SpVg Flittard |14.03.2016|10:00

Gehörlos & gut: Berg löst alles spielerisch

Will mit Flittard in die Bezirksliga aufsteigen: der Gehörlose Tobias Berg (weißes Trikot). [Foto: Kämpf / Collage: FUSSBALL.DE]

Benny Schiebahn staunte schon vor sieben Monaten. Und er tut es immer noch. „Ich finde es absolut faszinierend, über was für ein feines Gespür für Spielsituationen Tobias Berg verfügt“, sagt der Trainer der SpVg Flittard über seinen Offensivspieler. Seit einem guten halben Jahr coacht Schiebahn den Kölner A-Kreisligisten und damit auch Berg. Die tägliche Zusammenarbeit ist also eigentlich längst Normalität. Doch es ist eine Normalität mit besonderer Note. Denn Berg ist gehörlos und er meistert dieses Handicap mit Bravour. Dazu gehört eben auch die Gabe, ohne den Zuruf der Mitspieler oder des Trainerteams Herausforderungen auf dem Platz spielerisch zu lösen.

Für ihn ist das nichts Besonderes. „Aber ich sehe mich ja auch nicht spielen, also kann das mein Coach sicherlich besser beschreiben“, meint Berg. Seinem Trainer mangelt es nicht an guten Beispielen. „Wenn der Schiri Abseits pfeift, läuft Tobias eigentlich nie weiter, obwohl er den Pfiff nicht hört. Er spürt das irgendwie“, sagt Schiebahn über seinen dribbelstarken Offensivakteur, der das Kompliment mit einem Achselzucken nimmt.

Schon mit sieben Jahren begann Berg in Schleswig-Holstein beim TuS Dreiring Havetoft seine Fußballkarriere. Kein Wunder, dass er sich 19 Jahre später über seine Reaktionen und seinen Stil, auf dem Platz zu agieren, längst keine allzu großen Gedanken mehr macht. Er spielt eben, wie er es gewohnt ist: Technisch versiert, schussstark und taktisch flexibel. „Zu meinen Stärken zählen Flanken und Torvorlagen“, erklärt Berg. Sein Coach drückt es anders aus: „Tobias ist einer, der den Unterschied machen kann.“

Vor zwei Jahren zog es den gelernten Maler und Lackierer ins Rheinland. Genauer gesagt zog ihn die Liebe dort hin. „Ich bin wegen meiner Freundin hierher gekommen“, so Berg, der sich als begeisterter Fußballer natürlich schnell einen Klub in der neuen Heimat Leverkusen suchte. Zunächst heuerte er beim Bezirksligisten SV Bergfried Leverkusen an, ehe er Anfang 2015 den Weg nach Köln zur SpVg Flittard fand. Weit hat er es noch immer nicht von seinem Zuhause zum Trainingsplatz, denn sein neuer Verein liegt unmittelbar an der Leverkusener Stadtgrenze.

"Tobias ist einer, der den Unterschied machen kann"

Als Schiebahn im vergangenen Sommer das Team übernahm, wusste er, dass mit dem 26-Jährigen Linksaußen ein ungewöhnlicher Spieler zum Kader gehört. „Ich war aber vorbereitet, hatte einige Spiele beobachtet und mich so auf das Coaching eingestellt“, erinnert er sich, „Zudem hat mir mein Vorgänger ein paar Tipps mit auf den Weg gegeben.“ Die Kommunikation mit Berg gestaltet sich natürlich etwas anders als mit hörenden Spielern. Tobias Berg mal eben anzurufen, funktioniert nicht. Doch zum Glück gibt es Smartphones, SMS und Messenger-Dienste. Und bei den Trainingseinheiten und Spielen hat Schiebahn für alle Fälle stets eine kleine Taktiktafel dabei, auf der er Spielzüge oder Anweisungen zeigen kann. „Trotzdem stoße ich manchmal an meine Grenzen“, sagt der Coach. In umgekehrter Richtung läuft es einfacher. Inzwischen, betont Schiebahn, wisse er meist schon aufgrund der Gesten, was Tobias sagen will. „Außerdem kann er ziemlich viele Wörter sprechen. Und er gibt auch schon mal laute Kommandos auf dem Platz.“

Zu Schiebahns Alltag gehört es auch, Schiedsrichter und Verantwortliche der gegnerischen Teams vor dem Anpfiff auf die Besonderheit seines Linksaußen hinzuweisen, um Missverständnissen vorzubeugen. „Alles in allem ist das eine positive Herausforderung, die meinen Horizont als Trainer und Mensch erweitert“, sagt der 30-Jährige, der gemeinsam mit seiner drittplatzierten Mannschaft noch vom Aufstieg träumen darf.

Dumme Kommentare oder diskriminierendes Verhalten gegenüber seinem Akteur hat Schiebahn nie wahrgenommen. Im Team ist Berg, der bekennender Barca-Fan ist, ohnehin eine feste Größe. „Er ist beliebt und gehört voll dazu“, sagt sein Trainer, „Tobias hat eben auch eine Menge Humor und er versteht es, sich einzubringen.“ Mit seinen Teamkollegen verständigt sich Berg in Lautsprache. „Sie verstehen mich“, erklärt er. Die Äußerungen der Mitspieler kann er sich wiederum anhand ihrer Mimik und Gestik erklären, auch wenn er kein perfekter Lippenleser ist. „Und beim Training folge ich einfach den Übungen der anderen“, meint der 26-Jährige. Es braucht also nicht immer Worte, um sich zu verstehen. Beim Fußball noch weniger als anderswo. Erst recht, wenn man ein gemeinsames Ziel vor Augen hat: den Aufstieg in die Bezirksliga.