Angreiferin|03.12.2022|17:45

Lyn Meyer: Nachtschichten für Torjägerkanone

Lyn Meyer: "Als Stürmerin ist es immer angenehm, eine solche Trefferquote vorweisen zu können."[Foto: Imago]

Von der FLYERALARM Frauen-Bundesliga bis zur 4. Liga war Lyn Meyer bereits in jeder Spielklasse vertreten. Insgesamt neunmal stand die 28 Jahre alte Angreiferin für den VfL Wolfsburg in der höchsten deutschen Spielklasse auf dem Platz. Jetzt führt die Polizeibeamtin als Stürmerin von Eintracht Braunschweig in der Oberliga Niedersachsen mit 25 Treffern die Wertung zur Torjägerkanone für alle an.

Im FUSSBALL.DE -Interview spricht die frühere U 17-Nationalspielerin über ihre besondere Freude auf die Winterpause, den guten Lauf mit der Eintracht, alte Verbindungen mit DFB- Kapitänin Alexandra Popp sowie den Spagat zwischen Fußball und Beruf.

FUSSBALL.DE: Das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu. Was überwiegt derzeit: Freuen Sie sich auf Weihnachtszeit und die Fußballpause oder sind Sie eher traurig, dass in diesem Kalenderjahr nur noch zwei Spiele stattfinden werden?

Lyn Meyer: Da bin ich tatsächlich ein wenig zwiegespalten. Da ich nach wie vor sehr gerne auf dem Platz stehe, blicke ich mit einem weinenden Auge der Winterpause entgegen. Auf der anderen Seite tut uns eine Unterbrechung aber auch mal ganz gut. Besonders die Weihnachtszeit wird in diesem Jahr eine ganz besondere. In einigen Woche werde ich nämlich zum ersten Mal Tante und freue mich, Zeit mit der Familie zu verbringen.

"Ich versuche immer wieder, die Mädels zur Seite zu nehmen und ihnen Ratschläge mit auf den Weg zu geben."

Mit Eintracht Braunschweig läuft es in dieser Saison in der Oberliga ausgezeichnet. Ist das Team bereit für den Aufstieg in die Regionalliga Nord?

Meyer: Das hoffe ich doch. Auf jeden Fall steckt eine Menge Potenzial in der Mannschaft. In den vergangenen Jahren hatten wir immer wieder Pech mit Verletzungen und fehlenden Mitspielerinnen, so dass es uns bislang noch nicht gelungen ist, den Aufstieg zu realisieren. In dieser Spielzeit sehe ich uns gut gewappnet. Auch die verletzungsbedingten Ausfälle von Ronja Riemer, die sich einen Kreuzbandriss zugezogen hat, und unserer Kapitänin Victoria Wiedermann konnten wir bislang gut abfedern.

Bereits 63 Tore hat die Eintracht markiert und im Gegenzug nur zehn Treffer kassiert. Was sind die Gründe, dass es so gut läuft?

Meyer: Ich vermute, dass bei uns bereits zu Saisonbeginn der späte Ausgleichstreffer zum 2:2 in unserem zweiten Spiel beim TSV Limmer, den ich für einen extrem starken Konkurrenten halte, neue Energien freigesetzt hat. Obwohl wir mindestens den einen Punkt verdient hatten und zwischenzeitlich 1:2 zurücklagen, haben wir nie die Köpfe hängengelassen. Das zieht sich seitdem durch die Saison. Wichtig ist vor allem, dass wir nicht auf die individuelle Leistung einer einzelnen Spielerin angewiesen sind. Ganz im Gegenteil: Wir funktionieren als gesamte Einheit sehr gut. Die Chemie innerhalb der Mannschaft stimmt, auch wenn teilweise zwei Generationen aufeinanderprallen. Schließlich liegen zwischen Victoria Wiedermann und unserer jüngsten Mitspielerin, Aurelia Tillmann, fast 20 Jahre Altersunterschied. Vicky könnte also schon fast ihre Mama sein. (lacht)

Sie liegen mit Ihren 28 Jahren irgendwo dazwischen. In welcher Rolle sehen Sie sich?

Meyer: Auch ich werde älter und die Jahre hinterlassen ihre Spuren. (lacht) Aber im Ernst: Auch wegen meiner Erfahrung in höheren Ligen zähle ich mich auf jeden Fall zu den älteren​ Spielerinnen. Ich versuche immer wieder, die Mädels zur Seite zu nehmen und ihnen Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Im Gegenzug freut es mich auch, wenn ich Kritik von meinen jüngeren Mitspielerinnen erhalte. Ich finde es wichtig, dass sich jeder in unseren Trainingseinheiten und Spielen einbringen kann.

Sie selbst haben einen großen Anteil am Erfolg Ihres Teams. Wie bewerten Sie die bisherige Spielzeit mit 25 Toren nach nur elf Begegnungen?

Meyer: Als Stürmerin ist es immer angenehm, eine solche Trefferquote vorweisen zu können. Und ich freue mich vor allem darüber, der Mannschaft mit meinen Toren zu helfen, die gesetzten Ziele zu erreichen. Aber ich muss auch realistisch bleiben: Ohne meine Teamkolleginnen hätte ich keineswegs eine so gute Ausbeute. Ich finde es schade, dass der Erfolg oftmals auf eine Spielerin heruntergebrochen wird.

Mit Ihrer Trefferquote sind Sie derzeit eine chancenreiche Anwärterin auf die Torjägerkanone für alle. Welchen Stellenwert hat diese Auszeichnung für Sie?

Meyer: Um ehrlich zu sein, war das bislang noch gar kein Thema. Mein Vater hatte mich erst kürzlich auf die Torjägerkanone für alle aufmerksam gemacht. Es wäre sicherlich eine herausragende Ehrung, wenn es soweit kommen sollte. Viel wichtiger ist aber der Erfolg mit der Mannschaft. Wenn am Ende meine Sturmpartnerin Gesa Radtke, die auch schon 18 Treffer erzielt hat, ganz oben stehen und wir den Aufstieg in die Regionalliga schaffen sollten, dann freue ich mich mindestens genauso sehr. Wer die Tore macht, ist egal. Hauptsache, sie fallen.

Sie wurden in der Nachwuchsabteilung des 1. FFC Turbine Potsdam ausgebildet, gewannen dort dreimal in Folge die B-Juniorinnen-Meisterschaft und wurden Junioren-Nationalspielerin. Wie blicken Sie auf Ihre Anfänge zurück?

Meyer: Es war eine extrem tolle und vor allem auch lehrreiche Zeit in Potsdam. Ich war schon mit zwölf Jahren von zu Hause ausgezogen und kam im Internat des 1. FFC Turbine unter. Plötzlich war nicht mehr Mama da, die einem in allen Angelegenheiten geholfen hat. Daher hat mich diese Situation gestärkt. Es gab allerdings auch Zeiten, in denen es schwierig war. Zu Beginn habe ich es noch geschafft, an jedem Wochenende nach Hause zu fahren. Als ich dann zur U 17 hochgezogen wurde und zum ersten Mal in Potsdam bleiben musste, kann ich mich noch gut erinnern, dass auch die eine oder andere Träne geflossen ist. (lacht) Rückblickend war es aber eine hervorragende Erfahrung.

Es folgten fünf Jahre beim VfL Wolfsburg, in denen Sie vor allem für die zweite Mannschaft am Ball waren, zwischenzeitlich aber auch in der Bundesliga. Unter anderem spielten Sie gemeinsam mit den Nationalspielerinnen Alexandra Popp und Joelle Wedemeyer. Wie gut ist noch Ihr Kontakt zu Ihren früheren Mitspielerinnen?

Meyer: Wir hatten erst kürzlich ein Freundschaftsspiel gegen die zweite Mannschaft des VfL Wolfsburg ausgetragen. Unter anderem kam auch Joelle für den VfL zum Einsatz. Vor und nach dem Spiel haben wir uns unterhalten. Aus Fußballersicht prallen allerdings zwei verschieden Welten aufeinander, wenn wir mit Eintracht Braunschweig gegen Wolfsburg spielen. Aber auch dort hatte ich eine tolle Zeit. Die Erfahrungen, die man sammelt, und neue Orte, die man erkundet, hat man so schnell ja sonst nirgends. Auch von Alexandra Popp konnte ich eine Menge lernen. Es freut mich sehr, dass sie nach zahlreichen Verletzungen immer wieder zurückgekommen ist. Sie ist eine herausragende Fußballerin.

Wie schwer ist Ihnen damals der Abschied aus Wolfsburg gefallen?

Meyer: Wenn man fünf Jahre für einen Verein im Einsatz ist, hinterlässt es sicherlich auch Spuren. Leider haben mir immer wieder schwerwiegende Verletzungen einen Strich durch ​ die Rechnung gemacht. Als ich mir das Sprunggelenk gebrochen hatte, musste ich mehrmals unter das Messer. Nach der dritten Operation habe ich dann für mich festgestellt, dass sich der Aufwand nicht mehr lohnt. Ich musste Prioritäten setzen. Zu diesem Zeitpunkt war es mir wichtiger, eine finanzielle Sicherheit zu haben. Wenn ich ein Mann wäre, sähe das vielleicht anders aus.

Wie meinen Sie das?

Meyer: Es ist nun einmal so, dass im Frauenfußball selbst viele Bundesligaspielerinnen nicht immer von ihrem Gehalt leben können. Es hat sich mittlerweile zum Glück schon deutlich verbessert. Allerdings üben noch immer sehr viele Fußballerinnen zusätzlich einen Beruf aus, um über die Runden zu kommen. Welcher Arbeitgeber macht es dann schon mit, wenn man dreimal jährlich operiert werden muss, um Fußball spielen zu können? Würde ich das Gehalt eines männlichen Profifußballers verdienen, wäre das natürlich anders. Dann hätte ich nicht den Druck, nebenbei einen Beruf ausüben zu müssen.

Wie gut lässt sich denn Ihr aktueller Job als Polizeibeamtin mit dem Oberligafußball in Einklang bringen?

Meyer: Manchmal ist es auch auf dieser Ebene durchaus schwierig, beides unter einen Hut zu bringen. In dieser Saison habe ich zum Glück noch kein Spiel wegen meines Jobs verpasst. Das liegt aber auch daran, dass ich die eine oder andere Nachtschicht einschiebe, um dann sonntags auf dem Platz stehen zu können. Es klappt zwar nicht immer. In der Regel lässt sich aber schon eine Lösung finden.

Welche sportlichen Ziele haben Sie sich mit der Eintracht gesetzt?

Meyer: Ich habe schon große Lust, wieder höher zu spielen. Deswegen liegt unser Fokus in diesem Jahr voll und ganz auf dem Aufstieg in die Regionalliga Nord. In der dritthöchsten Liga würden auf uns noch einmal ganz andere Herausforderungen warten. Einen Vorgeschmack darauf haben wir bereits mit unseren Freundschaftsspielen gegen höherklassige Teams bekommen. Nach oben hin merkt man doch deutliche Unterschiede in der Qualität der Spielerinnen. Aber auch in unserem Team steckt schon jetzt viel Substanz.