Seit rund vier Jahrzehnten ist er als Schiedsrichter im Einsatz – und hat unter den Fußballern an der Mosel längst Kultstatus erlangt: Nazaire Tell pfeift im Schnitt um die 40 Spiele pro Saison und bringt es auf insgesamt gut 1500 Partien. Dabei hat der 79 Jahre alte Franzose erst ein einziges Mal (!) die Rote Karte gezeigt. Vieles regelt er mit Kameradschaft, Kommunikation und Erfahrung.
Ob vor, während oder nach den Partien, die er leitet: Die Fußballer dürfen ihn stets bei seinem Spitznamen nennen. "Ich bin der 'Tello'", sagt der im französischen Überseedépartement Martinique geborene, frühere Soldat. Mit 17 Jahren habe er "was anderes sehen und erleben wollen", nahm deshalb einen Flieger nach Paris und verpflichtete sich beim Militär. Über mehrere Stationen landete "Tello" so im rund 30 Kilometer nordöstlich von Trier gelegenen Städtchen Wittlich, wo die französischen Streitkräfte einst vertreten waren.
"Irgendwann fehlte mal ein Schiri"
Als Spielertrainer wirkte er früher bei den Kreisligaclubs SV Gladbach, SV Neuerburg 1936 (für den er nach wie vor an den Start geht und dem er als Vorstandsmitglied angehört). Zudem war "Tello" als Aktiver für die DJK Hasborn im Einsatz und engagierte sich in der Nachwuchsförderung. An seinen Einstieg in die Schiedsrichterlaufbahn kann er sich noch gut erinnern: "Irgendwann im Jahr 1985 fehlte bei einem Testspiel in Neuerburg mal ein Schiri. Da sprang ich spontan ein, und es machte mir auf Anhieb Spaß." Ein paar Monate später legte er die Prüfung ab. Gleich bei seinem ersten Spiel sei er beobachtet worden: "Der 'Tello' kann das, der macht das gut", hieß es gleich.
Die Regeln hat er fest im Griff. Dass er in all‘ den Jahren erst einen einzigen Platzverweis aussprechen musste, führen die Fußballer im Spielkreis Mosel besonders auf die kommunikative und deeskalierende Art zurück, mit der "Tello" ein ums andere besticht. Bei der Roten Karte, die er in den Neunzigern mal zeigte, habe es sich aus Sicht des vermeintlichen Übeltäters noch um ein Missverständnis gehandelt: "Der Spieler beteuerte, dass er mich mit dem Schimpfwort gar nicht gemeint habe. Aber selbst, wenn: Unschöne Worte gegenüber anderen Spielern müssen ja auch geahndet werden…"
Entgegen anderslautender Meinungen, wonach sich der Ton auf den Plätzen im Laufe der Jahre verschärft habe, vertritt der Franzose die Ansicht, dass "es immer auf den Schiedsrichter ankommt". Den Akteuren bereits vor dem Anpfiff freundlich zu begegnen ("Einen wunderschönen guten Tag, mein Name ist 'Tello' und ich bin heute der Verantwortliche für das Spiel") sei genauso wichtig wie klare Ansagen auf dem Platz. Auch die Vorbereitung spielt beim Routinier eine wichtige Rolle: Ehe er ab Mitte März wieder Kreisligaspiele der Frauen und Herren oder Partien der Junioren pfeift, bringt er seinen Körper mit Radtouren und Läufen zwischen fünf und sechs Kilometern wieder in Schwung. Am Tag vor dem Spiel werden die Muskeln dann meist bei einem ausgedehnten Spaziergang gelockert. Ein Gebet zu Gott mit der Bitte, ihm Kraft für das Spiel zu geben, gehört für den gläubigen Christen ebenfalls zum Ritual.
"Viele denken, ich sei um die 60"
Laufstark und hochkonzentriert präsentiert er sich so auch noch mit knapp 80 Jahren. "Viele denken, ich sei um die 60", lacht der pensionierte Oberfeldwebel. Nur vom Mittelkreis aus die Spiele zu leiten, wie es der eine oder andere ältere Referee bevorzugt, entspricht nicht dem Anspruch, den "Tello" an sich und den respektvollen Umgang miteinander hat: "Wenn im Strafraum ein Foul passiert, bin ich schon da. Dann pfeife ich laut und deutlich." Geraucht habe er nie. "Das hat mir sicher geholfen, meine Fitness zu halten."
Da er erst mit 40 Unparteiischer wurde, blieb ihm eine Laufbahn in überkreislichen Ligen versagt. Doch auch so blickt der Vater von fünf Kindern und vier Enkeln auf so manchen Höhepunkt zurück. Unter anderem leitete er Spiele der Traditionsmannschaften von Borussia Dortmund und des 1. FC Kaiserslautern: "Das waren tolle Erlebnisse."
"Mit 79 ist 'Tello' noch so agil und damit ein Vorbild gerade für unsere jüngeren Kameraden"
Was sie an "ihrem" 'Tello' haben, wissen sie im Spielkreis Mosel ganz genau. "Wir sind stolz darauf, einen solch liebenswerten Menschen in unseren Reihen zu haben", sagt der Kreisvorsitzende Walter Kirsten, der früher selbst bis hinauf zur Bundesliga als Assistent tätig war. " Mit 79 ist 'Tello' noch so agil und damit ein Vorbild gerade für unsere jüngeren Kameraden."
Kreisschiedsrichter-Obmann Jan-Hagen Engel stößt ins gleiche Horn: "Er ist eine absolute Bereicherung für uns und bei Vereinen wie Schiedsrichtern gleichermaßen beliebt. 'Tello' hat immer einen lustigen Spruch auf Lager und trotz seines hohen Alters kann man ihn gewissenhaft für jedes Spiel ansetzten. Bei jeder Belehrung oder Veranstaltung des Kreises ist er Gute-Laune-Garant und hat zu allen Schiedsrichtern einen guten Draht. Er ist mit der verdienteste Schiri im Kreis. Ich hoffe, dass er uns noch viele Jahre erhalten bleibt."
Ans Aufhören denkt der 79-Jährige (noch) nicht, zumal ihm kürzlich eine besondere Ehre zuteil wurde, die ihn zusätzlich anspornt. Im Rahmen der DFB-Aktion "Danke, Schiri!" wurde er beim Tag des Ehrenamts des Fußballverbandes Rheinland in Grenzau im Westerwald als Preisträger der Kategorie "Ü 50" ausgezeichnet. "Eine wunderschöne Veranstaltung, einmalig, top organisiert", schwärmt "Tello" noch immer vom Festakt, an dem unter anderem DFB-Geschäftsführer Sport Andreas Rettig teilnahm.
Gerne erzählte der Kultschiedsrichter von der Mosel auch an jenem Tag, wie es ihn einst nach Wittlich verschlug, was ihn antreibt, und warum er erst einmal in seiner langen Laufbahn Rot zeigte…