Die Schwalbe des Jahres - und ihre Folgen
Großes Kino: Thomas Müller fasst sich nach kurzem Überlegen an den Hals... [Foto: FUSSBALL.DE]
In den Medien und im Netz war sie wahlweise die beste, schlechteste, peinlichste und kurioseste Schwalbe des Jahres. Ein kurzer Griff an den Hals, ein Zögern, ein halbwegs entsetzter Blick – und plötzlich sank Thomas Müller zu Boden wie in der Sterbeszene eines drittklassigen Actionfilms. Mit seiner skurrilen Schauspieleinlage in der Bayernliga-Relegation wurde der Physiotherapeut von Alemannia Haibach im Sommer zur Internet-Berühmtheit. Das Video, das hier nochmal zu sehen ist, wurde auf Youtube mehr als 1,3 Millionen Mal angeklickt. Der „sterbende Schwan“ des Haibachers erregte sogar international Aufsehen, wurde unter anderem beim US-amerikanischen Sportsender ESPN gezeigt.
Für Thomas Müller war das nicht immer lustig. Zum Abschluss des Jahres 2014 hat FUSSBALL.DE mit ihm gesprochen. In unserem Interview verrät Müller, was ihn damals geritten hat, wie er unter dem anschließenden Hype gelitten hat und warum es für ihn zwar eine Dummheit, aber keine Schwalbe war.
FUSSBALL.DE: Herr Müller, können Sie mittlerweile über die ganze Geschichte lachen?
Thomas Müller: Ich habe in der ersten Nacht darüber gelacht, aber da konnte ich die Bandbreite und Dimensionen, die das alles annimmt, noch in keinster Weise erfassen. Später war ich genervt, entrüstet, auch geschockt. Manches kann ich bis heute nicht begreifen.
"Es war keine Schwalbe, es war eher ein Einfädeln im Strafraum"
Was hat Sie besonders geschockt?
Müller: Was zum Teil in den sozialen Netzwerken abgegangen ist. Manche Menschen denken, sie könnten sich dort - auch aus der Anonymität heraus - alles erlauben. Ich habe mich bei der Aktion nicht mit Ruhm bekleckert, das steht außer Zweifel. Aber wenn meine Kinder in Kommentare einbezogen werden, wenn es an die Familie geht, ist der Spaß vorbei. Das waren harte Wochen, und das stand auch in keinem Verhältnis zu meinem sterbenden Schwan.
Haben Sie viele Anfragen von Medien erhalten?
Müller: Es gab einige, aber ich habe so gut wie alles abgelehnt. Ich habe unseren lokalen Medien zwei Interviews gegeben, das war’s. Mehr wollte ich nicht. Es sollten ja sogar T-Shirts gedruckt werden, und es gab noch andere Ideen. Aber ich wollte kein zweiter Maschendrahtzaun-Typ werden. Nach der WM ist das Interesse dann deutlich abgeebbt.
Was denken Sie, wenn Sie sich das Video heute anschauen?
Müller: Scheiße. Ich schaue es mir auch nicht mehr an. Ich habe es zwei-, dreimal gesehen, das reicht.
Wie ist Ihr eigener Verein mit der Situation umgegangen?
Müller: Sehr gut. Natürlich haben alle über meine Aktion gelacht, das ist auch völlig okay. Aber der Verein hat mich unterstützt. Die Leute haben gemerkt, dass ich gelitten habe. Von gegnerischen Teams bin ich immer mal angesprochen worden, auch das ist in Ordnung. Wenn sich auswärts auf der Tribüne 20 Leute an den Hals fassen, wenn sie mich sehen – nun ja, damit muss ich leben. Ich bin auch schon nach Autogrammen und Bildern gefragt worden, aber das ist albern. Ich will auf keinen Fall im Mittelpunkt stehen.
Wie kam es überhaupt zu der Szene?
Müller: Es war Derby, es war Relegation. Viele Zuschauer, viele Emotionen. Wir hatten das Hinspiel bei unserem Nachbarn Viktoria Kahl mit 2:1 gewonnen, im Rückspiel stand es 1:1. Vor unserer Bank passierte ein Foulspiel, das wurde entsprechend kommentiert. Dem gegnerischen Trainer hat das nicht gefallen, er stürmte in unsere Richtung und ging uns verbal an. Ich wollte ihn wegdrücken, habe dabei mit dem Zeigefinger gefuchtelt, dass er aufhören soll. Da bekam ich von ihm einen ganz kurzen – und keineswegs schlimmen – Schlag an den Hals. Ich habe mich dann für das Falsche entschieden, wollte Kapital daraus schlagen. Nach dem Spiel hat sich der Trainer bei mir entschuldigt und ich mich bei ihm. Wir haben uns die Hand gegeben, damit war die Sache zwischen uns erledigt.
Wie stehen Sie grundsätzlich zu Schwalben im Fußball?
Müller: Ein ganz schwieriges Thema. Ich möchte aber betonen, dass es gar keine Schwalbe von mir war. Es war eher ein Einfädeln im Strafraum (lacht). Ein Kontakt war ja da.
Was sagen Sie rückblickend zur Qualität Ihrer schauspielerischen Leistung?
Müller: Einen Oscar gibt es dafür sicherlich nicht. Glücklicherweise war die Bande noch zwischen Kamera und mir, dadurch hat man den Aufprall nicht so gesehen.
Und die Lehre aus der Geschichte?
Müller: Dass ich mit meinem Hintern lieber auf der Bank sitzen bleibe.