Willy Haseborg: Ehrenamtler mit Sprachfehler
In der Schatzkammer seines Vereins: Willy Haseborg. [Foto: 2015 Getty Images]
Im Club 100 treffen sich einige der herausragenden Ehrenamtler Deutschlands. Seit 1997 lädt der DFB hundert Menschen in den Club ein. An diesem Dienstag findet die Ehrungsveranstaltung in Hannover statt. Mittendrin: der Niedersachse Wilhelm Haseborg, ein Ehrenamtler alter Schule. Und seinen Sprachfehler wird er auch nicht mehr los.
Über die kleinsten Wörter kursieren die schönsten Sprüche. Gesprayt auf eine Berliner Häuserwand stand einmal festgehalten: „Es ist nie zu spät, Nein zu sagen.“ Und Pythagoras, der seine Dreiecke nie gesprayt, sondern in den Sand gezeichnet hat, kam schon zweieinhalbtausend Jahre davor zu dem Ergebnis: „Die kürzesten Wörter, nämlich Ja und Nein, erfordern das meiste Nachdenken“.
"Willy ist die gute Seele des Vereins. Er ist sich einfach für nichts zu schade und packt überall mit an"
Was das mit Fußball und Ehrenamt zu tun hat? Jede Menge. Denn Wilhelm Haseborg hat diesen Sprachfehler, an dem so manche Ehrenamtler alter Schule hierzulande leiden. Der 66-jährige Fußballer vom gar nicht so kleinen VfL Jheringsfehn kann partout nicht „Nein“ sagen. Seit drei Jahrzehnten antwortet „Willy“, wie sie ihn dort oben in Ostfriesland rufen, ziemlich berechenbar und verlässlich mit „Ja“.
1981 übernahm er die E-Jugend des Klubs. Seitdem bekam er immer neue ehrenamtliche Aufgaben aufgetragen. Haseborg ist einer von circa 400.000 Ehrenamtlern, ohne die Deutschlands Fußballvereine einpacken könnten. Heute ist er Sportwart des 870 Mitglieder zählenden Vereins, als Jugendobmann leitet er den Spielbetrieb der 14 Jugendmannschaften, als Assistenztrainer hilft er von der E-Jugend bis zu den 1. Herren. Der Tischlermeister übernimmt jede Reparatur im Vereinsheim, er mäht den Rasen, er trimmt die Hecken. Sein 1. Vorsitzender Uwe de Buhr schwärmt: „Willy ist die gute Seele des Vereins. Er ist sich einfach für nichts zu schade und packt überall mit an.“ Und Hermann Wilkens, Ehrenamtsbeauftragter des Norddeutschen Fußball-Verbandes, bringt es auf den Punkt. „Der Willy“, sagt Wilkens, „kann einfach nicht ‚Nein‘ sagen.“
Wenn man ihn nach den Ursachen seines Sprachfehlers fragt, antwortet er: „Weil ich nicht anders kann.“ Willy Haseborg ist nämlich fußballsüchtig. Als Neunjähriger quetschte er sich in die Kneipe seines Heimatdorfes und sah zu beim WM-Finale Brasilien gegen Schweden. Vavá. Garrincha. Pelé. Er begann selbst Fußball zu spielen und hörte erst 1980 auf. Die blöde Hüfte beendete sein Spiel. Für einen Moment hätte er den Absprung schaffen, seiner Fußballsucht entfliehen können, doch das Spiel, die Kameradschaft, das Gewinnen und sogar das Verlieren fehlten ihm.
„Das kann nicht so weitergehen“, habe seine Frau damals geschimpft und ihn zurück zum Verein geschickt. „Mir fehlte einfach etwas Wichtiges.“ Seit 45 Jahren ist er nun schon verheiratet, hat sechs Enkelkinder und selbstverständlich fragt seine Frau auch mal wütend: „Musst Du schon wieder weg?“ Willy muss. „Ich will einfach den jungen Leuten den Spaß am Sport vermitteln. Es vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht etwas für den Verein mache.“ 800 Meter liegen zwischen dem Haus der Haseborgs und dem Vereinsgelände, und hätte er für jede ehrenamtliche Stunde einen Euro bekommen, „dann hätten wir jetzt drei Häuser da stehen“, sagt er lachend.
Willy Haseborg, 1949 geboren und seit 35 Jahren Fußball-Ehrenamtler im Moormerland, ist natürlich ein Dino, gehört einer bald aussterbenden Gattung an. Längst hat sich ehrenamtliche Tätigkeit auch im Fußball verändert. Ehrenamt früher – das war eine dauerhafte emotionale Bindung. Heute geht es um ein zeitlich befristetes, durchaus mit dem Blick auf Eigeninteressen gewähltes Engagement. Früher handelten Ehrenamtler selbstlos, manche opferten sich schier auf. Heute wird von der ehrenamtlichen Aufgabe im Sportverein ein Mehrwert erwartet. Heute geht es um Persönlichkeitsbildung, Kompetenzerweiterung und Semi-Professionalität. Die Zeiten wandeln sich. Willy Haseborg nicht. Muss er auch nicht.
Für sein ehrenamtliches Engagement im Dienste des Fußballs bekommt er diesen Dienstagmittag in Hannover vor mehr als 350 Gästen seine verdiente Anerkennung. Seit 1997 bestimmen die Ehrenamtsbeauftragten jährlich 280 Menschen für den DFB-Ehrenamtspreis – einen aus jedem Fußballkreis. 100 besonders starke Preisträger werden in den Club 100 aufgenommen und zur Ehrungsveranstaltung rund um ein Spiel der Nationalmannschaft eingeladen. Inklusive Anreise, Unterkunft und zwei Karten für das Länderspiel. Natürlich hat er jedes WM-Spiel verfolgt, er hat Verwandte in Brasilien, fast wäre er damals nach Südamerika geflogen. Jetzt freut er sich auf den Fußball-Klassiker Deutschland gegen die Niederlande.
Der Schriftsteller Otto Leixner von Grünberg sagte einmal: „Immer ,Nein‘ zu sagen, ist nicht ein Zeichen von Kraft, sondern nur von Beschränktheit.“ Ein Satz, der Willy Haseborg gefallen würde.