Premiere! Blindenfußballer an der ZDF-Torwand
Sorgt für eine Premiere in der 53-jährigen Geschichte des aktuellen sportstudios des ZDF: Blindenfußballer Mulgheta Russom vom MTV Stuttgart. [Foto: DFB / Collage: FUSSBALL.DE]
Sechs Schüsse ins Schwarze: Erstmals tritt an diesem Samstagabend ein Blindenfußballer an der Torwand des aktuellen sportstudios im ZDF an. Warum er zuversichtlich ist, verrät der 37-jährige Mulgheta Russom vom MTV Stuttgart, der auch für die deutsche Blindenfußball-Nationalmannschaft spielt, im Gespräch mit FUSSBALL.DE.
„Durch den Blindenfußball habe ich mir alles wieder erobert, was mir der Fußball vorher gegeben hatte"
"Up to Date". Jeder kennt die Musik. Ganz am Ende drei Klavieranschläge – pling, pling, pling – dann der Trompetenstoß. Das aktuelle sportstudio ist fraglos ein Klassiker. Alle kennen es, die meisten schauen es. Vor 53 Jahren lief die Sendung zum ersten Mal. Alles gab es schon, einen schweigenden Boxer und einen Kaiser, der vom Weißbierglas aus traf. Einen Blindenfußballer an der Torwand gab es noch nie. Zeit wurde es also. „Ich freue mich sehr auf ihn. Es ist ja schon unglaublich schwierig für Fußballer, die sehen können, an der Torwand zu treffen. Wie schwierig muss es dann erst für Mulgheta sein. Bin gespannt, wie er das hinkriegt", sagt Sven Voss, der die Sendung am Samstagabend, 30. April (ab 23 Uhr, ZDF), moderieren wird.
Mulgheta Russom lässt das alles kalt, seine sechs Schüsse ins Schwarze, die Tradition, die Millionen am Fernseher. „Das hört sich doch nett an“, sagt der Stuttgarter mit Wurzeln in Eritrea über die erwartet rund 2,5 Millionen Zuschauer an den Bildschirmen. Am Samstag tritt er an der Torwand an. Ein Video auf FUSSBALL.DE brachte ihn ins aktuelle Sportstudio . Gegen wen er antreten wird, steht noch nicht fest. Beim deutschen Rekordmeister im Blindenfußball, dem MTV Stuttgart , schießt Russom etatmäßig die Penaltys, für die deutsche Nationalmannschaft auch. Vor 18 Jahren verlor der frühere Landesligafußballer durch einen Autounfall sein Augenlicht. Seitdem sieht er nichts mehr. Geschossen wird beim Blindenfußball auf Handballtore, den Kasten hütet ein sehender Torwart. Und Russom trifft fast immer.
Was auf den Plätzen so manchem Fußballer beleidigend nachgerufen wird, „Du Blinder!“, Mulgheta Russom ist es. Einer der besten Blindenfußballer des Landes zudem. Seit 2008 gibt es eine Blindenfußball-Bundesliga in Deutschland. Fünfmal hat der großgewachsene Russom seitdem den Titel gewonnen. Die Schwaben sind Rekordmeister. Und in der Nationalmannschaft gehört der 37-Jährige mit seinem Klubkameraden Alexander Fangmann zum festen Stamm. Sein nächstes und voraussichtlich letztes großes sportliches Ziel: 2017 findet in Berlin die Europameisterschaft statt. Vor wenigen Tagen erst kam der Zuschlag. „Klar, auf jeden Fall will ich bis dahin noch spielen. Ich muss jetzt nicht in den Ruhestand gehen. Ich bin fit“, sagt er, der heute sein Geld als Trainer im Stuttgarter Fitnessstudio Motiv verdient.
Der 3. Oktober 1998 veränderte sein Leben. Mit dem Auto war der Landesligafußballer nach einem Discobesuch auf der Heimfahrt. Warum der damals 20-Jährige von der Straße abkam, verstand niemand, am wenigsten er selbst. Er trank damals keinen Schluck Alkohol, nahm keine Drogen. Mulgheta prallte frontal gegen einen Baum, sein Auto geriet in Brand. „Mein Glück war, dass ich nicht angeschnallt war und hinausgeschleudert wurde. Sonst wäre ich verbrannt“, erzählt er. Die Wirbelsäule und das Gehirn waren gequetscht, mehrere Gesichtsknochen zertrümmert. Ein Knochensplitter bohrte sich in die Augenhöhle. Viereinhalb Monate lag er im Koma.
Er hat sich nie aufgegeben, nie den Mut verloren, nie klein beigegeben. Zwei Berufsausbildungen hat er absolviert, zuerst als Korbflechter, dann als Fitnesstrainer. Seine Kunden im Fitnessstudio schätzen seine Sachkenntnis. Russom ertastet Verspannungen im Genick und Schulterbereich, therapiert mit Massage, Gymnastik und Krafttraining. Er liebt die Mode, zieht sehr gerne öfter mal einen Anzug an. Jahre nach dem Unfall lernte er den Blindenfußball kennen. Heute sagt er: „Durch den Blindenfußball habe ich mir alles wieder erobert, was mir der Fußball vorher gegeben hatte. Ich fühle mich völlig frei auf dem Spielfeld. Durch den Sport führe ich ein selbstbestimmtes Leben.“
In Gelsenkirchen startet die Blindenfußball-Bundesliga am 7. Mai in die neunte Saison. Das Spiel zieht in den Bann, bei den Städtespieltagen verfolgen tausende Zuschauer, wie völlig blinde Menschen auf dem 20 x 40 Meter großen Feld rennen, wie perfekt sie den Ball mit der Rassel behandeln. Nach dem dritten Platz im Vorjahr will Mulgheta Russom mit dem MTV Stuttgart wieder ganz oben stehen. Vorher hat er sich für diesen Samstag ein anderes großes Ziel gesetzt: Drei unten rechts, drei oben links. Seine sehr selbstbewusste Prognose: „Vier könnten drin sein.“