Bei Brieselang und Coach Thoß steht die Null
Vater des Erfolgs in Brieselang? - Sven Thoß: "Ich habe nur geringen Anteil am sportlichen Erfolg."[Foto: SV Grün-Weiss Brieselang]
Die Fußballerinnen des SV Grün-Weiss Brieselang sind aktuell nicht nur in der Frauen-Landesliga Brandenburg das Maß aller Dinge. Kurz vor dem Abschluss der Hinserie ist die Mannschaft aus der amtsfreien Gemeinde im Landkreis Havelland in der immerhin vierthöchsten deutschen Spielklasse noch ohne Punktverlust, führt mit optimalen 21 Punkten und vor allem makellosen 68:0 Toren souverän die Tabelle an.
Maßgeblichen Anteil an der Erfolgsgeschichte der Grün-Weißen hat Trainer Sven Thoß. Der 56-Jährige kam im Sommer 2021 nach Brieselang, betreut seitdem hauptamtlich die Frauen- und auch die Herrenmannschaft des Dorfvereins in Doppelfunktion. Die Männer sind ebenfalls in der Landesliga am Ball, damit allerdings "nur" siebtklassig.
Das Frauenteam ist damit das sportliche "Aushängeschild" der Gemeinde mit ihren etwas mehr als 10.000 Einwohner*innen. "In unserer Liga gibt es nur wenige Mannschaften, die uns gefährlich werden können", sagt Cheftrainer Thoß im Gespräch mit FUSSBALL.DE . "Deshalb ist auch unser Torverhältnis für mich nicht verwunderlich, weil wir in allen Spielen dominant auftreten. Dennoch blicken wir natürlich gerne auf die Tabelle und werden alles daransetzen, dass die Null auch weiterhin steht."
Freiwillig auf Aufstieg in Regionalliga verzichtet
In der zurückliegenden Saison mussten sich die Frauen von Grün-Weiss Brieselang noch mit dem zweiten Tabellenplatz begnügen. Der Meister BSG Stahl Brandenburg durfte allerdings laut Statuten des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) nicht aufsteigen, weil der Verein über keine Mädchenmannschaft verfügte und damit die Zulassungsbestimmungen für die Regionalliga Nordost nicht erfüllte. Das Frauenteam des SV Grün-Weiss Brieselang hätte nachrücken können, verzichtete aber und strebt einen möglichen Aufstieg erst dann an, wenn dafür die Rahmenbedingungen geschaffen sind.
"Stahl Brandenburg durfte nicht, wir wollten nicht", beschreibt Thoß die damalige Gemengelage, schließt aber grundsätzlich nicht aus, dass sein Team den Sprung in die Regionalliga irgendwann in Angriff nehmen könnte. "Aktuell fühlen wir uns in unserer Liga zu Hause, müssen auch nicht weit zu den Auswärtsspielen fahren", so der Trainer. "Außerdem haben viele Mädels schon höherklassig gespielt und keine Lust mehr auf die Regionalliga. Die Spielerinnen sitzen nach den Partien lieber gemütlich zusammen, haben den Fokus nicht mehr ausschließlich auf den sportlichen Erfolg gerichtet. Veranstaltungen wie das Weihnachtssingen vor wenigen Tagen oder die anstehende Weihnachtsfeier am Wochenende, die alle Frauen- und Herrenmannschaften im Klubheim gemeinsam begehen werden, sind uns als Verein wichtiger als Siege und Tore."
Das Frauenteam des SV Grün-Weiss Brieselang war erst vor drei Jahren durch eine Fusion mit dem FSV Forst Borgsdorf , der seine Frauenabteilung aufgelöst hatte, ins Leben gerufen worden. Hinzu kamen einige Spielerinnen des benachbarten SV Babelsberg 03 , die zu diesem Zeitpunkt nicht den Weg vom Groß- auf das Kleinfeld mitgehen wollten und sich stattdessen den Grün-Weissen anschlossen.
Auch deshalb ist das Team so erfolgreich. "Dass wir so dominant auftreten, hat in erster Linie etwas mit der Qualität des Kaders zu tun", sagt Thoß. "Die Mannschaft ist für diese Liga sportlich eigentlich überqualifiziert."
So steht beispielsweise mit Janine Loris die frühere Torhüterin der Bundeswehr-Nationalmannschaft zwischen den Pfosten. Mit Anne Schäfer, Janine Neue und Nicole Hansen hatte Thoß einst schon in der 2. Frauen-Bundesliga beim SV Blau-Weiß Hohen Neuendorf zusammengearbeitet. Kapitänin Sandra Wiegand sammelte Bundesliga-Erfahrung beim 1. FFC Turbine Potsdam . Angreiferin Madeleine Wojtecki galt als eines der größten Talente im Berliner Fußball, wechselte mit 17 Jahren zum VfL Wolfsburg , konnte sich dort aber nicht durchsetzen. Angreiferin Franziska Kühn traf in nur sechs Spielen 18-mal. "Wir drücken ihr im Rennen um die Torjägerkanone für alle ganz fest die Daumen", sagt der A-Lizenzinhaber.
Über Stellenanzeige zum Frauenfußball gefunden
Trainer Sven Thoß hat neben dem Fußball noch eine weitere große Leidenschaft. Während seines Studiums zum Sportmanager finanzierte er seinen Lebensunterhalt als Stamm-DJ in "Clärchen's Tanzcafe" in Potsdam. Auch im Ausland legte er schon auf. Während eines Urlaubs in der Dominikanischen Republik wurde er angesprochen, ob er nicht Lust hätte, eine Radiosendung zu machen. "Am Ende war ich ein Jahr als DJ in der Karibik tätig", erinnert sich Thoß.
Als der gebürtige Potsdamer 1997 nach Deutschland zurückkehrte, wurde der "Weltenbummler" auf eine Stellenanzeige des sechsmaligen Deutschen Meisters Turbine Potsdam aufmerksam, der damals einen Co-Trainer für den langjährigen Chefcoach Bernd Schröder suchte. Vorteil für Sven Thoß: Während seiner Kindheit jagte er fast täglich mit Schröders Sohn Thoralf auf den Bolzplätzen den Bällen hinterher. "Eine Woche nach meiner Bewerbung hatte ich den Job", erinnert sich Thoß, der acht Jahre bleiben sollte.
Es folgten verschiedene Trainerstationen im Frauen- und Männerfußball, unter anderem bei den damaligen Regionalligisten Goslarer SC und FSV 63 Luckenwalde . 2018 bekam Thoß ein Angebot aus China, das er nicht ablehnen konnte. Dort betreute er ein U 17-Team - und durfte sich über ungeahnte Möglichkeiten freuen. "Es stand unglaublich viel Geld zur Verfügung. Innerhalb eines Tages wurden mir beispielsweise 20 Fitnessfahrräder für Trainingszwecke besorgt", sagt Thoß. "Es war eine coole Erfahrung. Nach einem Jahr hat mich aber das Heimweh gepackt."
Zurück in Deutschland heuerte Sven Thoß beim damaligen Frauen-Zweitligisten BV Cloppenburg an. Den Kontakt hatte die Sportliche Leiterin Tanja Schulte eingefädelt. 2020 öffnete sich für Thoß dann sogar beim SC Sand in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga die Tür, weil dessen Trainer Sascha Glass zum 1. FC Köln wechselte. Thoß führte das Team durch die Corona-Krise, schaffte den Klassenverbleib und wurde dennoch nicht glücklich.
"Nach der Zeit in Sand dachte ich sogar schon daran aufzuhören", verrät er. Patrick Schlüter, 2. Vorsitzender und Sportlicher Leiter beim SV Grün-Weiss Brieselang, begeisterte Thoß jedoch für seinen jetzigen Job. "In Brieselang herrscht überhaupt kein Zickenkrieg, vielmehr überragt das Zwischenmenschliche und das Zusammengehörigkeitsgefühl", beschreibt der Trainer - und fügt bescheiden hinzu: "Ich habe nur einen geringen Anteil am sportlichen Erfolg, bin mehr Moderator als Trainer, muss die Mädels lediglich bei Laune halten."