Schult: Wandler zwischen zwei Fußballwelten
Christian Schult ist Spielanalyst beim Bundesligaklub Werder Bremen. [Foto: SV Werder Bremen]
Ein Alltag voller Kontraste: Fast zwei Jahrzehnte lang war Christian Schult das taktische Gehirn der TSG Seckenhausen-Fahrenhorst. Beim SV Werder Bremen arbeitet der Norddeutsche als Spielanalyst.
Raus mit Applaus: Nicht nur Nationalspieler wie Bastian Schweinsteiger bekommen Abschiedsspiele, sondern auch Bezirksligaspieler. Die Zuschauer feierten Christian Schult noch lange nach Schlusspfiff seines Abschiedsspiels. Der Mittelfeldspieler war 19 Jahre lang absoluter Kopf der TSG Seckenhausen-Fahrenhorst, eine Art "Bezirksliga-Schweini". Nun hat der 37-Jährige seine Karriere beendet und kickt zukünftig nur noch für die Alten Herren. "Christian war ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Teams, nicht nur aufgrund seiner Tore", erzählt sein Trainer Dirk Hofmann (früher Profi in Dortmund, Unterhaching und Osnabrück) im Gespräch mit FUSSBALL.DE . "In puncto Einsatz, Charakter und Zuverlässigkeit war er absolutes Vorbild für die jungen Spieler."
Sein vorgezogenes Abschiedsgeschenk schnürte "Schulle" am 24. Spieltag. In der 61. Minute köpfte er im Spiel gegen den Favoriten TSV Bassum in Claudio-Pizarro-Manier den wichtigen Siegtreffer zum 1:0 ein. Die TSG legte nach einem Fehlstart in die Rückrunde den Grundstein zum souveränen Klassenerhalt in der Bezirksliga. 2016 war der Verein zuvor wieder in die Bezirksliga zurückgekehrt.
In Zukunft bleibt dem Allrounder nicht nur mehr Zeit für neue Hobbies, sondern auch für die andere Fußballwelt: Er arbeitet als Spielanalyst beim SV Werder Bremen. An der Weser unterstützt er die Trainer bei der Weiterentwicklung der eigenen Nachwuchsteams. Er stellt dazu Videos von Spielen und Trainingseinheiten zusammen. Die Sequenzen filmt er aus einer erhöhten Position . Mittlerweile setzt der SV Werder sogar Drohnen ein. Besonders wichtige Szenen schneidet er mit einer Schnittsoftware zusammen und präsentiert diese auf einem Monitor. Die Trainer sehen sofort, welche Spieler sich gut verhalten und welche nicht die besten Lösungen gewählt haben. Schult erklärt die Unterschiede zum Fußball am TV-Bildschirm: "Fernsehbilder zeigen nur Ausschnitte. Das Scoutingfeed erfasst jedoch zu jeder Zeit alle Feldspieler."
"Ich schaue mir täglich sehr viele Spiele an und achte bewusst auf Details"
Über Sportstudium zum SV Werder
Erstmals mit dem Bereich Spielanalyse in Kontakt kam er im Rahmen seines Sportstudiums an der Sporthochschule Köln. Im Projekt "DFB-WM-Scouting 2010" lernte er, wie Mannschaften sich taktisch verhalten. "Die Einheiten haben mir die Augen für den Fußball und die Systeme geöffnet. Auch auf dem Platz habe ich anschließend bewusster und anders Fußball gespielt", erzählt Schult und denkt ein wenig reumütig an seine Jugend zurück: "Früher war ich doch eher so der Zocker."
Schult kickte zwar nie oberhalb der Bezirksliga, dafür ist er ein sportlicher Allrounder. Beim FTSV "Jahn" Brinkum spielte er Tennis in der Nordwestliga und ist dort immer noch für die Herren 30-Mannschaft aktiv. In seiner Heimat Stuhr nahm er kürzlich sogar am Silbersee-Triathlon teil. Dass er keine Profi-Erfahrung hat, sieht er keineswegs als Handicap. "Ich schaue mir täglich sehr viele Spiele an und achte bewusst auf Details. Außerdem tausche mich mit den Trainern aus. Mein taktisches Verständnis hat sich dadurch schnell und permanent verbessert", erklärt Schult. Zudem kämen viele technische Dinge hinzu. Beispielsweise arbeite er regelmäßig mit neuer Software. Er beschreibt, welche Eigenschaften einen guten Spielanalysten neben einem taktischen Auge auszeichnen: "Diskretion, Zuverlässigkeit und Empathie."
Zum SV Werder Bremen fand Schult vor etwa sechs Jahren. 2012 absolvierte er an der Weser ein neunmonatiges Praktikum. Die Grün-Weißen übernahmen ihn anschließend. Unter anderem tauschte er sich anfangs mit Florian Kohfeldt aus, der gerade Co-Trainer der U 17 war. Seit der Shootingstar die Profis übernahm, hält Schult den Kontakt zum Profiteam vorwiegend über Mario Baric. Der 33-jährige Chefanalyst war früher u.a. beim MSV Duisburg Co-Trainer und Spielanalyst unter Milan Sasic. Schult arbeitet den Trainern der Profi- und Nachwuchsteams in erster Linie zu.
"Ballbesitzfußball führt auf Dauer zum Erfolg"
Nur in Ausnahmefällen ist er bezüglich deren Taktik anderer Meinung. Seine Spielphilosophie passt perfekt zum Werder-Konzept. Entgegen dem WM-Trend hat er es gerne, wenn die eigene Mannschaft aktiv ist, den Ball haben will und den Gegner laufen lässt. "Auf Dauer glaube ich, dass zielgerichteter Ballbesitzfußball zum Erfolg führt", erklärt er. "Der ballführende Spieler muss den Mut haben, einen gefährlichen Ball in die Tiefe zu spielen oder situativ ins Eins gegen Eins zu gehen." Genau diese Angriffslust habe Mannschaften wie Spanien und Deutschland bei der Weltmeisterschaft gefehlt: "Die haben sich hinten mit acht Mann den Ball hin- und hergeschoben, weil sie Angst hatten, ihn zu verlieren."
Obwohl die Unterschiede zwischen Bundes-und Bezirksliga riesig sind, ist Schult fest davon überzeugt, dass man auch in unterklassigen Ligen taktische Dinge schulen und anschließend gezielt umsetzen könne. Er gibt ein Beispiel: "Viele Torhüter wählen den langen Abstoß, wenn der Gegner die Verteidiger mit zwei Stürmern zustellt. Das kann man aber durchaus spielerisch lösen, wenn sich die Innenverteidiger etwas anders positionieren."
Bei seinen Analysefähigkeiten ist es fast logisch, dass es im Amateurbereich Vereine gab, die ihn gerne als Trainer an der Seitenlinie gesehen hätten. Der Werderaner möchte nichts ausschließen, sagt aber deutlich, dass er dafür derzeit nicht die Zeit habe. Als Spieler kam für ihn ein Vereinswechsel sowieso nie ernsthaft in Frage. "Mein Umfeld ist Ausgleich für mich. Zudem konnte ich bei der TSG viele taktische Ideen austesten", erklärt er, "das wäre woanders nicht so einfach möglich gewesen." Nur 2014 überlegte er kurz zu gehen, als viele Spieler den Verein verließen.
Dass Schults Erfahrung fehlt, sah man in den ersten drei Spielen, in denen nur ein Punktgewinn gelang. Immerhin: Am 4. Spieltag holte die TSG den ersten Dreier – 1:0 beim TuS Sudweyhe. Sein Trainer ist Realist, möcht aber die Hoffnung nicht restlos aufgeben, dass sein früherer Schützling vielleicht doch nochmal in einzelnen Partien das Trikot der ersten Herren überstreift. Schult möchte den Bezirksligavorhang noch nicht komplett schließen: "Wir unterstützen uns bei der TSG immer gegenseitig. Daher stehe ich für Einzelfälle gerne zur Verfügung."