Wattenscheid 09|12.08.2015|15:00

Wattenscheids Toku: „Wir waren schon tot“

Froh, dass es endlich losgeht: Wattenscheids Trainer Farat Toku. [Foto: mspw]

Die Letzten werden die Ersten sein: Sollte dieses Sprichwort auf die SG Wattenscheid 09 in der Regionalliga West annähernd zutreffen, beim ehemaligen Bundesligisten würde sich ganz bestimmt niemand dagegen wehren. Während alle anderen 90 Regionalligisten in den fünf Staffeln schon mindestens eine Partie absolviert haben, wartet die SGW noch auf ihr erstes Punktspiel der neuen Saison 2015/2016. Am Samstag ab 14 Uhr ist es beim aktuellen Meister Borussia Mönchengladbach U 23 soweit.

Trainer Farat Toku geht in seine erste vollständifge Saison als Cheftrainer an der traditionsreichen Lohrheide. In der abgelaufenen Saison hatte der 35-Jährige den Klub in der Winterpause übernommen - und auf der Zielgeraden so gerade eben zum Klassenverbleib geführt. Das will der gelernte Zahntechniker, der von 2001 bis 2004 sowie von 2007 bis 2011 selbst für die Wattenscheider am Ball war, auch diesmal wieder schaffen. Im aktuellen FUSSBALL.DE -Interview spricht Farat Toku über seine Beziehung zum langjährigen SGW-Boss Klaus Steilmann, die verlängerte Vorbereitungszeit und die Schwierigkeiten an der Lohrheide.

FUSSBALL.DE: 90 Regionalligisten haben mindestens schon ein Meisterschaftsspiel absolviert, nur die SG Wattenscheid 09 noch nicht. Ein komisches Gefühl?
Farat Toku: Ein wenig. Unsere Vorbereitung war auf den ersten Spieltag Anfang August ausgerichtet. Dann kam der Spielplan heraus und wir hatten plötzlich ein spielfreies Wochenende. Am zweiten Spieltag sollten wir beim Aufsteiger TuS Erndtebrück antreten, der allerdings im DFB-Pokal im Einsatz war. Ändern können und konnten wir es nicht.

FUSSBALL.DE: War die verlängerte Vorbereitungszeit - gerade am Ende - ein Problem?
Es ist ganz normal, dass die Anspannung steigt, je näher der erste Spieltag rückt. Alle waren heiß, dass es losgeht. Mental ist das dann nicht ganz so einfach, wenn man zunächst außen vor ist.

"Es bringt nichts, sich an die Vergangenheit zu ketten. Der Blick muss nach vorne gehen"

FUSSBALL.DE: Ist der verspätete Auftakt eher Vor- oder Nachteil?
Psychologisch kann diese Konstellation durchaus zum Nachteil werden. Selbst wenn wir gleich zum Auftakt einen Punkt holen, bewegen wir uns in der Tabelle kaum vom Fleck, weil andere Mannschaften schon vorgelegt haben. Auf der anderen Seite konnten wir unsere Gegner schon einmal unter die Lupe nehmen.

FUSSBALL.DE: Auf welchem Stand sehen Sie Ihre Mannschaft?
Ich denke, dass wir für unsere Verhältnisse eine gute Mischung gefunden haben. Unsere finanziellen Mittel lassen es kaum zu, fertige Spieler zu holen. Deshalb setzen wir erneut auf eine recht junge Mannschaft. Im Vergleich zur letzten Saison haben wir die Breite im Kader erhöht.

FUSSBALL.DE: In der abgelaufenen Saison mussten Sie bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt zittern. Das wollen Sie sich ganz bestimmt diesmal ersparen, oder?
Es muss jedem klar sein, dass es auch in dieser Spielzeit wieder eine ganz enge Kiste wird. Stand jetzt steigen fünf von 19 Mannschaften ab. Durch den Nicht-Aufstieg der U 23 von Borussia Mönchengladbach und den Abstieg von Borussia Dortmund II aus der 3. Liga wurde die Qualität in der West-Staffel noch einmal erhöht. Klar, keine Mannschaft will bis zum letzten Spieltag zittern. Wenn wir das mit unseren bescheidenen Mitteln schaffen, wäre das für uns eine Sensation.

FUSSBALL.DE: Wattenscheid startet Samstag ausgerechnet beim aktuellen Meister Borussia Mönchengladbach U 23 in die Saison. Hätten Sie sich lieber einen einfacheren Gegner zum Auftakt gewünscht?
Gladbach ist als Meister der haushohe Favorit. Wir wollen mutig aufspielen und versuchen, unser Spiel durchzubringen. Vielleicht ist es ganz gut, gleich gegen einen starken Gegner anzutreten. Nach dem Spiel wissen wir schon ziemlich genau, wo wir stehen.

FUSSBALL.DE: Sie stehen vor Ihrer ersten kompletten Saison als SGW-Trainer. Macht das die Arbeit einfacher?
In der Vorsaison konnte ich den Kader im Winter kaum noch beeinflussen. Das war diesmal anders, auch wenn es nicht leicht war, Spieler zu finden. Beim Etat liegen wir in der Regionalliga West ganz sicher im unteren Drittel, möglicherweise sogar auf einem Abstiegsplatz. Wunschspieler bekommen wir daher nur ganz selten. Wir haben junge Spieler gesucht, die hungrig sind und etwas erreichen wollen. Sie müssen lernwillig und wissbegierig sein. Das Wichtigste ist, dass die Spieler konstante Leistung abrufen.

FUSSBALL.DE: Wattenscheid ist ehemaliger Bundesligist. Zwischenzeitlich war der Verein sogar nur sechstklassig. Wie haben Sie die Entwicklung erlebt?
Ich habe als Spieler für die SG Wattenscheid 09 zumindest in der dritthöchsten Klasse gespielt und damit noch andere Zeiten erlebt. Damals war der langjährige ‚Boss‘, Klaus Steilmann, noch am Ruder. Er hat den gesamten Verein geführt. Ohne ihn wäre die SGW wohl nie auf der bundesweiten Fußball-Landkarte aufgetaucht. Es bringt aber nichts, sich an die Vergangenheit zu ketten. Der Blick muss nach vorne gehen.

FUSSBALL.DE: Zum 2009 verstorbenen Vereinspatron Klaus Steilmann hatten Sie einen guten Draht.
Das stimmt. Der Boss war halt der Boss. Er hat den Verein voller Leidenschaft geführt. Unter seiner Regie war immer die nötige Ruhe zum Arbeiten da und es herrschte großer Zusammenhalt. Deshalb musste ich auch nicht lange überlegen, als er mich damals von Preußen Münster zurückholen wollte. Ich bin damals extra eine Liga runtergegangen.

FUSSBALL.DE: Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie aktuell besonders zu kämpfen?
Wir sind gerade dabei, die Strukturen in allen Bereichen zu verbessern. Dazu gehört nicht zuletzt der Nachwuchsbereich. Es gilt, viele kleine Schrauben in die richtige Position zu bringen. Das Fußballerische ist nur der eine Aspekt, auf der anderen Seite muss aber auch das Drumherum stimmen, damit es auf dem Platz läuft.

FUSSBALL.DE: Was bedeutet Ihnen Wattenscheid 09?
Ganz klar: Mein Herz spielt bei diesem Verein immer eine Rolle. Die SGW ist nicht nur irgendein Klub für mich. Sonst hätte ich die Mannschaft möglicherweise im Winter ganz sicher nicht übernommen. Mit 16 Punkten war die Lage beinahe aussichtslos und die Mannschaft so gut wie tot. Dennoch haben wir es geschafft. Auf Stürme und Orkane war ich eingestellt. Wir sind immer standfest geblieben. Das sollte uns mit Blick auf die kommende Saison noch stärker machen.