Futsal |30.12.2017|12:30

Starkes Team: Flüchtlinge zaubern für Sölde

Das Futsal-Team des VfR Sölde: Geflüchtete kicken für die Grün-Weißen. [Foto: privat]

Wenn der VfR Sölde an diesem Samstag, 30. Dezember, in die Vorrunde der Dortmunder Hallenstadtmeisterschaften einsteigt, ist der Bezirksligist eher nicht der Favorit auf den Titel. Dabei weiß der Bezirksligist einige großartige Indoor-Kicker in seinen Reihen – sie heißen Mholi, Hassan, Mohammed und Asgiar, kommen aus Afghanistan und sind die Futsal-Mannschaft des VfR Sölde.

Seit dem 1. August dieses Jahres kicken die Flüchtlinge für die Grün-Weißen, in der Futsal-Westfalenliga sind sie auf dem Sprung an die Tabellenspitze. Den Auftritt bei den prestigeträchtigen Dortmunder Hallenstadtmeisterschaften lässt sich allerdings die erste Mannschaft des VfR Sölde nicht nehmen, die Neuankömmlinge müssen zuschauen, obwohl sie das Turnier gewinnen könnten. „Wenn nach Futsal-Regeln gespielt würde, könnten sie uns den Pokal direkt geben“, meint Siggi Müller.

Iran ist Weltranglisten-Dritter

Müller ist der Fußballkreis-Koordinator und Integrationsbeauftragte in Sölde und hat in den vergangenen Jahren schon so einige Projekte angeschoben, die den sozialen, völkerverbindenden Charakter eines Sportvereins wunderbar unterstreichen. „Wir haben mit internationalen Förderklassen, zum Beispiel aus der Nordstadt, bei uns auf der Anlage trainiert“, berichtet Siggi Müller.

"Die Jungs aus Afghanistan sind nicht nur richtig gut am Ball, sondern auch charakterlich für uns eine Bereicherung"

Nun also ein eigenes Flüchtlingsteam. Im Iran haben Mholi und Co. ihre Leidenschaft für Futsal entdeckt. Auf der Flucht aus ihrer gefährlichen Heimat Afghanistan landeten sie zunächst in einem Auffanglager im Iran. Futsal ist dort ein großes Ding, Iran ist Weltranglisten-Dritter – und möglicherweise auf dem Weg, die Kräfteverhältnisse im Fußball neu zu ordnen. Deutschland, der für seine Nachwuchsarbeit viel gelobte Weltmeister, erlebte jedenfalls bei der U-17-WM im Oktober in Indien eine Lehrstunde vom Iran: 4:0 hieß es für die Kicker aus der islamischen Republik.

Immer Angst vor der Abschiebung

Nach Monaten im Iran, in denen der Fußball fast die einzige Abwechslung ist, schaffen die Afghanen die Weiterreise nach Deutschland. Ein Teil von ihnen kommt in der Johannes-Falk-Unterkunft in Dortmund-Brechten unter, andere im nahe gelegenen Mengede oder Lünen. Der Fußball bleibt für sie auch hier der Türöffner in eine neue Welt. Insgesamt 16 junge Männer melden sich nach Vermittlung durch den rührigen Ehrenamtler Siggi Müller beim VfR Sölde an. Ihr wichtigster Ansprechpartner wird Ebrahim Khademi, ebenfalls ein Zugezogener.

Der inzwischen 23-Jährige findet 2011 über den Iran, Italien, Frankreich, die Niederlande und Belgien den Weg nach Deutschland. Die Angst, wieder nach Afghanistan zurück zu müssen, bleibt bis heute. „Ich bin zur Schule gegangen und wollte mein Fachabi machen, dann kam der Bescheid zur Abschiebung“, berichtet Ebrahim Khademi in fließendem Deutsch. „Dann habe ich mir einen Anwalt genommen und über den VfR Sölde eine Ausbildung als Industriemechaniker bekommen. Seitdem wird mein Bleiberecht Jahr für Jahr verlängert, aber ich hoffe natürlich auf ein unbefristetes Visum.“

Ablenkung von den Gedanken um eine nach wie vor ungewisse Zukunft in seinem neuen Heimatland bietet der Fußball. Vor sieben Jahren noch einer der wenigen Flüchtlinge, die aus Afghanistan nach Deutschland kommen und vorher selbst für den Hörder SC und den VfR Sölde am Ball, wird er Trainer. „Vor eineinhalb Jahren haben wir mit Freundschaftsspielen und Turnieren gegen andere Flüchtlingsteams aus ganz Deutschland angefangen. Als wir gemerkt haben, dass wir gut mithalten konnten, haben wir uns in der Futsal-Liga angemeldet“, erzählt Ebrahim Khademi.

Wie gut sie im Wettbewerb sind, testen die Afghanen vom VfR Sölde vorher in einem Freundschaftsspiel – ihr Gegner ist der FC Schwerte. „Die haben das wohl nicht richtig ernst genommen, denn unsere Jungs haben ruckzuck 3:0 geführt“, erinnert sich „Siggi“ Müller. Am Ende gewinnt der renommierte Gegner aus der Futsal-Oberliga Westfalen mit 5:4, aber jetzt kennen sogar die Schwerter das neue Team aus der Nachbarschaft. „Die Jungs aus Afghanistan sind ja nicht nur richtig gut am Ball, sondern auch charakterlich für uns eine Bereicherung“, betont „Siggi“ Müller.

Ihre Freude am Fußball und der Glaube an eine bessere Zukunft hält sie aufrecht. Die meisten der zurzeit 14 Afghanen des VfR Sölde gehen zur Schule, lernen Deutsch und wollen so schnell wie möglich in Deutschland arbeiten. Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen aber ist von der Abschiebung bedroht, weil die Bundesregierung das vom Bürgerkrieg nach wie vor erschütterte Afghanistan als „ein zu Teilen sicheres Herkunftsland“ erklärt hat. Unfassbar für Menschen wie Ebrahim Khademi, der kurz nach Weihnachten um seine Familie bangen muss. In Kabul sterben nach einem Selbstmordanschlag am 28. Dezember mindestens 35 Menschen. „Das war 400 Meter vom Haus meiner Familie entfernt“, sagt Ebrahim Khademi leise.

Training an verschiedenen Orten

Ein wenig Trost kann auch hier der Fußball spenden. Ebrahim Khademi will sich am Samstag nach Aplerbeck aufmachen, wenn der VfR Sölde in die Vorrunde zu den Dortmunder Hallenstadtmeisterschaften einsteigt. Für sein Team geht es erst am 13. Januar weiter, in der Futsal-Westfalenliga ist Unna-Königsborn der nächste Gegner. Noch ist nicht sicher, wo gespielt wird, denn der VfR Sölde hat für seine Flüchtlinge keine Halle zur Verfügung. Trainiert wird mal in Hörde, in Brackel, in einer Schulsporthalle oder auf dem Kleinfeld auf der Sölder Sportanlage, im Pötschke Rosengarten. Auch die große Halle im Sportcentrum Kamen-Kaiserau durften die Afghanen mal benutzen, aber es ist alles keine Regelmäßigkeit.

Möglicherweise findet die Partie gegen Königsborn am 13. Januar auch in Unna statt, dort hätten die afghanischen Flüchtlinge für einen Tag Bleiberecht.


Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes haben wir geschrieben, dass der VfR Sölde mit 4:5 gegen den zweimaligen Vizemeister Holzpfosten Schwerte verloren hatte. Das ist nicht korrekt. Sölde hatte mit 4:5 gegen den Oberligisten FC Schwerte verloren.