Neustart |12.08.2021|17:20

Trainertalent Shehabi: Ein Riss, der heilt

Alaa Shehabi wurde von der Stadt Leipzig für sein ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet.[Foto: IntB/Jan Potente ]

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Alaa Shehabi wurde jüngst für sein ehrenamtliches Engagement als Jugendtrainer von Blau-Weiß Leipzig ausgezeichnet. Der Fußball blieb auch nach seiner Flucht aus Syrien die Konstante im Leben. Wir stellen den 35-Jährigen vor, der endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürt.

Es ist nicht gänzlich unvorstellbar, dass man Alaa Shehabi in ein paar Jahren im bezahlten Fußball an der Seitenlinie wiedersehen wird. Alle schwärmen von seiner fußballerischen Kompetenz, von seiner Fähigkeit, andere zu inspirieren. Im Jugendfußball der Stadt Leipzig gilt er als Trainertalent. Der Weg bis zu einem Angebot als Profitrainer ist noch weit und wenn man realistisch ist, stehen die Chancen gegen ihn. Aber weite Wege, schlechte Chancen - das kennt der 35-jährige Syrer ja. 

Alaa Shehabi ist ein Refugee, ein Geflüchteter. Mitten durch sein Leben zieht sich diese Bruchkante. Das Davor und das Danach sind nur mit Bindfäden verbunden. Einer dieser verbindenden Fäden ist der Fußball.

"Ich war 27 Jahre alt, da ging es nicht mehr, da musste ich aus Syrien fliehen", erzählt der schmächtige Mann im Festsaal der Konsumzentrale in Leipzig. Dort wird er heute für sein ehrenamtliches Engagement als Jugendtrainer von Blau-Weiß Leipzig geehrt. Perry Bräutigam ist gekommen, aus München ist DFB-Botschafter Jimmy Hartwig angereist. Vor der Ehrung erzählt er seine Geschichte. "In meinem Leben", sagt Alaa Shehabi, "ist ein Riss. Als ich in Deutschland ankam, musste ich von Null anfangen. Alles, was ich mir in meiner Heimat aufgebaut hatte, war für immer verloren. Das musste ich akzeptieren."

"Der Fußball ist nach wie vor ein großer Teil meines Lebens. Aber er ist nicht mehr der einzige"

Syrische Profiliga und Journalismus-Studium

Sein Vokabular ist umfangreich, er kann auch Nuancen ausdrücken, was mit den Deutschkursen zu tun hat, die er seit 2016 besuchte. Nur wenn er anfängt sehr schnell zu sprechen, fällt es schwerer ihn zu verstehen. Manchmal wenn er über Fußball redet, reißt ihn die Begeisterung mit. Auf dem Podium während der Ehrung lächelt er und sagt: "Ich muss langsamer sprechen."

Alaa Shehabi wuchs im Süden von Damaskus auf. Als 15-Jähriger galt er als ein Talent in Syrien, später spielte er neun Jahre in Al-Wahda, der syrischen Profiliga. Obwohl der Fußball der beliebteste Sport des Landes ist, verdiente man auch vor dem Bürgerkrieg als Profispieler keine Millionengehälter. Er begann ein Journalismus-Studium. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 wurde sein Leben immer komplizierter. Er begann als Korrespondent für einen arabischen Sender tätig zu werden. Er arbeitete freiberuflich als Physiotherapeut. Und er spielte weiter Fußball.

Fast täglich wurde sein Leben bedrohlicher. Während einer Belagerung der Stadt magerte Shehabi von 70 auf 45 Kilo ab. Es gab keinen Strom, oft tagelang kein Wasser, wochenlang nichts zu Essen. Als er aufgrund seiner ehrenamtlichen Arbeit für eine Hilfsorganisation unter Terrorismusverdacht geriert, entschloss er sich, sein Heimatland zu verlassen. Der schlimmste Moment seines Lebens stand ihm da erst noch bevor. In einem Schlauchboot überquerte er das Meer von der Türkei nach Griechenland. "Ins Boot passten sieben Leute. Doch den Schleusern ist das egal. Die kassieren das Geld, dann zwingen sie die Menschen einfach ins Schlauchboot. Wir waren 35 bei der Überfahrt. Da hatte ich Todesangst."

Förderprogramm in Leipzig

Heute lebt Alaa Shehabi in Leipzig, macht eine Ausbildung zum Physiotherapeuten und fünfmal in der Woche steht er auf dem Platz. Dreimal trainiert er die A-Junioren von Blau-Weiß Leipzig. Zweimal trainiert er selbst in der 1. Mannschaft. Dass er es so weit gebracht hat, verdankt er sich selbst und ein wenig auch dem Projekt "Willkommen im Fußball". Fünf Jahre lang konnten über das Projekt Menschen mit einer Fluchterfahrung gefördert werden, beim Erlernen der Sprache, bei der Qualifizierung als Trainer oder Schiedsrichter, bei der Berufsausbildung. Träger sind der Fußballverband der Stadt Leipzig, Projektpartner sind RB Leipzig, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKuJS), die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung sowie die DFL-Stiftung. 

Zum Ende des Jahres läuft die Finanzierung aus. 150 geflüchtete Menschen sind bis heute aufgrund der Förderung ehrenamtlich in einem Fußballverein tätig – eine Win-Win-Situation. David Naujeck, DKuJS-Geschäftsführer, sagt: "Leipzig war bundesweit eines der besten Projekte, ein echter Vorreiter."

Alaa Shehabi erinnert sich an seine ersten zwei Jahre in Sachsen, die Bilder von Krieg und Flucht ließen ihn lang nicht los. Oft wachte er nachts auf. Heute hat er die Bruchkante seines Lebens hinter sich gelassen. Er hat endlich wieder festen Boden unter den Füßen, in einem neuen Land, das immer mehr zu seiner Heimat wird. "Der Fußball ist nach wie vor ein großer Teil meines Lebens. Aber er ist nicht mehr der einzige", sagt Alaa Shehabi, der sich wieder traut zu träumen. Muss ja nicht immer um Fußball gehen.


Während die Politik häufig um sinnvolle Lösungen ringt, geht der Fußball voran. Überall im Land leisten Amateurvereine wertvolle Arbeit zur Integration von Flüchtlingen, kümmern sich mit viel Herzblut um die Schutzsuchenden. Diesem außergewöhnlichen Engagement widmen wir in dieser Woche einen Themenschwerpunkt.

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