Ulms Reichert: "Jedes Spiel ein Volksfest"
Ulmer Urgestein Johannes Reichert: "Jeder einzelne Erfolg ist etwas Besonderes und Außergewöhnliches."[Foto: imago]
Schon als Bambini kickte Johannes Reichert in seiner Heimatstadt für den SSV Ulm 1846 Fußball, erlebte die "goldenen" Bundesligazeiten als junger Fan im Stadion. Jetzt ist der 29 Jahre alte Innenverteidiger Kapitän des Traditionsklubs und startet zum vierten Mal in Folge mit dem aktuellen Tabellenvierten der Regionalliga Südwest im DFB-Pokal. Wir sprechen mit Reichert über den sensationellen Sieg gegen Eintracht Frankfurt, die eindrucksvolle Pokalserie und den Traum vom Aufstieg in die 3. Liga.
FUSSBALL.DE: Zum vierten Mal in Serie hat sich der SSV Ulm 1846 Fußball als Verbandspokalsieger von Württemberg für den DFB-Pokal qualifiziert. Gewöhnt man sich irgendwann daran, den "Pott" in die Höhe zu recken, Herr Reichert?
Johannes Reichert: Nein, auf keinen Fall. Jeder einzelne Erfolg ist etwas Besonderes und Außergewöhnliches. Jeder Titelgewinn hatte und hat seinen Reiz. Deshalb hätte ich auch nichts dagegen, wenn wir unsere Serie noch ein wenig fortsetzen könnten.
Sie standen in allen vier Endspielen in der Startelf. Welcher war der schönste Pokalsieg?
Reichert: Das war ganz klar der erste Pokalsieg 2018 mit dem 3:0 im Finale gegen den TSV Ilshofen aus der Oberliga. Und zwar nicht, weil mir damals der 1:0-Führungstreffer gelungen war, sondern weil wir mit dem Titelgewinn eine fast 20 Jahre andauernde Abstinenz vom DFB-Pokal endlich beenden konnten. Deshalb war der Erfolg, den wir mit unseren Fans feiern konnten, besonders emotional und für mich unvergesslich. Damals konnte noch niemand ahnen, dass wir auch in den folgenden drei Jahren jeweils das Endspiel in Stuttgart erreichen und auch gewinnen würden. Viermal in Folge Pokalsieger zu werden, ist großartig.
Was bedeutet die erneute Qualifikation für den DFB-Pokal für den SSV?
Reichert: Für den Verein ist die Teilnahme am DFB-Pokal besonders aus finanzieller Sicht extrem wichtig. Hinzu kommen natürlich die bundesweite Aufmerksamkeit und Medienpräsenz. Das sind immer wieder schöne Erlebnisse für alle Beteiligten.
Zweimal gelang bereits die Qualifikation für die zweite Runde. Welches Erlebnis ist bei Ihnen besonders hängengeblieben?
Reichert: Da muss ich nicht lange überlegen. Dass wir 2018 in der ersten Runde den damals aktuellen DFB-Pokalsieger Eintracht Frankfurt vor 20.000 Zuschauern im ausverkauften Donaustadion durch einen 2:1-Heimsieg ausschalten konnten, ist das alles überragende Ereignis meiner bisherigen Laufbahn.
Am 4. Juli wird in der ARD-Sportschau der Gegner für die erste Runde gezogen. Welchen Verein aus der Bundesliga oder 2. Bundesliga hätten Sie denn diesmal am liebsten?
Reichert: Da bin ich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wäre es natürlich ein Traum, einen der ganz großen Vereine wie den FC Bayern oder den BVB zu empfangen. Vor allem dann, wenn wir dann wieder vor Zuschauern spielen dürften. In der gerade abgelaufenen Saison mussten wir unser Zweitrundenspiel gegen den FC Schalke 04 wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie sogar in der Gelsenkirchener Arena austragen. Das war zwar auch ganz cool, ist aber nicht das, was den DFB-Pokal ausmacht. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass wir als Viertligist gegen einen Topklub aus der Bundesliga fast schon ein Wunder benötigen, um eine Chance auf das Weiterkommen zu haben. Von daher wäre vielleicht auch ein durchschnittlicher Zweitligist nicht schlecht, den wir an einem guten Tag mindestens in Schwierigkeiten bringen und vielleicht sogar besiegen können. Das haben wir vor einem Jahr schon gegen den FC Erzgebirge Aue bewiesen.
In der Meisterschaft war der SSV Ulm 1846 Fußball mit dem Ziel gestartet, möglichst bis zum Ende um die Meisterschaft in der Regionalliga Südwest mitzuspielen. Warum hat es dazu nicht ganz gereicht?
Reichert: Gerade zu Beginn der Saison haben wir schon gezeigt, dass wir mithalten und jeden Gegner besiegen können. Insgesamt hat uns aber die nötige Konstanz gefehlt. Wir haben vor allem gegen Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte zu viele Punkte liegenlassen. 79 Zähler aus 41 Partien sind nicht so schlecht. Wir müssen aber anerkennen, dass andere Mannschaften noch stabiler und erfolgreicher waren.
Gibt es in der nächsten Saison einen weiteren Anlauf auf die 3. Liga?
Reichert: Ich denke, dass unsere Mannschaft im Kern weitgehend zusammenbleiben wird. Von daher müssen wir uns ganz sicher nicht verstecken und werden erneut ambitioniert in die Saison starten. Die Konkurrenz in der Südwest-Staffel ist allerdings sehr groß. Mein Ziel ist es dennoch auf jeden Fall, mit dem SSV die Rückkehr in den Profifußball zu schaffen.
In welchen Bereichen muss sich das Team dafür steigern?
Reichert: Wir müssen auf jeden Fall effektiver und kaltschnäuziger werden, auch ergebnisorientierter auftreten. Spiele, in denen wir überlegen sind, sollten wir auch konsequent auf unsere Seite ziehen. Die Mentalität, jede Partie unbedingt gewinnen zu wollen, muss noch ausgeprägter sein. Dann ist für uns sehr viel möglich.
Sie wurden in Ulm geboren, spielen abgesehen von einem zweijährigen Intermezzo beim 1. FC Kaiserslautern II seit 25 Jahren für den Klub. Was bedeutet Ihnen der SSV?
Reichert: Der Verein bedeutet sehr viel für mich, ist ein großer Bestandteil meines Lebens. Ich bin hier aufgewachsen und großgeworden, habe mit vier Jahren bei den Bambini begonnen, als Jugendlicher noch die Bundesligazeiten im Stadion erlebt. Das war einmalig.
Was zeichnet den Verein aus?
Reichert: Der Klub besitzt eine riesige Tradition, ist aber auch sehr familiär. Das Umfeld stimmt. Der SSV gehört mindestens eine Liga nach oben. Dabei möchte ich mithelfen.
Ihr Vertrag läuft bis 2023. Wie groß ist Ihr Wunsch, mit dem SSV im Profifußball zu spielen?
Reichert: Wie schon gesagt: Das ist mein großer Traum. Als der Verein in der Bundesliga und in der 2. Bundesliga spielte, war die gesamte Region elektrisiert. Jedes Spiel war ein Volksfest, in der Stadt gab es fast kein anderes Gesprächsthema. Das zeigt schon, was hier möglich ist und welche Euphorie wir mit einem Aufstieg in die 3. Liga auslösen könnten.