Amateur-Alltag |08.12.2018|10:00

Packende Zweikämpfe beim Derby-Fight

Kampf um jeden Zentimeter: Zimperlich geht es in Derbys nicht zu.[Foto: AFP/Getty Images]

Fußball-Weisheit #53: „There is a lot of Zweikampf.“ (Niklas Moisander, Verteidiger vom SV Werder Bremen, vor einem Nordderby beim HSV)

Da klimpert’s kräftig im Phrasenschwein. Auch ohne besondere Deutsch-Kenntnisse wusste der Finne Moisander schon die Besonderheiten eines Derbys auf den Punkt zu bringen. Es muss um jeden Zentimeter Boden und jeden Ball gefightet werden, um solch ein emotional aufgeladenes Spiel für sich zu entscheiden. Am heutigen Nachmittag steht die Kampfeskraft zweier großer Rivalen im Mittelpunkt: Wenn Schalke und Dortmund die „Mutter aller Derbys“ ausspielen, geht es stets besonders hitzig zur Sache. Es geht um nicht weniger als die Vormachtstellung im Ruhrpott. Erinnern wir uns nur an die legendäre Partie aus dem Vorjahr, in der Schalke auswärts aus einem 0:4-Rückstand noch ein Last-Minute-Unentschieden machte. Beim heutigen Aufeinandertreffen scheint der BVB in der Favoritenrolle. Mit teils beeindruckendem Offensiv-Fußball marschiert die junge Truppe in der Liga souverän voran, während Vize-Meister Schalke noch gar nicht in Tritt kommen will. Diese klaren Vorzeichen sind mit Anpfiff aber weggewischt. Die Königsblauen könnten mit einem Sieg in diesem Prestige-Duell den verkorksten Saisonstart ein Stück weit vergessen machen und die Anhänger versöhnen. Um zu bestehen, müsste S04 gegen die spielerisch überlegenen Dortmunder sicher eine große Kampfesleistung darbieten. Das bedeutet: Voller Einsatz, kein Zurückziehen beim Kampf um den Ball.

Eine erfolgreiche Zweikampfführung kann auch im Amateurbereich über Sieg und Niederlage entscheiden. Das gilt für die großen und kleinen Derbys auf Kreisebene genauso wie für die übrigen Partien im Liga-Alltag. Wir alle haben schon die großen Favoritenstürze miterlebt, bei denen der krasse Außenseiter die spielerisch meilenweit überlegene Könner-Truppe mit unbändigem Willen niedergekämpft hat. Und eben dieser Wille findet einerseits in einer hohen Laufbereitschaft, andererseits aber vor allem im Zweikampfverhalten seinen Ausdruck. Dabei ist zu beobachten, dass die Kreisliga-Kicker ganz unterschiedliche Herangehensweisen im Kampf um den Ball an den Tag legen. Blicken wir auf einige Typen, die uns allen wohl bekannt sein sollten.

Der Sensenmann: Fangen wir direkt mit der wohl härtesten Gattung an. Der Sensenmann ist kein Kind von Traurigkeit und lebt mit der Einstellung, dass der Zweck alle Mittel heiligt. Sein Motto: „Ball oder Gegner dürfen vorbei, aber niemals beide gleichzeitig!“ Diese Einstellung setzt er konsequent um – zum Leidwesen seiner Gegenspieler, die ordentlich auf die Socken kriegen. Oftmals ist er ab der 5. Spielminute akut Gelb-Rot-gefährdet, nicht selten wird er daher schon vor der Halbzeit vom Platz genommen. Zu diesem Zeitpunkt hat er dann aber auch schon mehr ausgeteilt als Bud Spencer und Terrence Hill an all ihren Film-Sets zusammen.

"Ball oder Gegner dürfen vorbei, aber niemals beide gleichzeitig!"

Der Turm: Mit einer Körpergröße von 1,95 Meter aufwärts sollte dieser Mann nur mit „Eure Lufthoheit“ angesprochen werden. Hohe Bälle stellen im Amateurbereich ein beliebtes Angriffsmittel dar, worüber dieser Defensivvertreter aber nur müde lächeln kann. Man muss den Ball schon gefühlt in die Stratosphäre bolzen, damit er nicht mehr seinen Schädel dranbekommt. Da können verzweifelte Gegenspieler noch so sehr mit den Ellenbogen arbeiten: Bei Flanken ist ihre maximale Erfolgschance, den Turm ein wenig zu stören, sodass dieser seinen Kopfball zumindest nicht völlig unbedrängt herausköpft. Selbst eine Haarspitze an den Ball zu bekommen, ist utopisch.

Der Zweikampfverweigerer: Seine Trainer haben schon mehrfach überlegt, ihn zum Arzt zu schicken, da er eine scheinbar krankhafte Phobie vor Körperkontakt zu haben scheint. Seine Zweikämpfe finden maximal auf dem Papier statt und haben diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient. Seine einzige Hoffnung liegt darin, dass der Angreifer über seine eigenen Beine stolpert oder er ihm den Ball unglücklich in die Füße spielt. Eine aktive Bewegung zum Ball ist aber nicht zu erkennen. Dabei könnte im Zweifel ja Körperkontakt entstehen, bei dem man sich böse Schrammen zuziehen könnte. Oder wer weiß: Vielleicht hat der Stürmer ja eine ansteckende Krankheit. Da hält man lieber Abstand. Es ist aber auch lebensgefährlich, dass es auf einem Fußballplatz nicht steril zugeht.

Der Antizipierer: Auch dieser Vertreter spart sich häufig den Körperkontakt – allerdings nicht aus panischer Angst vor Berührungen fremder Männer, sondern weil er den Ball schon gewonnen hat, bevor es überhaupt dazu kommen könnte. Er liest das Spiel über 90 Minuten und besitzt ein außergewöhnliches Gespür dafür, welchen Pass der Gegner als nächstes spielen könnte. Während der Stürmer sich in Position bringt, um den Ball vor seinem Gegenspieler abzuschirmen, hat sich dieser längst um ihn herumgedreht und das Leder abgefangen. Wer will schon das griechisch-römische Eins-gegen-Eins, wenn man den Ball ohne großen Kraftaufwand gewinnen kann. Wir sind hier ja nicht beim Ringen. Der Antizipierer ist der Kraftsparer unter den Fußballern.

Der Grätscher: Er ist in einigen seiner Aktionen schwer vom Sensenmann zu unterscheiden, aber gehört eigentlich nicht zum klassischen Schlag der Knochenbrecher. Er liebt es einfach, mit Schwung in den Ball zu gehen – bevorzugt natürlich auf nassem Rasen. Wenn er zwei bis zehn Meter über die Grasnarbe schlittert, um anschließend einen Ball blitzsauber ins Aus zu befördern, freut er sich darüber mehr als über einen Last-Minute-Treffer. Zweikämpfe werden eben nicht nur im Stehen auf einem Quadratmeter gewonnen.

Der Übermotivierte: Der unbändige Wille wird diesem Mentalitätsmonster oftmals zum Verhängnis. Er hat weder eine gute Antizipationsfähigkeit, noch stellt er sich besonders geschickt im Zweikampf an. Dafür rennt er jedem Ball im Vollsprint hinterher. Das clevere Stellen von Gegenspielern gehört nicht zu seinem Handwerkszeug, stattdessen geht es immer mit Volldampf auf das Leder. Das Ergebnis: Nach einer kleinen Körpertäuschung des Angreifers gelingt es ihm nicht mehr, rechtzeitig auf die Bremse zu treten. Er rennt daher regelmäßig ins Leere. Diese Leere kann locker eine Strecke von fünf bis zwanzig Meter bedeuten. Bis er danach wieder in Ballnähe ist, hat sein Gegenspieler den Ball schon dreimal abgespielt. Manchmal ist weniger eben mehr.

Ein guter Bundesliga-Verteidiger stellt sich in der Regel cleverer an, als viele der beschriebenen Typen. Auf Amateurniveau hat der Coach aber selten die Wahl zwischen Leuten wie Boateng, Hummels oder Süle, wenn er seine Abwehrreihe formieren will. Andererseits sind die Angreifer hier auch nicht so ausgebufft und dribbelstark wie deren Vertreter in der deutschen Eliteklasse. Man trifft sich also auf Augenhöhe. Unabhängig vom Niveau gilt für die Derbys der gesamten Republik aber stets der „Satz des Moisanders“: „There is a lot of Zweikampf.“ Und solange alle Spieler dabei verletzungsfrei bleiben, ist es doch auch das, was den Fußball mitunter so reizvoll macht.


Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.