SC Westfalia Herne: Baustelle nicht nur am Stadion
Umbau, Ab- und Aufstiege: Beim SC Westfalia Herne geht es turbulent zu.[Foto: Westfalia Herne/imago]
Kaum ein anderer Verein im deutschen Amateurfußball dürfte solch eine Achterbahnfahrt durch die verschiedenen Ligen hinter sich haben wie der Traditionsklub SC Westfalia Herne aus dem Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen. Einst auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft, zwischendurch Absturz bis in die Landesliga: Auf und nieder immer wieder… Aber wo steht der Klub aus dem Ruhrgebiet heute? FUSSBALL.DE begibt sich auf Spurensuche.
Das Bild passt. Im Stadion von Westfalia Herne finden gerade umfangreiche Baumaßnahmen statt. Das Tribünendach muss aufgrund von Schadstoffbelastungen und aus statischen Gründen erneuert werden. Es ist eine Großbaustelle – ähnlich wie Westfalia Herne seit Jahrzehnten. Aber der Klub lebt, und das ist eine gute Nachricht. Denn es ist gar keine Selbstverständlichkeit. "Es ist noch nicht lange her, da stand hier wirklich alles auf der Kippe", sagt Ingo Brüggemann, der seit 2020 als 1. Vorsitzender des SC Westfalia tätig ist: "Damals war nicht klar, ob der Verein eine Zukunft hat oder ob wir hier alles dicht machen müssen."
Die Verantwortlichen um Brüggemann konnten das schlimmste aller Szenarien verhindern und führten den Klub erfolgreich aus der Insolvenz. Aber dies ging zulasten der sportlichen Qualitäten. Die erste Mannschaft stieg während der Corona-Pandemie zweimal hintereinander ab – aus der Oberliga in die Westfalenliga und dann sogar in die Landesliga. Immerhin schafften die Herner 2024 die Rückkehr in die Westfalenliga, wo sie auch heute noch unterwegs sind.
"Reiner Amateurverein - und das ist gut so"
"Wir haben jetzt ein solides Fundament gebaut, auf dem wir den Verein neu aufstellen können", betont Brüggemann. "Natürlich wäre es schön, wenn wir die Rückkehr in die Oberliga schaffen würden. Aber das ist nicht unser primäres Ziel. Wir freuen uns darüber, dass wir wieder einen unglaublichen Zulauf haben, vor allem im Jugendbereich. Das ist die Basis, die wir ausbauen müssen. Wir sind inzwischen ein reiner Amateurverein, und das ist auch gut so."
Das war lange anders. Frühere Verantwortliche haben lange versucht, die Westfalia im Profifußball zu etablieren – heute kann man sagen: ohne Erfolg. Zwar schaffte es der Klub vor Jahrzehnten in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Aber das ist inzwischen mehr als 65 Jahre her. Und danach begann die Achterbahnfahrt des Vereins erst so richtig.
Erst ging es abwärts - bis die Verbandsliga. Dann kam ein Unternehmer, der den Verein mit Geldern, die aus einer Steuerhinterziehung stammten, wieder nach oben führen wollte. Das gelang auch zeitweise. Aber als der Betrug aufflog, stürzte die Westfalia in die Oberliga ab. Danach sogar bis die sechstklassige Landesliga. Dann ging es wieder etwas nach oben und kurz darauf wieder runter.
"Der Ruhm vergangener Tage ist Fluch und Segen zugleich"
"Es gibt wahrscheinlich kaum einen Verein in Deutschland, der so eine Achterbahnfahrt hinter sich hat wie Westfalia Herne", sagt Brüggemann. "Wir sind gerade dabei, etwas Stabilität in die Sache zu bringen. Aber es ist und bleibt herausfordernd. Der Ruhm vergangener Tage ist Fluch und Segen zugleich. Wir bekommen eine unglaubliche Aufmerksamkeit. Aber wir haben auch heute noch mit viele Altlasten zu kämpfen. Bei der Westfalia wird es nie langweilig."
Wenn man in die Historie eintaucht, fällt auf, dass viele große Namen das Trikot des Vereins getragen haben. Allen voran Hans Tilkowski, der 1966 das Tor hütete, als die DFB-Auswahl Vizeweltmeister wurde. Tilkowski konnte genau erkennen, ob das Wembley-Tor eines war oder eben auch nicht. Seinen Standpunkt hat er immer klar vertreten: Der Ball war nicht drin. Auch Trainerlegend Werner Lorant, ZDF-Moderator Michael Steinbrecher, Filmregisseur Sönke Wortmann, Trainer Edin Terzic und Profi Christopher Antwi-Adjei, der jetzt für den FC Schalke 04 spielt, können neben vielen weiteren genannt werden, die für die Westfalia gespielt haben.
"Gegen uns besonders motiviert"
"Wenn wir in der Region zu Spielen antreten, merkt man immer ganz deutlich, dass die gegnerischen Teams gegen uns besonders motiviert sind", betont Brüggemann. "Das ist einerseits schön, weil es den besonderen Stellenwert zeigt, den der Verein immer noch hat. Aber andererseits ist es sportlich auch herausfordernd. Aber wir nehmen die Situation gerne so an, wie sie ist. Wir kennen es ja nicht anders."
Inzwischen ist die Westfalia vor allem im Nachwuchsbereich stark aufgestellt. Alle Altersklassen bei den Junioren und Kindern sind mit mindestens einer Mannschaft im Spielbetrieb dabei – teilweise sogar mit zwei oder drei Teams. Außerdem hat der Verein eine sehr starke Ü 50-Mannschaft, die im vergangenen Jahr die deutsche Vizemeisterschaft gewann.
"Auch wenn noch viel zu tun ist, sind wir sehr glücklich über den aktuellen Stand der Entwicklung. Vor einigen Jahren war der Verein im Grund tot, jetzt lebt er wieder und ist sehr agil. Vor allem im Nachwuchsbereich wachsen wir jedes Jahr." Fehlt nur noch, dass auch die erste Mannschaft mittelfristig in die Erfolgsspur zurückkehrt. Gerade hat die neue Saison der Westfalenliga begonnen. Die Herner wollen gerne eine gute Rolle spielen. Erschwerend kommt auf dem Weg hinzu, dass das eigene Stadion noch immer nicht genutzt werden kann. Der Neuaufbau der Tribüne dauert länger als gehofft. Gleiches gilt auch für den SC Westfalia Herne.