Weltenbummler |18.07.2022|07:00

Kyle Spence: Fußball bei minus 20 Grad

Kyle Spence in Norwegen: "Bei minus 20 Grad Fußball zu spielen, war aufregend - und kalt!"[Foto: Valdres FK]

England, Norwegen, Litauen und jetzt Deutschland: Der frühere schottische Junioren-Nationalspieler Kyle Spence versucht sein Glück ab sofort beim FSV Frankfurt in der Regionalliga Südwest. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht der 25-jährige Angreifer über die Gründe für seinen erstmaligen Wechsel nach Deutschland, spannende Erfahrungen in anderen Ländern und seinen Profitraum.

FUSSBALL.DE: Sie spielten schon in vielen Ländern Fußball, ausgebildet wurden Sie in England bei Crystal Palace. Wie bewerten Sie rückblickend Ihre Zeit in der Jugend bei einem englischen Profiklub, Herr Spence?

Kyle Spence: Es war eine unglaubliche Erfahrung. Ab meinem siebten Lebensjahr habe ich zehn Jahre lang für Crystal Palace gespielt. Der Leistungsstandard war hoch, wir haben uns regelmäßig mit den Academy Teams von Manchester United, des FC Chelsea, FC Arsenal und weiteren großen Vereinen gemessen. Außerdem durfte ich mit einigen aktuellen Premier-League-Profis trainieren. Dazu zählen etwa Wilfried Zaha, Aaron Wan-Bisaka, der jetzt bei Manchester United spielt, und auch Yannick Bolasie, der nach langer Karriere in England jetzt in der Türkei am Ball ist. Zu Bolasie und Wan-Bisaka habe ich auch noch Kontakt. Damals war es sehr besonders für mich, direkt neben Spielern zu stehen, die man sonst nur aus dem TV kennt. Es macht mich glücklich, dass sie sich ihren Profitraum erfüllen konnten. Das hat mir gezeigt, dass es auch für mich möglich ist, zukünftig höher zu spielen.

Wie bewerten Sie das englische Ausbildungssystem?

"Als ich hörte, dass ein Verein aus Deutschland Interesse zeigt, wurde ich hellhörig"

Spence: Es ist extrem professionell und du wirst früh zum Vollzeitfußballer. Ab dem 16. Lebensjahr hast du in der Academy jeden Tag Training. An den Tagen, an denen man Schule hat, trainiert man davor und danach. Dass die Profis direkt nebenan trainiert haben, war immer sehr motivierend für uns. Vor allem zu Beginn kann das aber auch überwältigend für einen jungen Spieler sein. Es prasselt sehr viel auf dich ein und du erhältst wahnsinnig viele Eindrücke, die du erst einmal verarbeiten musst.

Anschließend kickten Sie für Coventry City in der Jugend - danach ging es zu einigen kleineren englischen Vereinen, den Profitraum konnten Sie sich zunächst nicht erfüllen. Warum hat es Ihrer Meinung nach für den Durchbruch in Ihrer Heimat nicht gereicht?

Spence: Nach meiner Zeit bei Coventry City war für mich bereits klar, dass ich eine Veränderung möchte und im Ausland spielen will. Die kurzen Stationen in England waren nur dazu da, um fit zu bleiben. Ich war bereit für eine Herausforderung und ein Abenteuer. Darauf habe ich mich sehr gefreut.

Es folgten drei verschiedene Stationen in Norwegen - zunächst in der 4. und am Ende in der 2. Liga. Wie kam es zum Wechsel nach Skandinavien?

Spence: Ich wollte - wie gesagt - etwas anderes erleben und habe mit meinem Berater verschiedene Möglichkeiten besprochen. Norwegen war die beste davon. Dort habe ich den Fokus auf das gelegt, was ich am besten kann: Einfach nur Fußball spielen. Rückblickend kann ich sagen, dass es insgesamt eine erfolgreiche Zeit war. Ich bin nach jeder Saison persönlich aufgestiegen und spielte abschließend in der 2. Liga.

Was haben Sie dort erlebt und wie haben Sie die norwegische Fußballkultur wahrgenommen?

Spence: Bei minus 20 Grad Fußball zu spielen, war aufregend - und kalt! (lacht) Wir haben häufig mitten im Nirgendwo gespielt. Deshalb mussten wir auch oft zu den Partien fliegen. Die Fahrten zu den Plätzen mitten in den Bergen hätten zu lange gedauert. Die Zeit in Norwegen war auf jeden Fall prägend für mich - zumal ich dort erstmals komplett auf mich alleine gestellt und weit weg von zu Hause war. Ich bin dort zu einem besseren und reiferen Menschen geworden, habe außerdem viele Freunde fürs Leben gefunden. Die Leute in Norwegen sind sehr fußballbegeistert. Aufgefallen ist mir, dass viele Norweger verschiedene Premier-League-Klubs supporten. Meist sind das der FC Liverpool oder Manchester United. Ich als Arsenal-Fan hätte mir natürlich etwas anderes gewünscht. (lacht)

Anschließend schafften Sie erstmals den Sprung in eine 1. Liga - und zwar in Litauen. Auch diesen spannenden Schritt müssen Sie uns erklären!

Spence: Irgendwie war es der nächste logische Schritt. Nach Liga vier, drei und zwei in Norwegen wollte ich unbedingt in einer ersten Liga kicken. In Litauen bekam ich die Chance dazu. Und auch, wenn ich nur ein halbes Jahr beim FC Hegelmann gespielt habe, war die Zeit erfolgreich. Ich habe in 20 Partien fünf Tore erzielt und stand viermal im "Team der Woche". Betonen sollte ich an der Stelle auch, dass die Qualität in Litauens 1. Liga höher war, als vermutlich viele Leute denken. Ich habe gegen einige namhafte Profis - wie zum Beispiel den ehemaligen Milan-Stürmer Keisuke Honda gespielt. Es war also eine Topadresse, um mich weiterzuentwickeln.

Es hat sich also schon wie großer Profifußball angefühlt? Mit welcher Liga in England könnte man die Qualität in Litauens 1. Liga vergleichen?

Spence: Auf jeden Fall. In der Liga spielen auch sehr viele Brasilianer, die ja für ihre hohen fußballerischen Qualitäten bekannt sind. Das einzige Problem in Litauen ist, dass die Vereine Kunstrasenplätze haben und das Wetter häufig schlecht ist. Außerdem ist die Aufmerksamkeit der Menschen für den Fußball nicht allzu hoch. Die fußballerische Qualität ist aber ansprechend. Ich würde die 1. Liga in Litauen mit der 4. Liga in England vergleichen. Das Top-Team FK Zalgiris Vilnius, das aktuell in der Champions-League-Qualifikation spielt, könnte sich bestimmt auch in der 3. Liga behaupten.

Wo hatten Sie bisher Ihre schönste Zeit - und wieso?

Spence: Ich hatte wirklich überall schöne Momente und bin glücklich über meine bisherige Karriere in verschiedenen Ländern. Aber am besten war sicher die kurze Zeit in Litauen. Vor allem, weil meinem Klub FC Hegelmann nicht viele Leute etwas zugetraut haben. Wir wurden als sicherer Absteiger abgestempelt, landeten am Ende aber auf Platz fünf. Es war schön, es den Kritikern zu zeigen. Weitere Highlights hatte ich als Junioren-Nationalspieler von Schottland. Mit 16 Jahren live auf Sky Sports im TV zu sehen zu sein, war eine große Sache für mich.

Allerdings haben Sie Ihr ganz großes Ziel noch nicht erreicht - und zwar Profifußballer zu werden. Um diesem Traum näher zu kommen, wagten Sie jetzt den Schritt in Deutschlands 4. Liga. Wie kam der Kontakt zum FSV Frankfurt zustande?

Spence: Ähnlich wie bei meinem Schritt nach Norwegen bin ich mit meinem Berater einige Möglichkeiten durchgegangen. Ich hätte zu einem Topklub in Slowenien oder in der Slowakei wechseln können. Aber als ich hörte, dass ein Verein aus Deutschland Interesse zeigt, wurde ich hellhörig. Die Regionalliga in Deutschland ist stark und natürlich nicht mit der 4. Liga in Norwegen zu vergleichen. Wer in Deutschland in der 4. Liga spielt, ist nah dran am Profifußball. Schon nach den ersten Gesprächen mit den Vereinsverantwortlichen war ich dann überzeugt. Ich kann den Saisonstart kaum abwarten.

Welche Erwartungen haben Sie an den deutschen Fußball?

Spence: Durchaus hohe. Er ist ähnlich hochklassig wie der englische - manche sagen, er ist sogar noch besser. Als Jugendspieler bei Crystal Palace habe ich unter anderem gegen die TSG Hoffenheim und den VfB Stuttgart gespielt. Das Level war enorm hoch.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem ehemaligen Zweitligisten?

Spence: Erst einmal wird es wichtig sein, einen erfolgreichen Start hinzulegen. Aber klar: Ich möchte mit dem FSV bestenfalls direkt oben mitspielen. Wir sollten uns ganz bewusst hohe Ziele setzen, denn wir haben auch eine hohe Qualität und nichts ist unmöglich. Eines Tages will der Klub zurück in die 2. Bundesliga. Bis dorthin ist es ein langer Weg, den wir jetzt gemeinsam beginnen zu gehen.

Können Sie sich vorstellen, in Deutschland sesshaft zu werden - oder ist es nur eine weitere Zwischenetappe auf Ihrer Reise durch den europäischen Fußball?

Spence: Absolut! Damit ich bald auch alles noch etwas besser verstehe, übe ich schon fleißig Deutsch. (lacht) Ich fühle mich wohl in Frankfurt und bin auch nicht allzu weit weg von meiner Heimat London. Ich habe das Gefühl, dass der Schritt zum FSV Frankfurt genau der richtige ist.