Integration 2.0 |18.06.2017|12:00

Aboumhand: Student, Kicker, Schiedsrichter

Ahmed Aboumhand bei einem seiner ersten Einsätze als Schiedsrichter. [Foto: Alexander Rabe]

Geschichten erfolgreicher Integration durch den Vereinsfußball liest man immer häufiger. In dieser geht es aber noch einen Schritt weiter. Ahmed Aboumhand suchte einen Fußballverein und begann als Spieler beim SV West 03 Leipzig. Jetzt läuft der Marokkaner nicht mehr nur als Spieler auf, sondern auch noch als Schiedsrichter - Integration 2.0.

FUSSBALL.DE: Herr Aboumhand, fühlen Sie sich mittlerweile in Deutschland angekommen?

Ahmed Aboumhand: Ich bin 2010 allein nach Deutschland gekommen und die ersten Monate waren wirklich schwer. Nach dem ersten Jahr Studienvorbereitung bin ich nach München gegangen, habe gearbeitet und auf einen Studienplatz gehofft. Glücklicherweise hat es dann in Leipzig geklappt. Jetzt studiere ich Wirtschaftsingenieurwesen/Elektrotechnik, wohne im Studentenwohnheim, bin gerade Praktikant bei GGB in Espenhain (Gesellschaft für Geomechanik und Baumeßtechnik mbH, Anm. d. Red.) und verdiene so meinen Lebensunterhalt selbst. Also ja, ich bin angekommen, glaube ich.

Was ist mit Ihrer Familie? Besuchen Sie sie regelmäßig?

"Wir hatten Punktspiel und der Schiri hatte nicht seinen besten Tag. Dann habe ich mich gefragt, warum machst du nicht einfach selbst Schiedsrichter?"

Aboumhand: Mindestens einmal im Jahr fliege ich zu meinen Eltern nach Marokko, das brauche ich. Es ist aber nicht mehr wie früher. Es fühlt sich an, als wäre ich in Deutschland und Marokko ein Ausländer. Hier habe ich mir ein neues Leben mit vielen Freunden aufgebaut, die ich durch mein Studium und den Fußball kennengelernt habe. Meine Heimat bleibt aber Marokko.

Apropos Fußball, wie sind Sie zu Ihrem Verein SV West 03 Leipzig gekommen?

Aboumhand: Das erste Mal habe ich mich 2012 mit Fußball beschäftigt. Ich wollte einfach spielen. Zu Hause habe ich auch schon gespielt, aber ein so strukturiertes Ligensystem gibt es in Marokko nicht. Zuerst habe ich mir auf der Website FUSSBALL.DE die ersten Informationen geholt. Mein erster Verein war TuS Leutzsch. Da habe ich bei der zweiten Mannschaft angefangen und mein Trainer Chris Rohde hat die ganze Anmeldung organisiert. Zusammen mit ihm bin ich dann auch zu meinem jetzigen Klub SV West 03 Leipzig gewechselt.

Wie kam es dazu, dass Sie auch noch Schiedsrichter wurden?

Aboumhand: Das war eigentlich Zufall. Wir hatten Punktspiel und der Schiri hatte nicht seinen besten Tag. Dann habe ich mich gefragt, warum machst du nicht einfach selbst Schiedsrichter? Ja, und als ich gemeinsam mit meinem Trainer ein Spiel gucken war, habe ich ihn gefragt, wie man denn Schiedsrichter werden könne. Er hat mich sofort ermutigt, es zu versuchen. Mein Verein war gerade sowieso auf der Suche nach Schiedsrichtern. Und dann sagte er: Gut, dann bist du bei dem nächsten Lehrgang dabei."

Wie ist der Lehrgang denn gelaufen und waren Sie der einzige Teilnehmer mit Migrationshintergrund?

Aboumhand: Ich war der einzige, der nicht in Deutschland geboren ist. Beim ersten Versuch bin ich gescheitert, das war richtig schwer. Die Durchfallquote war richtig hoch. Von 30 Leuten haben es nur fünf geschafft. Es waren ganz viele Jugendliche dabei und die Teilnehmer hatten ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Da fällt es schwer, alle auf ein Level zu bekommen. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, angepasste Schiedsrichterlehrgänge für verschiedene Personengruppen anzubieten. Im zweiten Versuch war es dann natürlich einfacher für mich. Aber auch, weil ich zusammen mit meinem Freund gelernt habe. Mit 54 von 60 Punkten habe ich die Prüfung bestanden und war ziemlich stolz. Insgesamt dauerte der Lehrgang drei Sonntage. Die ersten beiden Tage waren Theorie und am dritten Tag fand der Fitnesstest und die Prüfung statt. Während der Auswertung haben wir noch eine DFBnet-Schulung bekommen.

Wie ging es nach der bestandenen Prüfung dann weiter?

Aboumhand: Als erstes muss man als 4. Offizieller ein Spiel beobachten. Erst danach kann man als Schiedsrichter eingesetzt werden. Die Schiedsrichterausrüstung hat mir mein Verein gestellt.

Wie lange wird es dauern, bis Sie höherklassig pfeifen?

Aboumhand: Da lasse ich mich überraschen. Mein größtes Ziel ist mein Studium und anschließend ein Arbeitsplatz. Trotzdem halte ich mir alles offen. Immerhin haben die meisten Schiedsrichter in der Bundesliga ja auch ganz normale Berufe. Alles ist möglich. Ich erinnere mich an Said Belqola, den marokkanischen Schiedsrichter, der das WM-Finale 1998 zwischen Brasilien und Frankreich gepfiffen hat. Das wäre doch was.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Bleiben Sie in Deutschland?

Ich fühle mich hier sehr wohl. Ohne zu wissen, ob ich zu Hause Arbeit finde, kehre ich nicht nach Marokko zurück. Dann fange ich ja wieder ganz von vorne an. Wenn ich allerdings die Chance bekomme, würde ich gerne zurück in meine Heimat.