrgang. "Bei uns betreuen die Trainerinnen und Trainer ihre jeweiligen Teams zwei Jahre lang und übernehmen dann die nächste Mannschaft", sagt Weiss. "Natürlich fällt der Abschied nach zwei Jahren beiden Seiten schwer und es gibt dann auch schon mal Tränen. Aber wir sehen den Vorteil, dass wir dadurch eine stabile Struktur haben und unsere Trainerinnen und Trainer Experten für die jeweilige Altersklasse sind." Oder anders ausgedrückt: Eine Trainerin der F-Juniorinnen hat gelernt, wie sie mit Kindern im Alter von sieben und acht Jahren umgehen muss und wie sie ihnen Spaß am Fußball vermittelt. Eine Trainerin bei den C-Juniorinnen hingegen kennt die Sorgen und Probleme von 14-Jährigen und weiß, wie sie diesen begegnen muss.
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Gegen den Drop-out-Effekt: Statistiken zeigen, dass gerade Mädchen im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren dem Fußball den Rücken zukehren. Expert*innen sprechen hier vom Drop-out-Effekt. Dieser kann viele Gründe haben, vor allem natürlich persönliche in einer sehr speziellen Lebensphase. Aber Befragungen zeigen auch, dass die Qualität des Trainings oft ein Grund ist, weshalb ihnen der Fußball keinen Spaß mehr macht und sie sich ein anderes Hobby suchen. Mit dem oben beschriebenen Trainer*innenkonzept hat man bei Blau-Weiß Berolina Mitte gute Erfahrungen gemacht, um den Drop-out-Effekt zu minimieren. "Natürlich zeigt sich auch bei uns, dass Mädchen in dieser Altersgruppe den Verein verlassen. Aber in einem vertretbaren Rahmen", sagt Weiss. Hinzu kommt, dass die Verantwortlichen versuchen, den Trainer*innen eine bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen: "Außerdem ist es unser Anliegen, dass unsere weiblichen Teams, wo immer es möglich ist, auch von Trainerinnen betreut werden. Diese versuchen wir natürlich, immer in unseren eigenen Reihen zu finden", betont Weiss. "Das klappt mal besser und mal schlechter – so ehrlich muss man sein." Eine weitere Maßnahme gegen den Drop-out-Effekt ist es, dass die Verantwortlichen jedes Jahr ein siebentägiges Trainingslager für alle Altersklassen organisieren. "Die Mädels lernen sich kennen und schätzen, die Kleinen schauen zu den Großen auf", sagt Weiss. "Außerdem veranstalten wir jährlich große Auslandsfahrten, zum Beispiel nach Israel, Frankreich, Dänemark und Polen." Vergangenes Jahr wäre eigentlich Norwegen dran gewesen. Aber das hat Corona verhindert.
Am Ball bleiben: Obwohl in dem Verein derzeit ungefähr 300 Mädchen und Frauen Fußball spielen, ruhen sich die Verantwortlichen darauf nicht aus. "Wir bieten beispielsweise in Schulen Fußball-AGs an, um den Mädchen möglichst früh die Gelegenheit zu geben, Fußball zu spielen", erklärt Weiss. "Aber man muss auch sagen, dass wir uns inzwischen einen ganz guten Ruf aufgebaut haben und gar nicht mehr so viel Werbung machen müssen." Es kommen Fußballerinnen aller Altersklassen aus ganz Berlin zu Berolina Mitte.
Das Leistungsprinzip: "In allen Altersklassen sind wir mit Teams in den höchsten Berliner Spielklassen vertreten", sagt Weiss. "Diese Teams sind für die Mädchen und Frauen vorgesehen, die wirklich ambitioniert Fußball spielen und zwei- bis dreimal in der Woche trainieren wollen." Für alle anderen, die einfach ein bisschen Spaß haben und kicken wollen, gibt es ebenfalls Teams. "Uns geht es nicht darum, mit dem Frauenteam in den professionellen Fußball aufsteigen zu wollen", betont Weiss. "Das ist nicht unser Ziel, zumal uns dazu auch einfach die infrastrukturellen Voraussetzungen fehlen." So hatten beispielsweise vor einigen Jahren die B-Juniorinnen die Möglichkeit, in die Bundesliga aufzusteigen. "Wir haben uns aber nach langen Diskussionen dagegen entschieden", sagt Weiss. "Natürlich waren da einige enttäuscht und haben den Verein Richtung Bundesliga verlassen. Aber damit müssen und können wir leben."
Die nächsten Schritte: Bei Berolina Mitte geht es darum, den Mädchen- und Frauenfußball im Verein weiter zu stärken. Dafür investieren die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen viel Zeit und Arbeit. Seit der WM 2011 hat der Klub ein gutes Fundament gelegt, das für beide Seiten ein Gewinn ist: Viele Mädchen und Frauen finden im Verein eine sportliche Heimat. Und der Klub profitiert von seinen weiblichen Mitgliedern, die für Vielfalt in jeder Hinsicht sorgen. Das nächste große Turnier findet möglicherweise 2027 in Deutschland statt. Der DFB bewirbt sich zusammen mit dem niederländischen und belgischen Verband um die gemeinsame Ausrichtung der Weltmeisterschaft. Auf den nächsten Boom, der damit wahrscheinlich ausgelöst würde, werden sich die Verantwortlichen rechtzeitig vorbereiten.
Autor/-in: Martin Schwartz