Amateur-Alltag: Die Ronaldos der Kreisliga
Wird auch in der Kreisliga oft kopiert: der exzentrische Jubel von Weltfußballer Cristiano Ronaldo (r.).[Foto: Imago (2) / Collage: FUSSBALL.DE]
Wer ist der GOAT - also der greatest of all time? Da werden die Fans in zwei Lager gespalten - die einen halten es mit Cristiano Ronaldo, die anderen mit Lionel Messi. Und um seinem Idol möglichst nahe zu kommen, imitiert so mancher Kreisligakicker CR7 und Leo. Joel Grandke beschreibt in der neuesten Folge der FUSSBALL.DE-Kolumne Amateur-Alltag so manche Attitüden der Kreisliga-Ronaldos und -Messis.
Fußball-Weisheit #29: „ Ich suche die Rekorde nicht, die Rekorde finden mich.“ Da klimpert‘s kräftig im Phrasenschwein. Cristiano Ronaldo ist nicht gerade für seine Bescheidenheit bekannt. Die Frage, ob er oder doch Lionel Messi der beste Fußballer der Welt ist, spaltet die Fußballfans in zwei Lager. Wenn Messi mal wieder einen atemberaubenden Sololauf von der Mittellinie mit einem eleganten Lupfer vollendet, fühlen sich die Anhänger des Argentiniers mal wieder bestätigt, dass es keinen Zweifel an dessen Überlegenheit gibt. Wenn Ronaldo einen Tag später quer in der Luft liegt und das Leder mit einem akrobatischen Fallrückzieher in den Giebel jagt, verneigen sich wiederum dessen Fans vor dem „zweifellos größten Spieler aller Zeiten“. Die ersten zwei WM-Spieltage liefern vor allem neue Argumente für das CR7-Lager. Ein Hattrick inklusive perfekt getretenem Freistoß gegen die Spanier, danach der Schütze des goldenen Tores gegen Marokko. Ronaldo trägt den amtierenden Europameister im Alleingang Richtung Achtelfinale und beweist einmal mehr seine Weltklasse.
Unabhängig davon, wer nun der größte Kicker auf dem Planeten ist, kann man Ronaldo wohl als schillerndste Figur des Weltfußballs bezeichnen. Er glänzt auf dem Rasen, sorgt aber auch außerhalb des Platzes immer wieder für Schlagzeilen. Mit Skandalen und Affären taucht er regelmäßig im Boulevard auf, während er in seinen Interviews häufig auf einem äußerst schmalen Grat zwischen Selbstvertrauen und Arroganz wandert. Eine Erklärung dafür, warum ihn einige nicht so abfeiern wie er sich selbst, hat CR7 natürlich auch parat: „Die Leute beneiden mich, weil ich reich und schön bin.“
Nicht jeder muss solche Aussagen sympathisch finden, doch Ronaldo gilt dennoch für viele Kicker als Vorbild. Man kann sich in Sachen Disziplin und Kampfgeist zweifellos vieles von dem Portugiesen abschauen. Im Amateurbereich übertreiben es einige Kicker aber bei dem krampfhaften Versuch, ihrem Idol in allen erdenklichen Bereichen nachzueifern. Merke: Die Cristiano-Attitüde ist so dick aufgetragen, dass sie Stadien mit mindestens 30.000 Zuschauern braucht, um nicht per se lächerlich zu wirken. Die „Ich-bin-der-Größte-aller-Zeiten“-Nummer zieht vor 30 Leuten auf dem Dorfsportplatz nur so semi-gut – egal wie spektakulär du den Ball auch gerade ins Netz gezimmert haben solltest.
Trainingsanzüge nicht „trendy“ genug
Ein Möchtegern-Ronaldo ist dennoch in vielen Kreisliga-Teams zu finden. Sein großer Auftritt beginnt schon vor dem Anpfiff. Beim Treffen beschwert er sich zum wiederholten Male über den fehlenden Style der Trainingsanzüge. Die Farbwahl sei „voll 90er“, aber eben noch nicht Retro genug, und könnte mit keinem seiner neuen Slim-Fit-Shirts passend kombiniert werden. Der Sponsor ist ihm ebenfalls ein Dorn im Auge: Mit dem Logo des örtlichen Dönerladens auf dem Rücken könne man sich nicht in jeder angesagten Bar blicken lassen. Welche „Bars“ er damit meint, bleibt seinen Kollegen allerdings ein Rätsel. In der einzigen Dorf-Kneipe des Ortes gibt es jedenfalls keine Türsteher, die einem den Einlass aufgrund eines unangemessenen Outfits verweigern. Dem Wirt ist es völlig egal, ob ein Juwelier oder die Müllabfuhr die Anzüge gesponsert hat. Hier darf man sogar in Gummistiefeln an den Tresen.
An der Uniform seiner Truppe kann unser Kreisliga-Ronaldo zwar nichts ändern, dafür hat er auf dem Kopf die Möglichkeit, seine Außergewöhnlichkeit unter Beweis zu stellen. Aus finanziellen Gründen kann er sich zwar keinen Friseur am Sonntag in die Kabine bestellen, aber mit einer Tube Gel und einer Dose Haarspray lässt sich eine steinharte – aber hippe – Frisur zusammenzimmern, bei der sich über 90 Minuten keine Strähne auch nur für einen Millimeter bewegen wird. Mit diesem „Helm“ ist der Träger auch in Kopfballduellen optimal geschützt. An den Füßen darf unser Schönling ebenfalls Akzente setzen. Er trägt natürlich stets das Bolzer-Modell, das sein großes Vorbild in der Vorwoche beim Real-Spiel getragen hat. Mit einem echten CR7-Schuh kann nicht viel schiefgehen. Da fliegt der Ball schon aus Respekt von selbst in den Winkel.
Die ganz große Show beginnt schließlich auf dem Platz. Während sich seine Mitspieler warmlaufen, bereitet er sich mit Distanzschüssen auf die Partie vor. Keiner seiner 30-Meter-Knaller findet das Ziel, woran vor allem die schlechten Platzbedingungen schuld sein sollen. Zur Info: Ein Torhüter steht zu dem Zeitpunkt noch nicht im Tor. Im Anschluss lässt er einen Nachwuchsspieler ein paar Flanken schlagen, die er dann volley aufs leere Tor drischt. Mit diesem Warm-Up fühlt er sich bestens auf die Partie vorbereitet.
Anlauf in Wild-West-Manier
Während des Spiels zeigt er dann alles, was das Cristiano-Repertoire so zu bieten hat. Er versucht sich an den neuesten Tricks des Portugiesen, die ihm allerdings durch die Bank misslingen. Die Übersteiger und „Elasticos“ haben bei den Trockenübungen im Garten zwar hervorragend funktioniert, wollen aber gegen die perfekt ausgebildeten Kreisliga-Verteidiger nicht klappen. Besonders peinlich wird es, als der Schiedsrichter seinem Team einen Freistoß zuspricht. Seine Mitspieler möchten kaum hinsehen, weil sie natürlich wissen, was folgt. Hochkonzentriert legt sich unser Ronaldo-Double den Ball zurecht, um folglich in der berühmten Wild-West-Manier Anlauf zu nehmen und auf den Pfiff zu warten. Anstatt das Leder unhaltbar in den Winkel zu drehen, wie es CR7 gegen die Spanier gelang, bolzt er es im hohen Bogen auf die benachbarte Kuhweide.
Noch mehr Fremdscham kommt auf, als ihm kurz vor Schluss tatsächlich noch ein Treffer gelingt. Obwohl es das Tor zum 5:0 gegen den bereits dezimierten Tabellenletzten ist, wird die Choreografie knallhart durchgezogen. Er springt mit einem lauten „Siiii“ vor die aus 30 Leuten bestehende Fankurve und baut sich Ronaldo-like auf: „Hier bin ich der Boss!“ Auf Applaus kann er lange warten, die Zuschauer winken stattdessen genervt ab. Zweifel am eigenen Auftreten kommen ihm allerdings nicht. Den Umgang mit fehlender Wertschätzung hat ihn schließlich sein großes Vorbild gelehrt: Die Leute beneiden ihn wohl auch nur, weil er reich und schön ist. Also zumindest ist er schön. Zumindest dann, wenn er diesen blöden Trainingsanzug mit dem Logo des Dönerladens nicht tragen muss.
Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.