Auf ein Wort|03.03.2018|14:00

Roland Kästel: "Spielen ohne Hände"

Roland Kästel (l.) trotzt seiner Behinderung: "Das, was uns verbindet, ist der Spaß am Fußball."[Foto: by Peter Hennrich]

Auf ein Wort: Von Geburt an lebt Roland Kästel ohne Hände. Der Innenverteidiger des TSV Weiler erklärt, warum das "Shakehands" vor Spielen gerade für ihn und auch seine Gegner von besonderer Bedeutung ist und wie der Amateurfußball ihn in schwierigen Zeiten wiederaufgebaut hat.

Am besten sage ich es gleich: Ihr dürft mich gerne alles fragen, wenn ihr mich trefft. Ich habe gelernt, über meine fehlenden Hände offen und entspannt zu sprechen. Ob ich nun bei meinem Bürojob in der Personalabteilung der Agentur für Arbeit sitze, mit meiner Ehefrau durch die Innenstadt spaziere oder auch auf dem Rasen als Innenverteidiger des TSV Weiler um jeden Ball kämpfe – in keinem dieser Lebensbereiche muss man besondere Rücksicht auf mich nehmen oder mich gar bemitleiden.

Als ich sechs Jahre alt wurde, waren meine Eltern und ich mit der Frage konfrontiert, ob Hand-Prothesen mein Leben einfacher machen würden. Doch schnell hatte ich für mich festgestellt, dass meine fehlenden Hände mich nur optisch einschränken. Koordinativ und physisch hatte ich bis dahin ja schon gelernt, mich zu bewegen und meinen Alltag zu meistern. Also entschloss ich mich dazu, meine Arme nicht mehr verstecken zu wollen. Das ist aber nicht ganz einfach, wenn sich im Kindergarten oder später in der Grundschule – wie bei allen jungen Menschen – Grüppchen und Cliquen bilden, zu denen man auch dazugehören möchte.

Klar, als Jugendlicher war ich alles andere als souverän. Damals, in der Findungs- und Entwicklungsphase, musste ich erst noch lernen, mit meiner körperlichen Beeinträchtigung im Alltag ganz cool umzugehen. Ich hatte Schwierigkeiten, Freunde zu finden oder Kontakte zu knüpfen, weil ich wusste, dass spätestens der zweite Blick immer auf meine Unterarme fällt. Das hat mich lange gehemmt.

"Als Kind wurde ich oft gehänselt"

Als Kind wurde ich oft gehänselt. Wenn hässliche Worte fielen, rannte ich auch schon heulend nach Hause.

Nur eine Sache gab es, bei der Hautfarbe, Statur, Geschlecht oder körperliche "Eigenarten" keinerlei Rolle spielten: der Fußball! Wenn du geil spielst – egal ob auf dem Spielplatz, dem Schulhof oder im Verein –, interessiert es niemanden, ob du Hände hast oder nicht. So schenkte mir dieser Sport die Basis, um mein Leben selbstbewusster leben zu können und mich persönlich weiterzuentwickeln. Ich übertrug diese Erkenntnis in den Beruf und das Privatleben und konzentriere mich auf das, was ich mache, und weniger auf meine äußeren "Besonderheiten".

Ich trinke, esse und schreibe, indem ich Gegenstände, die andere in die Hand nehmen, mit beiden Armen in der "Quetschform" halte. Das Smartphone bediene ich durch die sensiblen Stellen an meinem Daumenansatz. Beim Fußball kann ich Einwürfe, mich selbstständig an- und ausziehen oder beim Eckball mit dem Stürmer den regelkonformen Zweikampf führen. Nur beim Schuhebinden helfen mir meine Mannschaftskameraden. Die meisten Freundschaften, die sich über die Jahre entwickelt haben, wurden sicherlich durch die Weiler Fußballgemeinde geprägt. Aber das geht weit über ungebundene Kickstiefel hinaus. Vielmehr werde ich im Verein und von meinen Kameraden als Teamkollege geschätzt – nicht aus Mitleid, sondern eher als Leistungsträger unseres Teams.

Wer sich in einer ähnlichen Lebenssituation befindet, weiß, dass es Höhen und Tiefen in solch einer Entwicklung gibt. Auch wir Fußballer kennen Saisonphasen, in denen die Trainingsbeteiligung hoch ist, weil Siege motivierend wirken, während Niederlagen oft Lustlosigkeit oder gar Abwesenheit bedeuten können. Die besseren Zeiten – ob im Sport oder im Alltag – kommen aber nur wieder, wenn dafür gearbeitet und gekämpft wird. Egal, was andere sagen oder wie aussichtlos die Situation erscheint.

Also bitte: keine erschreckten Gesichter mehr, wenn wir uns auf dem Sportplatz begegnen. Traut euch stattdessen gerne an mich heran! Vor dem Spiel wünsche ich euch Glück und eine faire Partie. Die Punkte und den Sieg gebe ich aber nicht so leicht her. Aber mit Freude reiche ich euch auch nach dem Spiel wieder meine "Hand"! Denn das, was uns verbindet, ist der Spaß am Fußball.

Roland Kästel wurde im Oktober 1992 mit einer Unterarm-Fehlbildung geboren, er verfügt rechts lediglich über einen Daumenansatz, während der linke Unterarm komplett ohne Hand ist. Trotzdem durchlief der 25-jährige Weiler eine normale Schullaufbahn: Nach Kindergarten und Grundschule wechselte Kästel auf die Realschule in Conweiler-Schwann, wo er 2005 seinen Abschluss machte. Seine Ausbildung als Fachangestellter für Arbeitsförderung bei der Agentur für Arbeit beendete er drei Jahre später. Seit seinem vierten Lebensjahr spielt Kästel Fußball – "klar die beste Sportart für mich", erklärt er augenzwinkernd. Sein erstes Dress streifte er sich im Jugendbereich beim TSV Weiler über. Der Mangel an Jugendspielern im Heimatverein zwangen ihn dann, einen "Ausweichversuch" zum FV Neuenbürg zu machen. Zwischen 2003 und 2006 wurde Kästel regelmäßig zum DFB-Stützpunkt Schöneck eingeladen. Es folgten mit dem VfR Pforzheim und dem SV Langensteinbach Stationen in der Landes- und Verbandsliga. Im Aktivenbereich zog es den Innenverteidiger schließlich dann nach Weiler zurück, wo er 2017 die Meisterschaft und den Aufstieg in die Kreisliga Pforzheim feierte. Heute steht Kästel auch neben dem Platz "voll im Leben". Über eine Vereinsparty lernte er die Frau kennen, die er letzten Sommer geheiratet hat. Er ist umringt von Freunden, die ihm "Spaß" machen – gerade auch, weil es auch Freunde sind, die ihn früher wegen seiner Behinderung gehänselt haben. Und es sind Freunde, die er vor allem durch den Verein und über den Amateurfußball in der Region gefunden hat. "Ich kann nicht alles, aber ich weiß mir selbst sehr gut zu helfen", versichert Kästel mit einem breiten Lächeln .