"Wir leben von der Gemeinschaft": Frauenfußball zurück in Rheine
Eintracht Rheine: "Es gibt Überlegungen, wieder in den Spielbetrieb einzusteigen."[Foto: Eintracht Rheine]
Dass der Frauenfußball sich stetig wachsender Beliebtheit erfreut, spüren sie auch beim FC Eintracht Rheine. Der Verein war als VfB Rheine 1990 eines der Gründungsmitglieder der Frauen-Bundesliga. Nach einer längeren Pause bietet der Klub jetzt wieder Frauenfußball an und lässt damit eine Tradition aufleben. Aber es geht dabei nicht nur um den Sport: Die Spielerinnen haben ein Orga-Team gegründet, das soziale Projekte in der Region unterstützt. Worum geht es dabei genau? Und welche Rolle spielt die ruhmreiche Vergangenheit?
Die Reise in die Geschichte beginnt mit einem Gespräch mit Kerstin Stegemann. Die heute 48-Jährige hat 191 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft bestritten. Nur Birgit Prinz stand häufiger für Deutschland auf dem Rasen (214 Begegnungen). Stegemann gewann 2003 und 2007 mit der DFB-Auswahl die Weltmeisterschaft und wurde 1997, 2001, 2005 und 2009 Europameisterin. Eine unglaubliche Karriere. Aber, was viele nicht wissen: Alles begann beim VfB Rheine, einem der Gründungsmitglieder der Frauen-Bundesliga.
"Fußball war nur eines von mehreren Hobbys"
"Das war eine sehr besondere Zeit für mich", sagt Stegemann und muss schmunzeln: "Ich habe damals bei meinem Heimatverein Germania Hauenhorst gekickt und hatte den Gedanken, mit dem Fußball aufzuhören. Ich bin zu dieser Zeit auch noch sehr ambitioniert geschwommen, haben Vierkampf gemacht und bin geritten. Fußball war nur eines von mehreren Hobbys. Deshalb war ich unschlüssig, wie es weitergehen sollte."
"Wir sind ein klassischer Amateurverein, der stolz auf seine Historie ist."
Irgendwie hat dann das Schicksal ihr diese Entscheidung abgenommen: Denn der VfB Rheine, damals eine der besten Adressen im deutschen Frauenfußball, lud sie zum Probetraining ein. Stegemann war gerade 15 Jahre alt. "Ich habe da offenbar einen ganz guten Eindruck hinterlassen. Auf jeden Fall war es so, dass ich ein paar Tage später plötzlich in der Bundesliga auf dem Platz stand", sagt Stegemann und muss lachen, wenn sie an jene Zeit zurückdenkt: "Wir hatten einen Trainer aus den Niederlanden, der einige Nationalspielerinnen von dort mitgebracht hat. Dazu kamen einige Spielerinnen aus den Dörfern in der Nachbarschaft. Das war schon eine sehr spezielle Truppe, aber es hat unglaublich viel Spaß gemacht."
Und diese "spezielle Truppe" war durchaus erfolgreich. Rheine biss sich mit überschaubaren Mitteln in der Spitzengruppe fest und schaffte es 1997 ins Finale um den DFB-Pokal. Dort unterlagen Stegemann und ihre Teamkolleginnen Grün-Weiß Brauweiler mit 1:3. Stegemann wechselte ein Jahr später zum FCR Duisburg und gewann dort die Deutsche Meisterschaft.
Noch nicht im offiziellen Spielbetrieb
Und was wurde aus dem Frauenfußball dem FC Heike Rheine, wie der Verein in der Zwischenzeit hieß? Es ging langsam, aber stetig abwärts. Weitere Leistungsträgerinnen verließen den Verein - darunter auch die 130-fache deutsche Nationalspielerin Kerstin Garefrekes. Es folgte Abstieg auf Abstieg. Im September 2016 war der Tiefpunkt erreicht. Der Verein wurde aufgelöst. Ein ruhmreiches Kapitel für immer geschlossen. Oder doch nicht?
Denn die neuen Verantwortlichen des FC Eintracht Rheine, so heißt der Verein inzwischen, wollen die Tradition wieder aufleben lassen. Seit drei Jahren wird wieder Frauenfußball angeboten. Das Team ist zwar noch nicht im offiziellen Spielbetrieb dabei, stattdessen bestreitet die Mannschaft derzeit Freundschaftsspiele und ist bei Turnieren am Start. "Die Spielerinnen sind mit großer Freude dabei. Das ist wirklich beeindruckend zu beobachten", sagt Ralf Bussmann, 2. Vorsitzender des FC Eintracht Rheine. "Es gibt schon Überlegungen, auch im Frauenbereich wieder in den Spielbetrieb einzusteigen. Aber eine Entscheidung ist hier noch nicht gefallen."
Was aber fast noch wichtiger ist: Die Fußballerinnen des Klubs unterstützen soziale Projekte in der Region. Um den Frauenfußball beim FC Eintracht Rheine wieder zu etablieren, gibt es unter anderem eine Kooperation mit der Nelson-Mandela-Sekundarschule, deren Schulleitung und zahlreiche Lehrkräfte ebenfalls aktiv an den sportlichen und sozialen Aufgaben mitwirken.
"Bei uns ist jede und jeder willkommen"
Aber auch darüberhinausgehend kommt der Verein seiner sozialen Verantwortung in besonderer Art und Weise nach. "Bei uns ist jede und jeder willkommen, die oder der sich mit unseren Werten arrangieren kann", sagt Bussmann. Und damit diese Grundsätze auch allen bekannt sind, haben die Verantwortlichen durchgesetzt, dass die Werbetafeln am Kunstrasenplatz nicht an Unternehmen verkauft werden. Stattdessen sind dort die Werte zu lesen, die das Vereinsleben prägen. Um die Identifikation mit dem Verein zu steigern, sind dort außerdem die Gesichter aller Nachwuchsfußballer des FC Eintracht Rheine zu sehen.
"Wir leben von der Gemeinschaft und dem ehrenamtlichen Engagement aller Beteiligten", sagt Bussmann. "Wir sind ein klassischer Amateurverein, der stolz auf seine Historie ist." Und genau die hat auch Kerstin Stegemann über viele Jahre entscheidend mitgeprägt. Heute ist sie nur noch beobachtend dabei und widmet sich intensiv einem ihrer anderen Hobbys, das damals für den Fußball etwas in den Hintergrund gerückt ist: Stegemann hat drei Pferde in einem Stall in Rheine und ist begeisterte Dressur- und Springreiterin.