Enzo Bosa: Dank Mama wieder Torjäger
Trifft jetzt für den FC Bergheim: Torjäger Enzo Bosa. [Foto: Kämpf]
Diesen Moment wird Vincenzo Bosa nie vergessen. Das Anspiel seines Teamkollegen, die Berührung des Balles mit der Hacke, den Blick zurück über die eigene Schulter und den Sekundenbruchteil, in dem das Spielgerät die Linie überquerte. Dabei entschied der Treffer für den Fußball-Mittelrheinligisten FC Bergheim 2000 im Spiel gegen den FC Hürth am 8. März keine Meisterschaft, kein Abstiegsduell und kein Pokalendspiel. Es war und blieb der wertlose Anschlusstreffer zum 1:3 in einer Partie, die längst verloren war. Ergebniskosmetik sechs Minuten vor dem Abpfiff. Nicht mehr.
In Bosas Kopf, Herz und Bauch löste das Tor aber geradezu eine Explosion der Emotionen aus. „Es war unbeschreiblich, was ich da empfunden habe“, sagt der 25-Jährige. Für ihn hatte dieser Treffer größere Bedeutung als alle anderen zuvor. Er beendete die Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit und einen Lebensabschnitt, der sieben Monate zuvor in einem Operationssaal der Uniklinik Köln begonnen hatte: Bosas langen Weg zurück auf den Fußballplatz.
Noch im August des vergangenen Jahres war diese Rückkehr nicht mehr als eine kühne Vision. Selbst für einen unbelehrbaren Optimisten wie Enzo Bosa. Der gebürtige Kölner mit italienischen Vorfahren war körperlich arg geschwächt. Monatelang hatte die Leistungsfähigkeit seiner Nieren nachgelassen. Eine Transplantation war unumgänglich, um nicht ein Leben von Dialyse zu Dialyse führen zu müssen und vor allem, um weiter den geliebten Sport betreiben zu können. „Die meisten Leute müssen lange auf eine Spender-Niere warten“, sagt Bosa, „aber ich hatte Glück.“
Neben der Mutter im Krankenbett
„Mir ist nie der Gedanke gekommen, meinen Sport aufzugeben. Fußball bedeutet mir einfach unendlich viel“
Das Glück hatte einen Namen: Silvana Bosa. Vincenzos Mutter zögerte nicht lange, als klar war, dass die Zeit für die Transplantation allmählich gekommen war. Ohne das Wissen ihres Sohnes ging sie zum Arzt und ließ kontrollieren, ob ihre Niere als Spenderorgan in Frage kommen würden. Erst nach dem Okay der Mediziner erzählte sie ihrem Spross davon. „Das war natürlich ein emotionaler Moment für mich und für diese Entscheidung werde ich ihr immer dankbar sein“, sagt Bosa, der den Gang in die Klinik aber noch einige Zeit hinauszögerte. Nicht aus Angst vor dem Eingriff oder in Sorge um seine Mutter, sondern in erster Linie aufgrund seines sportlichen Ehrgeizes. Bosa wollte weiter Fußball spielen, Tore erzielen und die Saison in Reihen des Bonner SC mit Anstand zu Ende bringen.
Die Ärzte waren zwar nicht begeistert, hielten das Risiko aber für vertretbar. Bosa konnte also trainieren und spielen. Jedenfalls an den Tagen, an denen der eigene Körper dies zuließ. Kopfschmerzen waren längst zum ständigen Begleiter geworden und die sportliche Belastung machte die Situation nicht besser. Nicht selten musste er das abendliche Training aber noch kurz vor Beginn absagen. „Ich habe mich immer öfter erbrechen müssen“, sagt Bosa, „aber mir ist nie der Gedanke gekommen, meinen Sport aufzugeben. Fußball bedeutet mir einfach unendlich viel“, sagt der 25-Jährige.
Für seine Mannschaft erwies sich diese Einstellung als durchaus gewinnbringend. Trotz aller Beschwerden war Bosa Stammspieler. Er hielt durch, obwohl es alles andere als einfach war. „Diese Zeit hat mich ausgesaugt“, sagt er heute. Damals verdrängte er diese Gedanken und erzielte 14 von 38 Saisontreffern des Bonner SC. Mehr als alle seine Mitspieler und mehr als die meisten Spieler der Mittelrheinliga. Der Angreifer beendete die Spielzeit auf Rang sieben der Torjägerliste und mit dem festen Vorsatz zurückzukommen und noch besser zu sein als zuvor.
Zunächst ging es aber in die Klinik. „Die Nacht vor der OP war schlimm, ich habe kaum ein Auge zugemacht“, sagt Bosa, der diese langen Stunden immerhin an der Seite seiner Mutter verbringen konnte. „Das hat unheimlich zusammengeschweißt“, erinnert er sich an die Ereignisse im August 2014. Am Morgen darauf wurde es dann ernst. Bosa verabschiedete seine Mutter und wünschte ihr Glück, als sie in den Operationssaal gebracht wurde, um ihr das Spenderorgan zu entnehmen. Enzo Bosa musste nochmals warten, dann folgte er und bekam die Niere implantiert. Alles verlief nach Plan und von diesem Tag an arbeiteten die beiden Bosas an ihrer Genesung. „Meine Mutter konnte das Krankenhaus schon nach einer Woche verlassen“, sagt Enzo Bosa. Er selbst blieb noch weitere drei Wochen. Immerhin hatte er eine willkommene Dauerbesucherin: seine damalige Freundin und heutige Verlobte Alessia. „Ohne sie wäre mir die Decke auf den Kopf gefallen“, ist Bosa überzeugt.
Vom Krankenhaus zum Fußballplatz
Dass die Zeit im Krankenbett an seiner Fußballbegeisterung nicht hatte rütteln können, wurde schon am Tag der Entlassung klar. Vom Hospital ging es geradewegs zum Fußballplatz. Bosa wollte seine neue Mannschaft sehen. Den Wechsel zum Mittelrheinligisten FC Bergheim 2000 hatte er noch vor dem Eingriff vereinbart. Nun stand er endlich im Lukas-Podolski-Sportpark und sah die Jungs in Aktion, die ihn schon im Krankenhaus besucht hatten. „Genau in diesem Moment fing schon wieder das Kribbeln an“, sagt er. Doch der Weg zurück auf den Platz war noch lang.
Aus leichter körperlicher Betätigung wurde allmählich Sport und aus 20 Tabletten täglich wurden elf. Im Winter gaben die Ärzte dann grünes Licht. Bosa nahm mit Bergheim die Rückrunden-Vorbereitung auf und der Körper hielt der Belastung stand. „Ich bin jetzt schon fitter als vor der Transplantation“, sagt er. Dabei fehlen immer noch ein paar Prozent zum Maximum, wie er betont. Das lässt einiges erwarten. Auch der Coach des abstiegsbedrohten Klubs aus Bergheim, Giuseppe Spitali, glaubt an das Potenzial seines Spielers: „Enzo ist ein super Junge, hat perfekte Laufwege und ist im Abschluss unglaublich sicher.“ Das war ein Grund für das lange Warten auf ihn. Aber nicht der entscheidende. „Enzo ist ein Freund, auf den man sich zu 100 Prozent verlassen kann“, sagt Spitali, der Bosa schon seit Jahren kennt.
Gemeinsam liefen die zwei einst für den FC Junkersdorf auf. Und beide erinnern sich noch an die Zeit, als das Leiden begann. Im Jahr 2010 fühlte sich Bosa immer häufiger schlapp und müde. Dass dafür die Nieren, die schon in Kindertagen einige Zeit nicht ohne Einschränkung funktioniert hatten, verantwortlich waren, ahnte er nicht. „Wir Mitspieler dachten, es läge daran, dass er jung und recht schmächtig war und sein Körper Probleme mit der Belastung in der fünften Liga hatte“, sagt Spitali. Irgendwann empfahl der damalige Trainer Wolfgang Jerat den Gang zum Arzt. „Der Coach hat gesagt, ich solle mich besser mal durchchecken lassen“, sagt Bosa. Die anschließende Untersuchung brachte Klarheit, aber natürlich alles andere als ein Wunschergebnis. Bosa hatte eine Erkrankung, die mehr als vier Jahre lang sein Leben beherrschen sollte. Doch das ist nun Vergangenheit. Spätestens seit dem 8. März und einem sportlich wertlosen, aber unvergesslichen Treffer in der 84. Minute.