Irres Derby: 4:1, 4:5 und Remis in der 90.
Schlusspunkt eines völlig verrückten Derbys: Eckmannshausen gleicht kurz vor Abpfiff per Strafstoß aus.[Foto: SV Eckmannshausen]
"Dieses Spiel wird bei uns wohl nie in Vergessenheit geraten und noch in einigen Jahren jede Menge Gesprächsstoff bieten!" Wenn Matthias Friedrich (29), Spielertrainer beim SV Eckmannshausen in der Kreisliga B Siegen-Wittgenstein, über das spektakuläre 5:5 im Derby gegen den SV Grün-Weiß Eschenbach spricht, dann folgt ein Superlativ auf den nächsten.
Kein Wunder. Schließlich hatte das turbulente Duell auf dem Kunstrasenplatz im 800-Einwohner-Stadtteil von Netphen im Siegerland nicht nur zehn Tore, sondern auch 70 Minuten Unterzahl, eine zwischenzeitlich 4:1-Führung, einen 4:5-Rückstand, eine Rote und eine Gelb-Rote Karte, ein Eigentor und drei Foulelfmeter zu bieten. Mehr Unterhaltungswert geht kaum. Zum Ende des Jahres blickt FUSSBALL.DE auf außergewöhnliche Momente im deutschen Amateurfußball zurück.
Matthias Friedrich, im Hauptberuf in der Produktentwicklung eines Unternehmens aus der Automobil-Industrie tätig, kann sich noch bestens an die Ausgangsposition vor der Partie des 2. Spieltags gegen den Nachbarn aus Eschenbach (etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernt) erinnern. "Wir hatten uns für das Spiel auf jeden Fall besonders viel vorgenommen", betont er.
Das hatte gleich mehrere Gründe: Zunächst musste der SV Eckmannshausen als Aufsteiger zum Saisonauftakt Lehrgeld zahlen (1:6 beim TSV Weißtal II). Hinzu kam nur vier Tage vor dem ersten Aufeinandertreffen mit dem Lokalrivalen SV Grün-Weiß Eschenbach in einem Punktspiel "seit gefühlten Jahrzehnten" (Friedrich) eine unglückliche 2:3-Heimniederlage im Kreispokal gegen den SV Dreis-Tiefenbach, einen weiteren Ligakonkurrenten und Lokalrivalen. "Deshalb wollten wir es gegen Eschenbach unbedingt wissen", so Matthias Friedrich, der erst vor Saisonbeginn vom spielenden Co- zum Spielertrainer aufgerückt war und als zentraler Mittelfeldmann auch auf dem Platz in Eckmannshausen die Fäden zieht.
"Ich hoffe auch, es kommt nicht mehr allzu oft vor. Das muss ich gerade als Trainer nicht mehr haben"
Rote Karte und Rückstand
Vor 150 Zuschauer*innen begann das Netphener Derby für Eckmannshausen alles andere als optimal. Verteidiger Tobias Fenner zog nach gut 20 Minuten gegen seinen Gegenspieler im Strafraum die "Notbremse", sah die Rote Karte und Toni Schäfer verwandelte den fälligen Foulelfmeter zur 1:0-Führung für Eschenbach. So weit, so normal.
Den dezimierten Gegner hinderte das aber nicht daran, plötzlich aufzudrehen. "Gerade wegen des Rückstands und der 70 Minuten Unterzahl hat sich bei uns eine Jetzt-erst-Recht-Stimmung breitgemacht", berichtet Spielertrainer Friedrich. Das sollte sich auch im Ergebnis schnell bemerkbar machen. Nach einem Freistoß und per Strafstoß schnürte Jan Henrichs (37./45.) einen Doppelpack und brachte die Gastgeber in Führung. "Dass wir das Spiel in Unterzahl so schnell drehen konnten, hat uns noch einmal einen Kick gegeben", so Friedrich.
"Geile Hütte": Linksfuß trifft mit rechts
Das galt nicht zuletzt für den eigentlichen Linksfuß Jan-Christopher Rosin, der den Ball mit seinem schwächeren rechten Schlappen aus mehr als 20 Metern zum 3:1 in den Torwinkel schweißte (53.). "Dieses Ding macht er so mit Sicherheit nicht noch einmal", sagt sein Trainer mit einem Augenzwinkern. Im Live-Ticker des B-Kreisligisten schrieb der sonst eher zurückhaltende Kommentator: "Was für eine geile Hütte!"
Spätestens, als Angreifer Julian Koch (66.) dann auch noch einen kapitalen Abwehrschnitzer der Eschenbacher zum 4:1 nutzte, schien der ersehnte Derbysieg für den SV Eckmannshausen zum Greifen nah. "Genau das war das Problem", so Matthias Friedrich: "Danach haben wir wohl alle gedacht, das dürfte reichen."
Doch weit gefehlt. Denn jetzt wurde es erst richtig verrückt. Eine Mischung aus der nachlassenden Konzentration und des Kräfteverschleißes aufgrund der "englischen Woche" und der langen Unterzahl sorgte dafür, dass die Partie plötzlich kippte. Innerhalb von nur vier Minuten glich Eschenbach durch Marvin Weber (71.), ein Eigentor von Marvin Stephan (73.) und den eingewechselten Benedikt Durgut (74.) zum 4:4 aus.
"Laut Spielbericht waren es vier Minuten. Mir selbst kam es so vor, als wären es keine 60 Sekunden gewesen", sagt Matthias Friedrich und kann es selbst immer noch nicht fassen. "Plötzlich konnte man die Zahnräder in den Köpfen regelrecht hören. Jeder hatte Angst davor, das Spiel sogar noch zu verlieren."
Elfmeter und Torhüter retten Remis
Das wäre auch fast passiert, denn Luca Maciewsky (84.) stellte den Spielverlauf in der Schlussphase mit dem Tor zum 4:5 komplett auf den Kopf. Erst ein - wie Eckmannshausens Trainer selbst einräumt - "zumindest fragwürdiger Foulelfmeter", den erneut Jan Henrichs (90.) souverän zum 5:5-Endstand verwandelte, bescherte den Gastgebern zumindest einen Punkt. Und das auch nur, weil Torhüter Ben Tomaszek in der Nachspielzeit noch mit einer "überragenden Parade" einen weiteren Gegentreffer verhinderte.
"Unsere Jungs waren nach dem 5:5 weiter nach vorne gestürmt, um möglichst noch das Siegtor zu erzielen. Das ist zwar grundsätzlich löblich, wäre aber beinahe schiefgegangen und beschert dem Trainer graue Haare", so Friedrich. Herrschte unmittelbar nach dem Abpfiff noch Erleichterung vor, zumindest ein Remis gerettet zu haben, kam später dann doch die Enttäuschung darüber durch, dass seiner Mannschaft der schon greifbar nahe Derbysieg noch wie ein nasses Stück Seife aus den Händen geglitten war.
"Ein solches Spiel hatte ich zuvor wirklich noch nie erlebt", sagt Matthias Friedrich - und fügt gleich hinzu: "Ich hoffe auch, es kommt nicht mehr allzu oft vor. Das muss ich gerade als Trainer nicht mehr haben."
Positivserie und neue Stabilität in der Abwehr
Immerhin scheint sein Team aus dem Zehn-Tore-Spektakel gelernt zu haben. In den folgenden fünf Begegnungen bis zur Corona-Zwangspause blieb der SV Eckmannhausen ungeschlagen, kassierte insgesamt nur noch vier Gegentore und setzte sich ein Stück von der Gefahrenzone der Liga ab.
Obwohl es im neuen Jahr - auch wegen des oft strengen Winters im Siegerland - wohl frühestens Ende Februar weitergehen wird, arbeitet Matthias Friedrich daran, seine Spieler in Form zu halten. "Wir haben gerade eine Fitness-Challenge mit Wettkampf-Charakter ins Leben gerufen. Da will sich keiner eine Blöße geben, alle ziehen voll mit", berichtet der Trainer. Gemeinsames Training im "Home-Office" kann eben genauso zusammenschweißen wie ein außergewöhnliches Derby mit allen möglichen Höhen und Tiefen.
Ihr hattet in diesem Jahr ähnliche Erlebnisse auf dem Platz? Ihr habt außergewöhnliche Top-Torjäger*innen in Euren Reihen? Ihr habt unvergessliche Derbys gespielt oder beeindruckende Serien hingelegt? Dann schickt uns eine Mail an fussball.de@dfb.de oder eine DM bei Instagram. Wir freuen uns auf Eure Nachrichten!