Schiedsrichter|28.03.2017|16:48

Im Tandem gegen den Praxisschock

Ungewohntes Bild: Beim Tandem-Schiedsrichter-Projekt stehen zwei Schiedsrichter auf dem Platz. [Foto: BFV]

Natürlich war Michael Kurz aufgeregt, keine Frage. Wie sollte es auch anders sein: Der erste Einsatz als Schiedsrichter ist eben etwas ganz Besonderes. Das gibt Michael, der kurz zuvor seinen Neulingskurs bei der Schiedsrichtergruppe Main-Spessart erfolgreich abgeschlossen hat und nun für den FSV Zellingen pfeift, offen zu. "Auf dem Weg zum Fußballplatz war ich schon sehr nervös", sagt er.

Dort angekommen wartet schon Cihan Arslan auf den damals 13-Jährigen. Cihan ist 19 und pfeift für den FC Wiesenfeld-Halsbach. Als Schiedsrichter hat er es trotz seines jungen Alters bereits bis in die Bezirksliga geschafft. Nun soll Cihan Michael bei seinem Schiedsrichter-Debüt begleiten. Und das nicht neben, sondern auf dem Platz.

Tandem-Schiedsrichter nennt sich das Projekt, das auf eine Initiative der Schiedsrichtergruppe Bad Tölz zurückgeht und mittlerweile in vielen Teilen Bayerns zum Einsatz kommt. Die Idee: Jeder Schiedsrichter-Neuling bekommt bei seinem ersten Einsatz einen erfahrenen Unparteiischen an die Seite gestellt, der ihn direkt auf dem Platz begleitet und während der Premieren-Partie mit wichtigen Tipps versorgt. So soll dem so oft zitierten "Praxisschock", der jungen Schiedsrichtern regelmäßig widerfährt, entgegengewirkt werden. 

"Habe mich sehr sicher gefühlt"

"Der Schwund an jungen Schiedsrichtern, die nach wenigen Einsätzen entnervt aufgegeben haben, war einfach zu groß. Wir wollen mit dem Tandem-Schiedsrichter-Projekt den Neulingen eine Hilfestellung geben, die es bisher in dieser Form nicht gab", erläutert Main-Spessart-Gruppenobmann Bernd Kuger.

Gemeinsam ziehen sich Michael und Cihan um. Sie kennen sich, schließlich ist Cihans Vater Mehmet als Gruppenlehrwart tätig. In der Kabine kommen die beiden daher schnell ins Gespräch. "Der erste Kontakt war unkompliziert. Ich habe erst einmal versucht, Michael die Aufregung zu nehmen", erinnert sich Cihan. Mit Erfolg, wie Michael erklärt: "Cihan war sehr selbstsicher vor dem Spiel. Ich habe gemerkt, dass ich mich mit ihm an meiner Seite wirklich sicher fühlen kann und wusste: Mir kann eigentlich gar nichts passieren."

Gleich zu Beginn erklärt Cihan Michael die Platzwahl. "Es hilft ungemein, wenn man etwas in der Praxis, direkt vor Ort erklärt bekommt", erklärt Michael.

Dann wird es ernst und es geht endlich auf den Platz. Ein Freundschaftsspiel: Die U13-Junioren der JFG Kreis Karlstadt messen sich mit der JFG Spessarttor. Cihan und Michael führen die Teams auf den Platz. Erster Einsatz: die Platzwahl. Natürlich weiß Michael, wie diese abzulaufen hat - das wurde im Schiedsrichterkurs schließlich ausführlich besprochen. Dennoch geht Cihan mit seinem Tandem-Partner noch einmal alles Schritt für Schritt durch. Und das aus gutem Grund, wie Michael erklärt: "Es war schon gut, dass Cihan mir die Platzwahl noch einmal gezeigt hat. Es hilft ungemein, wenn man etwas in der Praxis, direkt vor Ort erklärt bekommt."

Vermittlung von Basics

Cihan pfeift die Begegnung an. So ist das beim Tandem-Schiedsrichter-Projekt. Der erfahrene Referee leitet die erste Halbzeit und der Neuling folgt ihm als "Schattenmann" auf Schritt und Tritt. Die Paragraphenwälzerei ist das eine. Das im Neulingskurs angeeignete Wissen dann aber auch in der Praxis, auf dem grünen Rasen umzusetzen, etwas ganz anderes. Und genau darum geht es beim Tandem-Schiedsrichter-Projekt: Die Basics nicht in der Powerpoint-Präsentation sehen, sondern sie hautnah zu erleben - ohne Druck.

Cihan, der an der Universität Würzburg Wirtschaftswissenschaften studiert, zeigt seinem Begleiter, wie es geht: Wie stellt man eine Mauer richtig? Wie läuft eine Auswechslung genau ab und was muss der Schiedsrichter alles notieren? Was passiert bei einem Foul? Was bei einem Torerfolg? Und vor allem: Wie bewege und positioniere ich mich als Schiedsrichter richtig? "Laufwege sind schwierig und muss man sich über längere Zeit aneignen. Das ist eben etwas, was man dem jungen Schiedsrichter nur direkt auf dem Platz beibringen kann", erklärt Cihan. Und Michael sagt: "Das hätte ich alleine sicherlich nicht so hinbekommen. Cihan hat mir auch gezeigt, dass man ab und zu auch von einem vorgegebenen Laufweg abweichen muss."

Wie stellt man eine Mauer? Was passiert bei einem Foul? All diese Fragen werden beim Tandem-Schiedsrichter-Projekt direkt auf dem Platz geklärt.

Rollentausch in Halbzeit zwei

In der zweiten Halbzeit heißt es dann: Aufgabenwechsel. Michael übernimmt die Verantwortung, Cihan schlüpft in die Rolle des Begleiters. "Das war natürlich noch einmal ein anderes Gefühl, selbst mit der Pfeife auf dem Platz zu stehen. Die Anspannung war im Vergleich zur ersten Halbzeit schon ein bisschen größer", erinnert sich Michael: "Da war ich froh, dass ich Cihan an meiner Seite hatte. Er hat mir schon ein Gefühl der Sicherheit gegeben und hätte ja jederzeit eingreifen können, wenn ich etwas nicht gewusst oder übersehen hätte."

Musste Cihan aber nicht, das Freundschaftsspiel verläuft äußerst fair und geht ohne Probleme über die Bühne. Michael hat es geschafft und seinen ersten Einsatz als Schiedsrichter erfolgreich hinter sich gebracht. Dass das Tandem-Schiedsrichter-Projekt eine sinnvolle Sache ist, steht für ihn außer Frage. "Ich habe definitiv davon profitiert", bilanziert Michael. Und auch Cihan sagt: "Ich habe nach der Partie mal einen Vergleich zu meinem ersten Spiel als Schiedsrichter gezogen und dabei schon gemerkt, dass es ein großer Vorteil ist, bei seinem ersten Einsatz mit einem erfahrenen Schiedsrichter auf dem Platz zu stehen. Weil man eben direkt auf dem Platz Tipps bekommt und nicht erst im Nachgang über bestimmte Situationen redet, die man dann vielleicht gar nicht mehr so auf dem Schirm hat. So sind viele Dinge einfach viel leichter zu verstehen. Ich musste diese Dinge von Spiel zu Spiel ausbessern, was wirklich ein langer Entwicklungsprozess war." Dementsprechend kurz fällt auch die Nachbesprechung der Partie aus. Viel gibt es nicht zu diskutieren, schließlich wurden heikle Szenen direkt auf dem Platz besprochen.

Sicherheit dank Tandem-Projekt

Nur wenige Tage später steht Michael zum ersten Mal alleine auf dem Platz. "Natürlich war ich vor dem Spiel wieder sehr nervös", gesteht er, fügt aber an: "Dann bin ich aber eigentlich relativ locker in die Partie gegangen, denn ich habe mir gesagt: Eigentlich kann dir nichts passieren. Du hast schon eine Halbzeit alleine hinter dich gebracht, dann wirst du auch das Doppelte schaffen." Und so war es auch - dem Tandem-Schiedsrichter-Projekt und Cihan sei Dank.

Seit seinem ersten Einsatz ist fast ein Jahr vergangen und Michael ist immer noch fleißig als Schiedsrichter aktiv. Das soll auch so bleiben, wenngleich er weiterhin selbst mit Begeisterung die Fußballschuhe schnürt. Dem Schiedsrichterwesen und der Pfeife möchte er aber unbedingt treu bleiben. Michael sagt: "Schiedsrichter zu sein, macht mir sehr viel Spaß. Und wenn ich mehr Erfahrung gesammelt habe, dann könnte ich mir auch vorstellen, einmal einen jungen Schiedsrichter im Rahmen des Tandem-Schiedsrichter-Projekts bei seinem ersten Einsatz zu begleiten. Man hilft Neulingen damit auf jeden Fall weiter."