Interview |21.09.2016|14:30

Jenas Koczor: Nur bei Lewandowski chancenlos

Raphael Koczor spielte in der 1. Runde des DFB-Pokals gegen den FC Bayern und kassierte von Robert Lewandowski (rechts) in 90 Minuten dreimal so viele Gegentore wie in den sieben Regionalligaspielen der Saison. [Foto: Imago (2) / Collage: FUSSBALL.DE]

Dass der FC Carl Zeiss Jena derzeit durch die Saison in der Regionalliga Nordost marschiert, liegt auch an der herausragenden Defensive. Nach sieben Spielen musste der verlustpunktfreie Spitzenreiter erst ein Gegentor hinnehmen. Ein Grund dafür ist Jenas Torwart Raphael Koczor, der die gegnerischen Angreifer regelmäßig zur Verzweiflung bringt. Auch im Topspiel beim ärgsten Verfolger Hertha BSC U 23 am Freitagabend (ab 18 Uhr) will der 27-jährige Koczor seinen Kasten wieder sauber halten.

Im aktuellen FUSSBALL.DE - Regionalliga-Interview der Woche spricht Raphael Koczor mit Mitarbeiter Christian Knoth über seinen beeindruckenden Saisonstart mit dem FC Carl Zeiss, die Pokalniederlagen gegen den deutschen Rekordmeister FC Bayern München sowie beim Landesligisten BSV Eintracht Sondershausen, eine offene Rechnung mit der U 23 von Hertha und seine vielen Reisen zu Spielen anderer Vereine.

"Wenn du fünf Gegentore bekommst, machst du dir als Torwart immer Gedanken, ob du nicht den einen oder anderen Ball hättest halten können"

FUSSBALL.DE: Sieben Partien, ein Gegentor. Spielen Sie bisher die Saison Ihres Lebens, Herr Koczor?

Raphael Koczor: Das ist schwer zu sagen. Klar ist, das nicht nur ich, sondern wir als gesamte Mannschaft bisher sehr zufrieden sein können. Jetzt gilt es, an die Leistungen der zurückliegenden Wochen anzuknüpfen und sich nicht auf den Erfolgen auszuruhen.

FUSSBALL.DE: Haben Sie Ihre bisherige Saisonbestleistung im Kopf?

Koczor: Genau weiß ich es nicht. Ich kann mich aber daran erinnern, dass ich zu meiner Zeit beim jetzigen West-Regionalligisten Sportfreunde Siegen in den Spielzeiten 2011/2012 und 2012/2013 in insgesamt 66 Partien 35-mal zu Null gespielt habe. Das ist glaube ich nicht allzu schlecht. (lacht)

FUSSBALL.DE: Ausgerechnet beim 4:1-Auswärtserfolg beim Schlusslicht TSG Neustrelitz kassierten Sie Ihr bisher einziges Gegentor in der Liga. Wie sehr haben Sie sich darüber geärgert?

Koczor: Das hat mich schon gewurmt. Besonders, weil ich am Gegentor nicht ganz unbeteiligt war. Wäre ich im Tor geblieben und nicht herausgelaufen, hätte ich den Ball wahrscheinlich gehalten. Aber jetzt kann ich es nicht mehr ändern. Außerdem haben wir das Spiel noch 4:1 gewonnen. Da ist man dann nicht ganz so traurig über den Gegentreffer.

FUSSBALL.DE: Bereits in der vergangenen Saison war die Defensive des FC Carl Zeiss Jena stark. 33 Gegentreffer standen zu Buche. Nach der Hinserie waren es nur sechs Gegentore. Was ist der Grund für die konstant solide Abwehrleistung?

Koczor: Wir haben eine eingespielte Abwehr, die sich nicht erst finden musste und in der sich jeder auf den anderen verlassen kann. Das gilt aber nicht nur für die Defensive, sondern für das ganze Team. Wir harmonieren als Mannschaft gut, verstehen uns hervorragend. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

FUSSBALL.DE: Im DFB-Pokal gab es dagegen ein 0:5 gegen den deutschen Rekordmeister FC Bayern München. Robert Lewandowski traf dreimal. Hand aufs Herz: Waren alle fünf Treffer unhaltbar?

Koczor: Wenn du fünf Gegentore bekommst, machst du dir als Torwart immer Gedanken, ob du nicht den einen oder anderen Ball hättest halten können. Schon im Spiel selbst habe ich nach dem 0:2 und nach dem 0:3 von Lewandowski überlegt, was ich hätte besser machen können. Beim 0:2 habe ich nicht damit gerechnet, dass er den Ball ein wenig über mich drüber lupft. In solchen Situationen zeigt sich dann, dass er ein Weltklassespieler ist. Beim dritten Gegentreffer muss ich zumindest springen und versuchen, den Ball zu erreichen. Trotz des 0:5 war das Spiel aber ein absolutes Highlight für uns alle. Uns war von Beginn an klar, dass wir nur minimale Chancen auf das Weiterkommen haben. Ob du dann am Ende 0:3 oder 0:5 verlierst, ist vollkommen egal.

FUSSBALL.DE: Agieren Sie als Torwart anders, wenn ein Robert Lewandowski anstatt eines Regionalligastürmers auf Sie zuläuft?

Koczor: Nein. In dem Moment hast du auch gar keine Zeit, dir darüber Gedanken zu machen. Allerdings ist bei einem Spiel gegen Bayern das ganze Drumherum etwas ganz Anderes. Anstatt 4000 Zuschauer sind auf einmal rund 20.000 Besucher im Stadion. Das ist schon überwältigend. Als Torwart bist du gegen einen Bundesligisten auch mehr gefordert. Ich musste beispielsweise mehr mitspielen als sonst, viele Pässe spielen, weil die Münchner viel Druck auf unsere Abwehr ausgeübt haben.

FUSSBALL.DE: Auch im Thüringer Landespokal war früh Schluss. In der zweiten Runde gab es ein 0:1 beim Landesligisten BSV Eintracht Sondershausen. Was lief falsch?

Koczor: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass jeder danach mit sich zu kämpfen hatte. Es tat schon weh, weil wir uns die Chance verbaut haben, nächstes Jahr wieder auf der großen Bühne im DFB-Pokal am Ball zu sein. Allerdings gibt es solche Spiele, in denen nicht viel klappt, immer wieder. Wichtig war, dass wir die Niederlage schnell weggesteckt haben, danach beim 4:1 in Neustrelitz den Schalter direkt wieder umlegen konnten.

FUSSBALL.DE: In der Liga rangieren Sie mit Jena unangefochten an der Spitze. Wie gut stehen die Chancen auf die Meisterschaft?

Koczor: Der Saisonstart war hervorragend. Das wissen wir alle. Dennoch gibt es viele Konkurrenten, die sich bisher unter Wert verkauft haben und ebenfalls eine Rolle im Titelrennen spielen wollen. Dazu zähle ich unter anderem den derzeit kriselnden FSV Wacker Nordhausen und den immer besser in Fahrt kommenden FC Energie Cottbus . Es gab in den vergangenen Jahren genügend Beispiele für Teams, die lange Spitzenreiter waren, am Ende aber nicht mehr konstant ihre Spiele gewinnen konnten. Die Liga ist unberechenbar. Deshalb ist es noch zu früh, zu sagen, wie gut unsere Titelchancen stehen.

FUSSBALL.DE: Am Freitag steht das Spitzenspiel bei der U 23 von Hertha BSC an. Mit einem Sieg würden Sie den Vorsprung auf Platz zwei mindestens auf sechs Zähler ausbauen. Wie wichtig wäre es, am Freitag einen Dreier einzufahren?

Koczor: Wir setzen uns nicht unnötig unter Druck, gehen mit der gleichen Einstellung wie in den vergangenen Wochen in die Partie. Entscheidend ist, dass wir locker bleiben und Spaß am Fußball haben. Dann bleiben wir auch erfolgreich. Klar ist, dass Hertha ein sehr starker Gegner ist. In der zurückliegenden Saison haben uns die Herthaner in unserem Stadion vorgeführt, 5:3 besiegt. Jetzt möchten wir den Spieß umdrehen.

FUSSBALL.DE: In Jena stehen Sie seit 2014 unter Vertrag. Zuvor waren Sie bis auf ein halbes Jahr beim Südwest-Regionalligisten Hessen Kassel immer im Westen am Ball. Gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Fußball im Westen und im Nordosten?

Koczor: In der Regionalliga West gibt es mehr Traditionsvereine, die früher Profifußball gespielt haben. Das Zuschaueraufkommen ist dementsprechend größer. Bei Spielen von Rot-Weiss Essen denkst du zum Beispiel, du wärst bei einer Bundesligapartie. Ich war in den zurückliegenden Jahren öfter im RWE-Stadion an der Hafenstraße, weil dort einige Freunde von mir gespielt haben und zum Teil immer noch am Ball sind.

FUSSBALL.DE: Wer genau?

Koczor: Vom aktuellen Kader kenne ich nur noch Richard Weber. Wir haben zusammen in Siegen gespielt. In der Essener Mannschaft der vergangenen Saison waren mit Daniel Grebe, der mittlerweile für den Wuppertaler SV aktiv ist, und dem jetzigen Uerdinger Leon Binder zwei weitere ehemalige Mannschaftskollegen aus Siegen dabei. Ich wurde von ihnen einige Male zu Spielen von RWE eingeladen. Der Einladung bin ich gerne gefolgt. Zum einen, weil ich ohnehin einmal die Woche meine Familie besuche. Meine Eltern wohnen im rund 30 Kilometer von Essen entfernten Witten. Zum anderen bin ich fußballverrückt, gucke mir gerne Spiele von anderen Vereinen an, wenn es die Zeit zulässt.

FUSSBALL.DE: Welche Spiele haben Sie sich zuletzt angeschaut?

Koczor: Ich bin die ganze Woche unterwegs. (lacht) Erst am Dienstag war ich mit einigen Mannschaftskollegen beim Drittligaspiel des FSV Zwickau gegen Jahn Regensburg. Auch, weil bei Zwickau unser ehemaliger Mannschaftskollege Marcel Bär spielt. Marcel hat drei Tore gemacht, Zwickau 4:0 gewonnen. Besser hätte der Abend also nicht laufen können. Am heutigen Mittwoch schaue ich mir außerdem das Bundesligaspiel von RB Leipzig gegen Borussia Mönchengladbach an. Ab morgen gilt die volle Konzentration dann aber wieder unserer eigenen Partie in Berlin.