SG Andernach: Amateurklub mischt 2. Liga auf
Der Aufsteiger sorgt in der 2. Frauen-Bundesliga für Aufsehen: die "Bäckermädchen" der SG 99 Andernach.[Foto: imago images / Hartenfelser]
Als "Bäckerjungen-Stadt" ist Andernach bekannt. Laut einer Sage wehrten im Mittelalter zwei Bäckerjungen durch gezielte Bienenkorbwürfe einen feindlichen Angriff ab. Aktuell sorgen die "Bäckermädchen" aus Andernach in der 2. Frauen-Bundesliga für Aufsehen. Als Aufsteiger belegt die SG 99 nach sieben Spieltagen den fünften Tabellenplatz und tritt heute (ab 11 Uhr) zum Topspiel bei Spitzenreiter Bremen an.
"Wir genießen den Blick auf die Tabelle, wissen aber auch, dass es für uns als Neuling nach wie vor nur um den Klassenverbleib geht", sagt Karl-Peter "Kappy" Stümper (63), der als Teamchef und Trainer entscheidenden Anteil am Andernacher Erfolg hat, im Gespräch mit FUSSBALL.DE . Noch in der vergangenen Saison waren Stümpers Töchter Isabelle (33), die mit Vater "Kappy" auch das Trainergespann bildet, und Jasmin (31) als Spielerinnen am Aufstieg beteiligt. Inzwischen greifen sie nur noch sporadisch auf dem Feld ein.
Stümpers Zurückhaltung beim Blick auf das Saisonziel kommt nicht von ungefähr. Schließlich war die SG 99 Andernach schon 2017 erstmals in die - damals noch zweigleisige - 2. Frauen-Bundesliga aufgestiegen. In der Süd-Staffel sammelte das Team aus der 30.000-Einwohner-Kommune im Landkreis Mayen-Koblenz allerdings in 22 Partien lediglich 14 Punkte und musste als Tabellenvorletzter den Gang zurück in die Regionalliga Südwest antreten. Die mögliche Qualifikation für die damals neu eingeführte eingleisige 2. Frauen-Bundesliga wurde deutlich verfehlt. "Damals war unser Kader qualitativ und quantitativ nicht breit genug aufgestellt", sagt Teamchef Stümper im Rückblick.
Das sieht in dieser Saison ganz anders aus. Es konnten nach dem Aufstieg alle Leistungsträgerinnen gehalten werden, außerdem kamen einige vielversprechende Zugänge hinzu. Insgesamt umfasst der Kader aktuell 27 Spielerinnen. Wer nicht in der 2. Bundesliga eingesetzt wird, sammelt in der zweiten Mannschaft (Rheinlandliga) wertvolle Spielpraxis. Das macht sich positiv bemerkbar.
"Wir genießen den Blick auf die Tabelle"
Meisterfeier auf Mallorca
So wurde schon die abgelaufene Spielzeit 2018/2019 zu einer Erfolgsgeschichte. Mit einem spektakulären 6:3 gegen den Mitabsteiger TSV Schott Mainz sicherte sich die SG 99 Andernach bereits zwei Spieltage vor dem Saisonende und mit acht Punkten Vorsprung vor dem 1. FFC Niederkirchen die Meisterschaft in der Regionalliga Südwest. Mit entsprechend viel Selbstvertrauen reisten Stümper und Co. in die Hauptstadt zum 1. FC Union Berlin, dem Meister der Regionalliga Nordost, um dort das erste von zwei Aufstiegsspielen zu absolvieren. Im Hinspiel erkämpften die "Bäckermädchen" dank eines Treffers von Laura Weinel in der Nachspielzeit (90.+3) noch ein 1:1 und verschafften sich damit eine günstige Ausgangsposition. Im Rückspiel im heimischen Stadion am Bassenheimer Weg machten Antonia Hornberg und Eva Langenfeld den Aufstieg dann mit ihren Treffern zum 2:0-Heimsieg perfekt. Zum Abschluss der erfolgreichen Spielzeit reiste der komplette Kader für vier Tage nach Mallorca und feierte auf der Baleareninsel den Aufstieg.
Zu Beginn dieser Spielzeit hat sich bei der SG Andernach einiges verändert. Die bisherige Spielertrainerin Isabelle Stümper will nur noch im Notfall auf dem Feld einspringen, bildet jetzt mit ihrem Vater ein gleichberechtigtes Trainergespann. Als "Kappy" Stümper während der Vorbereitung wegen einer Hüft-Operation für längere Zeit ausfiel, lag erstmals sehr viel Verantwortung auf Isabelles Schultern. "Sie hat mich hervorragend vertreten und ihre Sache mit Bravour gemeistert", sagt Vater Stümper voller Stolz. Sehr gut eingeschlagen haben die insgesamt elf Zugänge. So hat sich Angreiferin Alina Wagner (zuvor TuS Wörrstadt) auf Anhieb als Stammspielerin durchgesetzt. Mittelfeldspielerin Marie Schäfer spielt regelmäßig, die ebenfalls vom SC 13 Bad Neuenahr verpflichteten Magdalena Lang und Carolin Dillenburg sowie Celine Dickopf (SV Rengsdorf) sind auf einem guten Weg.
Mit den Schwestern Kathrin (23) und Julia Schermuly (20), die zuvor für den FSV Hessen Wetzlar bereits in der 2. Frauen-Bundesliga am Ball waren, konnte die SG Andernach außerdem zwei bereits etablierte Spielerinnen für sich gewinnen. Sie erwiesen sich – wie erhofft - als wertvolle Verstärkungen, kamen in allen sieben Partien zum Einsatz. Kathrin ist mit vier Treffern auch die erfolgreichste Torschützin. "Beide wohnen in der Nähe von Limburg und hatten nach dem Abstieg mit Hessen Wetzlar eine neue Herausforderung gesucht", sagt "Kappy" Stürmper, der 30 Jahre lang Grundschul-Rektor war und nun als Regierungs-Schuldirektor bei der Schulaufsicht arbeitet. Isabelle geht beruflich den gleichen Weg wie ihr Vater, ist aktuell als Grundschullehrerin tätig.
Duell gegen Tabellenführer
Während der Vorbereitung hatte sich Trainerin Isabelle Stümper für die Eingewöhnung der Neuzugänge etwas ganz Besonderes einfallen lassen. So wurde ein komplettes Wochenende zu einer Stadtrallye in kleinen Gruppen als Teambuilding-Maßnahme genutzt, um die Menschen und die Stadt näher kennenzulernen. Dabei mussten die Spielerinnen in einem Punktesystem mehrere Stationen anlaufen und dort verschiedene Aufgaben erledigen. Als Beweis wurden die Aktionen gefilmt oder ein Foto gemacht. So wurden auf dem Marktplatz Passanten angesprochen, die mit der Gruppe die Vereinshymne singen mussten. Am Rheinufer mussten die Gruppen einen Ball jonglieren. "Die von mir ausgedachte Rallye wurde von der Mannschaft sehr gut angenommen und hat ihren Zweck voll erfüllt", erklärte Isabelle Stümper gegenüber FUSSBALL.DE .
Dennoch missglückte der Saisonstart. Aufsteiger Andernach musste gegen den VfL Wolfsburg II (2:5) und beim SV Meppen (0:2) die ersten beiden Niederlagen hinnehmen. "Kappy" Stümper sah aber auch dabei schon positive Ansätze: "Gegen Wolfsburg waren wir beispielsweise dem 3:3 ganz nah, haben dann aufgemacht und noch zwei Treffer kassiert." Schnell sollten sich die guten Leistungen auch in den Ergebnissen widerspiegeln. Vier der folgenden fünf Partien wurden gewonnen, nur gegen den FSV Gütersloh (2:3) gingen die Rheinländerinnen noch einmal leer aus. Vor allem die neu zusammengestellte Offensive kam zuletzt immer besser in Schwung. "Die Mannschaft belohnt sich jetzt regelmäßig für ihren Aufwand, hatte auch das nötige Matchglück, das wir in der damaligen Abstiegssaison nicht hatten", sagt Karl-Peter Stümper, der seine Tochter noch einige Zeit unterstützen möchte. "Isabelle wird aber immer mehr in die Verantwortung genommen", sagt er: "Ich bringe die Routine ein und Isabelle ist auf dem neuesten Stand ausgebildet." Um dem angestrebten Klassenverbleib noch näherzukommen, hoffen nicht nur die Stümpers am Sonntag in Bremen auf eine weitere Überraschung. Wie schreibt die SG 99 Andernach doch auf ihrer Facebookseite? "Die Bäckermädchen zeigen sich von ihrer besten Seite." Das soll jetzt möglichst auch der Ligaprimus zu spüren bekommen.
FUSSBALL.DE wird die Partie zwischen Werder Bremen und der SG Andernach heute ab 11 Uhr in Kooperation mit Soccerwatch.tv im Livestream zeigen. Zum Stream.