FC Lampedusa: Flüchtlinge gründen Team
Der FC Lampedusa: Technisch versierte Spieler mit bewegter Vergangenheit. [Foto: Oliver Jensen]
Ein Ascheplatz im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld: Junge Fußballer passen sich den Ball hin und her, schießen auf das Tor. Gelegentlich gibt Trainerin Gabriele Kröger ein paar Anweisungen. Es sind Szenen einer scheinbar ganz gewöhnlichen Trainingseinheit. Doch die farbigen Fußballer, die sehr gekonnt mit dem Ball umgehen, haben alles andere als eine gewöhnliche Vergangenheit. Sie stammen aus westafrikanischen Ländern wie Ghana, Nigeria und Mali. In ihrer Heimat herrschen Armut und Unruhe. So sehr, dass sie keine Hoffnung mehr auf ein normales Leben hatten und die Flucht ergriffen.
Im Jahre 2011 machten sie sich auf den Weg nach Europa. Zunächst landeten sie auf der italienischen Insel Lampedusa, bevor rund 300 von ihnen nach Hamburg gelangten. In Deutschlands Medien wurden sie als die “Lampedusa Flüchtlinge” bekannt. Mittlerweile leben sie verteilt in verschiedenen Stadtteilen Hamburgs. Arbeiten dürfen sie nicht. Einen geregelten Tagesablauf haben sie genauso wenig. Ihr Alltag bietet kaum Abwechslung. Die Trainingseinheit am Mittwochabend ist das Highlight der Woche.
Fußball erreicht die Menschen
Trainerin Gabriele Kröger, die “Schnackel” gerufen wird und ansonsten die Ü 30 der Frauen vom FC St. Pauli trainiert, gehört zu den Gründerinnen des FC Lampedusa. “Eine Bekannte von mir ist in die Flüchtlingspolitik involviert”, erklärt sie. “Wir wollten weg von den politischen Diskussionen und lieber aktiv etwas machen. Die Jungs brauchen eine Stelle, wo sie sich treffen können. Der Fußball bietet das beste Mittel dafür, weil man damit so viele Menschen erreicht.”
"Die Spieler sind technisch sehr hoch visiert. Die dribbeln dich auf einem Bierdeckel aus."
Schnell sprach sich die Idee unter den Afrikanern herum, so dass ein Kader mit rund 20 Spielern entstand. Die Unterstützung der Öffentlichkeit war beachtlich. Mit Spenden ließen sich zum Beispiel die Fußballschuhe finanzieren. Vergangenes Jahr gab es die ersten Trainingseinheiten. “Damals war das noch mehr eine Spaßveranstaltung. Mittlerweile aber trainieren wir regelmäßig”, sagt Kröger. Dass der Türsteherverein FC Hamburger Berg ihr Trainingsgelände mit ihnen teilt, kommt ihnen sehr entgegen. “Training ist aber nicht alles. Die Jungs brauchen auch Erfolgserlebnisse. Dafür ist es wichtig, Spiele zu machen oder an Turnieren teilnehmen”, führt die Trainerin fort.
Am offiziellen Spielbetrieb darf der FC Lampedusa nicht teilnehmen. “Die Jungs haben kein permanentes Bleiberecht in Hamburg. Daher gibt es auch keine Spielerpässe”, erklärt die ehrenamtliche Helferin Georgie Pierenkemper. Glücklicherweise gibt es genügend Mannschaften, die im Rahmen eines Freundschaftsspieles gegen die Afrikaner antreten. Auch bei Freizeitturnieren ist der FC Lampedusa ein gerngesehener Gast. Dass die Flüchtlinge gute Fußballer sind, fällt dann schnell ins Auge. „Bei den meisten Turnieren, an denen wir teilnehmen, belegen wir den ersten Platz. 80 bis 90 Prozent unserer Spieler sind technisch sehr visiert. Die dribbeln dich auf einem Bierdeckel aus“, sagt die Übungsleiterin.
Profikarriere scheiterte am Geld
Einer vom FC Lampedusa hatte sogar Ambitionen auf eine Profikarriere. Ibrahim Mohammed war in seiner Heimat ein Straßenfußballer mit herausragendem Talent. Ein Scout der U 20-Nationalmannschaft von Ghana war an ihm interessiert. „Das wäre eine große Chance gewesen. Wenn du es dahin schaffst, schaffst du es noch weiter nach oben. Das hätte viel Geld bedeutet“, erzählt er. Zunächst aber wäre es erforderlich gewesen, Geld mitzubringen. Der junge Afrikaner führt fort: „Man muss eine hohe Summe zahlen, um in das Team aufgenommen zu werden. Meine Eltern besaßen nicht so viel Geld.“ Der Traum von der großen Fußballkarriere zerbrach.
Sein Jugendfreund Emmanuel Agyemang-Badu hatte mehr Glück. Dessen Familie konnte die finanziellen Mittel aufbringen. Heute ist er Profi beim italienischen Erstligisten Udinese Calcio, stand für die „Black Stars“ sogar bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien auf dem Platz. „Ich freue mich, wenn ich von ihm höre oder ihn im Fernsehen sehe. Aber es macht mich auch ein bisschen traurig, weil mich das an die nicht erhaltene Chance erinnert.“ Dennoch ist er glücklich, beim FC Lampedusa weiterhin Fußball spielen zu können. Besonders den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft weiß er zu schätzen.
Nicht nur in Hamburg haben sich Flüchtlinge zu einer Fußballmannschaft zusammengetan. In Oldenburg verfügt der Krusenbuscher SV sogar über eine vierte Herren-Mannschaft, in der Menschen aus Nigeria, Afghanistan, Irak, Iran und anderen krisengebeutelten Ländern eine sportliche Heimat finden. Alle Flüchtlinge, ob nun in Hamburg oder in Oldenburg, vereint eine ungewisse Lebenssituation. Darf ich in Deutschland bleiben? Wird sich die Situation in meiner Heimat jemals wieder verbessern? Fragen wie diese spuken ständig in ihren Köpfen herum. Wenn sie Fußball spielen, können sie ihre Probleme für einige Momente vergessen - und ganz nebenbei auch noch die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam machen.