Carlotta Wamsers erster Trainer: "Schon damals immer voll fokussiert"
Hüttemann: "Der Fußball wurde Carlotta quasi in die Wiege gelegt."[Foto: TuS Rot-Weiß Grastrup-Retzen/Privat]
Erst fünf Länderspiele, bei der EM in der Schweiz aber schon im Fokus: Carlotta Wamser sprang für die verletzte Kapitänin Giulia Gwinn auf der rechten Abwehrseite ein und wusste zu überzeugen. Am Samstag (ab 21 Uhr, live im ZDF) wird sie ihren Teamkolleginnen beim Viertelfinale in Basel gegen Frankreich von außen die Daumen drücken, da sie nach ihrer Roten Karte gegen Schweden zuschauen muss.
Die 21-Jährige, die gerade erst von Eintracht Frankfurt zu Bayer 04 Leverkusen gewechselt ist, begann einst beim aktuellen B-Kreisligisten TuS Rot-Weiß Grastrup-Retzen im ostwestfälischen Kurort Bad Salzuflen mit dem Fußball. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht ihr ehemaliger Trainer Jens Hüttemann (57) über Wamsers Anfänge im Fußball, ihr besonderes sportliches Talent und über Gänsehaut vor dem TV.
Sie waren in der F2-Jugend der erste Trainer der aktuellen Nationalspielerin Carlotta Wamser. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit, Herr Hüttemann?
Jens Hüttemann: Carlotta kam in der Saison 2010/2011 mit sieben Jahren zu uns. Ihr älterer Bruder Connor war zu diesem Zeitpunkt bereits im Verein. Meine Tochter ist mit Carlotta zur Schule gegangen und mein Sohn Joshua hat mit ihr zusammen Fußball gespielt. Aus diesem Grund bin ich überhaupt Trainer geworden, habe Carlotta zusammen mit meinem damaligen Co-Trainer Uwe Becker betreut. Ihr Talent war unverkennbar.
Konnte man damals bereits erkennen, dass Carlotta möglicherweise eine große Karriere als Fußballerin bevorsteht?
Hüttemann: Der Fußball wurde Carlotta quasi in die Wiege gelegt. Ihr Vater Peter und Mutter Kerstin unterrichten neben anderen Fächern auch jeweils Sport. Schon als kleines Mädchen konnte man sehen, dass sie sportlich ein Ausnahmetalent ist.
Welche besonderen Fähigkeiten sind Ihnen bei Ihr auf dem Fußballplatz sofort aufgefallen?
Hüttemann: An eine Szene kann ich mich ganz besonders gut erinnern: Carlotta trug in einem Spiel die Schuhe ihres Bruders. Bei einem heftigen Schuss gegen den Ball flog der Schuh, der Carlotta ein wenig zu groß war, im hohen Bogen durch die Luft. Carlotta ist jedoch nicht hinter dem Schuh, sondern nur hinter dem Ball hergelaufen. Sie war total fokussiert, wollte unbedingt den Angriff zu Ende spielen. Das zeigt ihren Ehrgeiz.
Sie hat in Ihrer Nachwuchszeit fast ausschließlich in Jungenteams gespielt. Wie konnte Sie sich dort immer durchsetzen?
Hüttemann: Es liegt vor allem an den Genen. Sie machte damals bei uns in der Gegend beim Weser-Werre-Lauf, der von der TG Werste organisiert wird, ihr Sportabzeichen. Carlotta ist in der Mädchengruppe mitgelaufen, in der wegen mangelnder Beteiligung auch 13- und 14-jährige Teilnehmerinnen dabei waren. Sie war gerade einmal acht Jahre alt und lief allen davon. Beim Fußball war das in den Jungenteams nicht anders. (lacht) Carlotta hat bis zu ihrem 15. Lebensjahr immer nur in Jungenmannschaften gespielt und ist dann schnell in den Frauenbereich gewechselt. Ich denke, davon profitiert sie heute noch.
Wie sehr haben Sie die Karriere von Carlotta Wamser in den zurückliegenden Jahren verfolgt?
Hüttemann: In der E-Jugend ist Carlotta mit zehn Jahren zum TBV Lemgo gewechselt, wo ihr Vater damals als Trainer arbeitete. Danach hat sie sich der SpVg Brakel angeschlossen, ehe sie dann zu den Frauen der SGS Essen gewechselt ist, wo sie auch ihr Bundesligadebüt gegeben hat. Natürlich haben wir ihren Werdegang mit großem Interesse verfolgt. Nach ihrem jetzigen Wechsel von Eintracht Frankfurt zu Bayer 04 Leverkusen wird das auch so sein. Ganz besonders im Fokus steht sie natürlich seit ihrem Sprung in die Nationalmannschaft. Sie hat sich kontinuierlich gesteigert.
Carlotta hat als Angreiferin angefangen, spielt aktuell auf der rechten Abwehrseite. Hätten Sie jemals gedacht, dass Sie so eine Entwicklung nimmt?
Hüttemann: Als Carlotta bei uns am Ball war, standen der Spaß und die Freude am Spiel im Vordergrund. Sie war aber auch damals schon immer voll fokussiert bei der Sache. Deshalb wundert mich das nicht.
Durch die schwere Verletzung von Kapitänin Giulia Gwinn ist Carlotta in die Startelf des DFB-Teams gerückt, war direkt an einigen Toren beteiligt. Wie haben Sie als ehemaliger Trainer Ihre Auftritte bislang gesehen?
Hüttemann: Ich habe beim Zuschauen schon ein wenig Gänsehaut bekommen. Carlotta hat sich super entwickelt und bislang ein sehr gutes Turnier gespielt. Daran ändert auch die Rote Karte wegen des Handspiels auf der Torlinie gegen Schweden nichts. Das war ein Reflex und kann passieren. Ihr war ja selbst sofort klar, welche Folgen die Aktion haben wird. Wir alle hoffen sehr, dass sie im Halbfinale wieder auf dem Platz stehen wird.
Welche Verbindungen hat Carlotta noch zu Ihrem Heimatverein?
Hüttemann: Nach ihrem Wechsel zu Eintracht Frankfurt ist es aufgrund der geografischen Entfernung etwas ruhiger geworden. Carlotta wurde vom DFB zweimal mit der Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet. Beide Urkunden hängen bei uns im Vereinsheim.
Macht es einen kleinen Klub wie den TuS Rot-Weiß Grastrup-Retzen besonders stolz, eine Nationalspielerin gefördert zu haben?
Hüttemann: Wir feiern in diesem Jahr unser 100-jähriges Vereinsjubiläum. Bei den Feierlichkeiten wurde die Karriere von Carlotta vor den geladenen Gästen bereits gewürdigt. Wir alle im Verein können uns glücklich schätzen, dass wir sie in den Anfängen ihrer Laufbahn begleiten durften. Wir sind megastolz, freuen uns auf jedes weitere Spiel.
Ist das für junge Spielerinnen und Spieler im Klub noch eine zusätzliche Motivation?
Hüttemann: Auf jeden Fall. Carlotta ist das Aushängeschild unseres Vereins. Sie ist ein Vorbild für viele Talente, die es ihr möglichst gleichtun möchten.
Wie bewerten Sie insgesamt das bisherige Auftreten der Frauen-Nationalmannschaft bei der EM in der Schweiz?
Hüttemann: Der Zusammenhalt innerhalb des Teams scheint sehr stark ausgeprägt zu sein. Die Bändchen-Aktion an den Handgelenken für die verletzte Kapitänin fand ich super. Die Mannschaft ist auf einem guten Weg, hat aber bestimmt auch noch Luft nach oben.
Wie sehr drücken Sie und der gesamte Verein die Daumen, dass Carlotta als Europameisterin nach Deutschland zurückkehrt?
Hüttemann: Ich wünsche mir, dass die DFB-Frauen Europameisterinnen werden. Sollte das Team das Finale erreichen, werden wir das Endspiel im Klubheim live verfolgen und die Daumen drücken.
Wird dann auch in Grastrup-Retzen ein Empfang fällig?
Hüttemann: Ich hätte nichts dagegen. (lacht) Wir bekommen bei uns auf der Anlage demnächst einen neuen Kunstrasenplatz. Für die Einweihung werden wir Carlotta auf jeden Fall eine Einladung schicken.