Jena, Reutlingen und Co. schocken die Profis
3:2 nach Verlängerung: Regionalligst Carl Zeiss Jena sorgte gegen den Bundesligisten Hamburger SV für die größte Überraschung. [Foto: Getty Images]
Große Bühne für kleine Klubs. Der DFB-Pokal rückt Deutschlands Amateure ins Rampenlicht. Und manche der Kleinen wachsen im Schweinwerferlicht über sich hinaus. So wie Oberligist SSV Reutlingen und Regionalligist Viktoria Köln, die die Zweitligisten Karlsruher SC und 1. FC Union Berlin aus dem Rennen warfen. Oder die Regionalligisten Carl Zeiss Jena und SpVgg Unterhaching, die mit dem Hamburger SV und dem FC Ingolstadt sogar zwei Bundesligisten aus dem Wettbewerb kegelten.
FC Carl Zeiss Jena - Hamburger SV 3:2 n.V.: Das größte Lob für den Thüringer Regionalligisten kam vom HSV-Trainer Bruno Labbadia: "Jena hat über 120 Minuten leidenschaftlicher gekämpft, sie haben in ihrem Rahmen viele Dinge besser gemacht als wir. Wir sind nicht an die Grenze gegangen und haben verdient verloren."
Auf dem Ernst-Abbe-Sportfeld deutete sich eine große Überraschung schon in der Anfangsphase an. Der Außenseiter aus Thüringen wirkte wach, frech und spielte ohne Ehrfurcht vor dem drei Klassen höher angesiedelten HSV. Bezeichnenderweise ging Jena durch eine Freistoßvariante aus knapp 35 Metern in Führung. Ein Flachschuss von Justin Gerlach trudelte vom Innenpfosten ins Tor (15.).
Die zweite Hälfte startete für den Bundesligisten dann wesentlich besser. Nach einer Hereingabe von der Grundlinie schob Ivica Olic zum Ausgleich ein (48.). Der Treffer gab dem Team von Bruno Labbadia aber keine Sicherheit, stattdessen wirkte er für die Jenaer wie eine Art Wachmacher: Einen perfekt ausgespielten Konter schloss Velimir Jovanovic demnach verdientermaßen zur erneuten Führung ein (58.). Daraufhin verflachte das Spiel, die Hamburger stemmten sich erst spät gegen die Niederlage. Jenas Torwart Raphael Koczor lenkte einen Abschluss vom eingewechselten Sven Schipplock noch an die Latte (85.), in der Nachspielzeit zeigte der Favorit aber einmal mehr seine Comeback-Qualitäten, Michael Gregoritsch gelang doch noch der erlösende Ausgleich (90.+4). In der Verlängerung wirkte Jena frischer. Beide Mannschaften waren bemüht, keine Fehler zu machen, bis Johannes Pieles einen Einwurf ins lange Ecke einköpfte (106.) und der HSV doch ausschied.
"Einfach Wahnsinn, ein Traum, unglaublich"
SpVgg Unterhaching - FC Ingolstadt 2:1: Für Bundesliga-Aufsteiger FC Ingolstadt beginnt die neue Saison mit einem herben Dämpfer. Die Schanzer gerieten im Bayern-Duell bei Regionalligist SpVgg Unterhaching, der nach dem Abstieg aus der 3. Liga hastig eine Mannschaft zusammengewürfelt hatte, unter die Räder. Markus Einsiedler vermieste dem Erstligisten mit einem Doppelpack (30., 47.) den Saisonstart und schoss den Kult-Club, der in der Regionalliga Bayern bislang noch nicht wie gewünscht Fahrt aufgenommen hatte, in die zweite Pokalrunde. "Fußballerisch war das sicher der schönste Tag in meinem Leben", sagte Doppeltorschütze Einsiedler, und Haching-Präsident Manni Schwabl fühlte sich, als seien "Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen".
Pokerspiel im Pokalspiel
SSV Reutlingen - Karlsruher SC 3:1: Normalerweise steht Daniel Ricciardi nicht so sehr im Rampenlicht. Der 31-Jährige ist Personal Trainer und spielt Fußball beim Oberligisten SSV Reutlingen, ist dort Kapitän und Defensivspezialist. Seit Samstagabend kennt ihn ganz Deutschland. Sein SSV gewann völlig überraschend mit 3:1 gegen den Lokalrivalen Karlsruher SC, der vor einigen Wochen noch an die Tür zur Bundesliga klopfte. "Uns hat nahezu alles in die Karten gespielt", sagt Ricciardi im Interview auf DFB.de : "Schon bei der abschließenden Trainingseinheit und danach auch im Hotel war eine ganz spezielle Stimmung zu spüren."
Alle drei Tore erzielte Kapitän Ricciardi, alle drei per Elfmeter. Zweifel hatte er keine. "Erst danach wurde mir bewusst, dass die Verantwortung nicht gerade gering war. Hätte ich nicht getroffen, wäre uns möglicherweise eine einmalige Chance durch die Lappen gegangen", sagt der Dreifachtorschütze: "Spätestens beim zweiten Strafstoß wurde es zwischen KSC-Schlussmann René Vollath und mir zum Pokerspiel, in dem ich glücklicherweise die Oberhand behalten habe."
Zugegen, so ganz amateurhaft ist der SSV Reutlingen nun auch wieder nicht. Mit Sportdirektor Maurizio Gaudino und Trainer Georgi Donkov haben zwei Ex-Profis das Ruder übernommen und wollen den früheren Zweitligisten wieder in höhere Gefilde führen. Erste Effekte kann Ricciardi bereits erkennen: "Die Professionalität hat sich spürbar erhöht. Trainer Georgi Donkov zieht zum Beispiel sein Training von der ersten bis zur letzten Minute perfektionistisch durch. Bei ihm können wir uns alle etwas abschauen. Er stellt uns optimal auf die Spiele ein." Ende Oktober kann er sein Team auf einen nächsten Höhepunkt einstellen - die zweite Runde im DFB-Pokal.
Perfekter Tag in Köln
Viktoria Köln - 1. FC Union Berlin 2:1: Auch in Köln wurde in der Nacht auf Sonntag "ordentlich gefeiert. Das haben wir uns verdient. Einige Kölsch werden fließen", sagte Mike Wunderlich am Samstag unmittelbar nach dem 2:1-Sieg seines FC Viktoria Köln gegen Zweitligist 1. FC Union Berlin. "Einfach Wahnsinn, ein Traum, unglaublich", beschrieb der Viktoria-Kapitän seine Gefühle nach dem Pokal-Coup im Interview auf DFB.de : "Es war ein perfekter Tag."
Der 29-jährige Mittelfeldregisseur erzielte den Treffer zum 1:1-Ausgleich und leitete damit die Wende ein, nachdem die Gäste aus Berlin in der ersten Halbzeit in Führung gegangen waren. "Jedes Tor ist etwas Außergewöhnliches. In so einem wichtigen Spiel ist es natürlich doppelt emotional. Man ist für ein paar Augenblicke in einer anderen Welt", sagt Wunderlich. Als Jules Reimerink in der 75. Minute den Siegtreffer erzielte, kannte der Jubel der Kölner keine Grenzen mehr.
Als nächsten Gegner wünscht sich Wunderlich "natürlich Bayern München. Oder Borussia Dortmund. Der 1. FC Köln wäre auch eine riesige Sache. Aber egal, wir können es ja sowieso nicht beeinflussen. Wir nehmen was kommt und freuen uns riesig darauf. Wir haben schon jetzt mehr erreicht, als viele erwartet hatten."
Nöttingen erschreckt die Bayern
FC Nöttingen - Bayern München 1:3: Die Bayern überstanden im Karlsruher Wildparkstadion gegen Nöttingen eine Schrecksekunde: Nach der planmäßig frühen Führung durch Star-Zugang Arturo Vidal per Handelfmeter (3.) schlug der Oberligist völlig unerwartet zurück: Niklas Hecht-Zirpel überwand Bayern-Keeper Sven Ulreich nach einem blitzsauberen Konter im zweiten Versuch (16.). Dann legte der Rekordmeister zu: Mario Götze stellte schon im nächsten Angriff wieder die Führung her (17.), Robert Lewandowski erstickte mit dem 3:1 noch vor der Pause alle verbliebenen Nöttingener Hoffnungen auf das Pokalwunder. Den zweiten Durchgang dominierten die Bayern klar, weitere Ereignisse blieben aus.
VfB Lübeck - SC Paderborn 1:2: In Lübeck musste Bundesliga-Absteiger SC Paderborn lange zittern. Der VfB präsentierte sich als hartnäckiger Kontrahent und ging kurz vor dem Seitenwechsel durch Stefan Richter mit 1:0 in Führung (43.). Doch die Paderborner drückten im zweiten Durchgang auf die Wende - und hatten damit schnell Erfolg: Ausgerechnet ein Eigentor durch Lübecks Lukas Knechtel führte zum Ausgleich (54.), Mahir Saglik versetzte dem Regionalligisten schließlich den Knock-Out. (59.)
FK Pirmasens - 1. FC Heidenheim 1:4: Zweitligist 1. FC Heidenheim hatte beim FK Pirmasens keine Mühe. Ben Halloran (28.) und Smail Morabit (32.) stellten die Weichen per Doppelschlag schon früh auf Sieg. Robert Leipertz sorgte mit zwei Treffern (51., 80.) für die Entscheidung. Der Regionalligist aus der Pfalz hatte gegen die Heidenheimer Offensivwelle keine Mittel, erzielte in Person des eingewechselten Alexander Schmieden immerhin den Ehrentreffer.
Rot-Weiss Essen - Fortuna Düsseldorf 1:3 i.E.: Fortuna Düsseldorf setzte sich bei Rot-Weiß Essen erst im Elfmeterschießen durch. Karim Haggui, Christian Strohdiek und Michael Liendl verwandelten für die Fortunen, beim Regionalligisten traf nur Kapitän Moritz Fritz. Sowohl in der regulären Spielzeit als auch in der Verlängerung waren zuvor trotz zahlreicher Großchancen auf beiden Seiten keine Tore gefallen. Die Fortuna spielte seit der 83. Minute zu zehnt, nachdem Linksverteidiger Lukas Schmitz mit Gelb-Rot vom Platz geflogen war.
KSV Hessen Kassel - Hannover 96 0:2: In Kassel lief Bundesligist Hannover 96 dem Regionalligisten weitestgehend nur hinterher. Die Führung der 96'er fiel wie aus dem Nichts, dafür schon früh in der Partie: Nach 16 Minuten wuchtete Verteidiger Salif Sané den Ball nach einer Ecke zum 1:0 ins Netz. Die Hessen wehrten sich nach Kräften, überzeugten spielerisch wie kämpferisch - nur die fahrlässige Chancenauswertung verhinderte am Ende die fast schon überfällige Überraschung. In der Nachspielzeit machte Kenan Karaman alles klar.
Bahlingens Pech im Elferschießen
HSV Barmbek-Uhlenhorst - SC Freiburg 0:5: Freiburg stellte gegen den Hamburger Fünftligisten HSV Barmbek-Uhlenhorst durch Goalgetter Nils Petersen die Zeichen früh auf Sieg (2.). Wer aber nun ein erneutes Schützenfest des Zweitliga-Tabellenführer erwartete, der irrte zunächst. Zwar blieben die Breisgauer deutlich spielbestimmend, die Gastgeber versteckten sich in Norderstedt aber nicht und gestalteten die Partie lange offen. Erst kurz vor der Pause gelang Petersen der zweite Treffer (45.). In der zweiten Halbzeit brachen beim Underdog dann alle Dämme und Petersen kannte bei weiteren Toren kein Erbarmen (61., 63.). Julian Schuster (71.) setzte den Schlusspunkt.
FSV Salmrohr - VfL Bochum 0:5: Der in der 2. Bundesliga noch punktverlustfreie VfL Bochum musste sich beim Fünftligisten FSV Salmrohr etwas gedulden. Erst in der 40. Minute erlöste Angreifer Simon Terodde die mitgereisten Anhänger. Der frühere Zweitligist Salmrohr (1986/87), bei dem unter anderem Weltmeister Bernd Hölzenbein und der spätere Bochum-Trainer Klaus Toppmöller ihre aktiven Karrieren beendet hatten, wehrte sich weiter tapfer. Mit Teroddes zweitem Treffer kam der nächste Rückschlag aber gleich nach der Pause, anschließend war der Widerstand des Außenseiters gebrochen.
Bahlinger SC - SV Sandhausen 3:5 i.E.: Im Baden-Württemberg-Duell zwischem dem Regionalliga-Aufsteiger Bahlinger SC und dem Zweitligisten SV Sandhausen war ein Klassenunterschied zunächst nicht zu erkennen. Die perfekt in die Meisterschaft gestarteten Sandhäuser taten sich schwer, der polnische Zugang Jakub Kosecki hatte in der ersten Hälfte noch die beste Gelegenheit (19.). Der SVS machte sich zu Beginn des zweiten Durchgangs das Leben dann selbst schwer: Stefan Kulovits (54.) sah wegen wiederholten Foulspiels Gelb-Rot. Höhepunkte vor den Toren beider Teams blieben aber aus, es ging in die Verlängerung. Dort belauerten sich beide Teams weiter. Der eingewechselte Pierre-Christoph Göppert ließ für Bahlingen nach einem Konter noch die beste Gelegenheit aus (101.). Im Elfmeterschießen versagten ihm dann nach sieben verwandelten Elfmetern als erster Schütze die Nerven, der Ball landete an der Unterkante der Latte. Andrew Wooten verwandelte den entscheidenden Elfmeter für Sandhausen.
Leverkusen in Lottes Sandkasten
Sportfreunde Lotte - Bayer 04 Leverkusen 0:3: Der West-Regionalligist ging motiviert in die Partie und nervte damit das Bundesligateam von Roger Schmidt: "Das war manchmal etwas über das Ziel hinaus geschossen, aber am Ende ist alles in Ordnung", sagte Schmidt nach dem Schlusspfiff: "Wir sind sehr froh. Denn in der ersten Runde kann man sich immer blamieren. Wir wussten, dass Lotte ein schwerer Gegner war. Der Platz war sehr stumpf, da war kein Kurzpassspiel möglich." Etwas irritiert zeigte sich 04-Stürmer Stefan Kießling in Bezug auf die Qualität des Platzes: "Da hätte man im Sandkasten spielen können."
Die Enttäuschung bei Lotte hielt sich indes in Grenzen. "Wir haben uns gut verkauft", sagte SFL-Trainer Ismail Atalan. Die Treffer der Leverkusener hätten letzlich den "Unterschied zwischen einem Viertligisten und einem Champions-League-Teilnehmer widergespiegelt."
Bremer SV - Eintracht Frankfurt 0:3: Für den Bremer SV blieb die Überraschung zwar aus, aber immerhin durfte sich der Bremer Meister Komplimente für seine Qualitäten als Gastgeber abholen. "Ich fühle mich hier fast wie zuhause. Bierbänke kenne ich als gebürtiger Bayer ja", sagte ein relaxter Eintracht-Trainer Armin Veh im im provisorischen Bremer Pressezentrum: "Es ist wichtig, dass du zeigst, dass du besser bist und gewinnst. Man kann eigentlich bei einem so kleinen Verein nur schlecht ausschauen." Für das große Spiel sind die beherzt kämpfenden Bremer ins Stadion des FC Oberneuland ausgewichen, wo sie ein lautstarkes Publikum unterstützte. Nicht dabei beim Jahreshöhepunkt waren übrigens die Spieler Michel Haskamp (29) und Matheus Wild (28), die schon im vergangenen Jahr mit Familie und Freundinnen die Mallorca-Reise geplant hatten.
SV Meppen - 1. FC Köln 0:4: Erstmals seit der Saison 1999/2000 hatte sich der Regionalligist SV Meppen wieder für den DFB-Pokal qualifiziert. Die Partie gegen den 1. FC Köln lockte 13.815 Zuschauern ins ausverkaufte Stadion. Schon früh stellten die Gäste die Weichen auf Sieg. Neuzugang Anthony Modeste setzte den Hoffnungen des Amateurklubs mit einem Dreierpack recht schnell ein Ende. Interessante Randnotiz: Im Jahr 1988 ergriff Toni Schumacher als Torwart des abstiegsbedrohten FC Schalke 04 die Flucht zu Fenerbahce Istanbul. Begründung: "Ich spiele doch nicht in Meppen, da gehe ich lieber in die Türkei." Jetzt trat er die Reise ins Emsland als Vizepräsident des 1. FC Köln doch noch an - mit 17 Jahren Verspätung.
SV Elversberg - FC Augsburg 1:3 n.V.: Bereits am Freitagabend hatte der SV Elversberg aus der Regionalliga Südwest den FC Augsburg am Rande einer Niederlage. Bereits vor fünf Jahren schafften die Saarländer die Sensation, als sie Hannover 96 besiegten. Auch diesmal führten sie lange mit 1:0, ehe der FC Augsburg aufdreht und sich dank drei Jokertore erst in die Verlängerung und am Ende in die zweite Runde rettete.
TuS Erndtebrück - SV Darmstadt 89 0:5: Das Pulverwaldstadion der Gemeinde Erndtebrück (rund 7000 Einwohner) war für das größte Spiel der Vereinsgeschichte zu klein, also wich man Siegener Leimbachstadion aus. Beim Aufsteiger in die Regionalliga West standen Studenten, Schüler, Selbständige im Team, ein Lagerarbeiter im Tor. Achteinhalb Minuten lang verteidigte der Außenseiter in seinem ersten DFB-Pokal-Spiel mit Erfolg, dann aber kassierte er zwei Tore in 74 Sekunden. Aus dem Spiel war damit allerdings noch nicht ganz die Luft raus. Ab und an genehmigte Darmstadt dem leidenschaftlich kämpfenden TuS bei brütender Hitze einen Ausflug in die gegnerische Hälfte. Eine wirklich harte Prüfung war die Darmstädter Generalprobe für das Bundesliga-Comeback jedoch nicht. Die Kräfte des Gegners schwanden früh, vergleichsweise leicht ließen sich die Tore herausspielen. Dennoch lobte SVD-Trainer Dirk Schuster die Underdogs: "Kompliment an die Erndtebrücker, die mutig gespielt und uns das Leben teilweise schwer gemacht haben."