Panikattacken |09.09.2023|18:45

Empen: "Froh, ohne Angst Fußball zu spielen"

Nico Empen: "Wenn man mental völlig befreit ist, dann kommt das Selbstvertrauen zurück."[Foto: SPEEDPhotos.de]

Ex-Profi Nico Empen, inzwischen Angreifer beim Verbandsligisten Rot-Blau Obere Treene in Schleswig-Holstein, hat eine harte Zeit hinter sich. Im Interview mit FUSSBALL.DE spricht der 27 Jahre alte Torjäger über seine überwundenen Angststörungen und Panikattacken, gibt Betroffenen wichtige Tipps und spricht offen über den Begriff, der in der Psychologie als "Teufelskreis der Angst" bezeichnet wird.

FUSSBALL.DE: Mit 16 Treffern nach nur sieben Partien führen Sie nicht nur die Torjägerliste in der Verbandsliga Schleswig-Holstein an, sondern sind aktuell auch bundesweit die Nummer eins in der 7. Liga. Das ist vor allem auch deshalb erstaunlich, weil Sie in den zurückliegenden zwei Jahren persönlich eine harte Zeit durchgemacht hatten. Wie überrascht sind Sie selbst von dieser Entwicklung, Herr Empen?

Nico Empen: Ich bin vor allem glücklich darüber, dass ich meine Krankheit mittlerweile gut im Griff habe. Ich hatte lange Zeit unter Angst- und Panikattacken gelitten, innerhalb kürzester Zeit sehr viel Gewicht verloren. Jetzt freue ich mich, dass ich wieder angstfrei Fußball spielen kann. An meinem fußballerischen Können und an meiner sportlichen Qualität hatte ich nie gezweifelt.

Sie haben Ihre Gesundheit direkt angesprochen. Deshalb an dieser Stelle zunächst die wichtigste Frage: Wie fühlen Sie sich aktuell?

"Meine Verlobte, Familie und Freunde haben mir Sicherheit und Rückendeckung gegeben"

Empen: Beruflich läuft es für mich als Erzieher an einer Grundschule sehr gut. Privat bin ich mit meiner Verlobten in eine größere Wohnung umgezogen. Sportlich läuft es ebenfalls super. Wenn man mental völlig befreit ist und wieder Spaß am Fußball hat, dann kommt das Selbstvertrauen zurück.

Wann war Ihnen klar, dass bei Ihnen etwas nicht stimmt?

Empen: Der Moment, als der dänische Nationalspieler Christian Eriksen bei der Fußball-EM 2021 mit einem Herzstillstand auf dem Platz zusammengebrochen war, hatte mich sehr beschäftigt. Ich machte mir Gedanken, was passieren könnte, wenn ich dort liegen würde. Das waren erste Anzeichen. Richtig los ging es, als ich 2021 mit einem Mannschaftskollegen Urlaub auf Kreta gemacht hatte. Beim Rückflug aus Griechenland bekam ich im Flieger herbe Panikattacken. Ab diesem Moment merkte ich, dass mit meinem Körper und meiner Psyche etwas nicht in Ordnung ist.

Wie sind Sie anfangs damit umgegangen? Haben Sie zunächst versucht, Ihre Ängste zu verheimlichen?

Empen: Es fiel mir unglaublich schwer, die Schweißausbrüche, Schwindelgefühle und Panikattacken richtig einzuordnen. In dieser Zeit hatte ich gerade meine Verlobte kennengelernt. Deshalb war es schwierig, alles sofort zu erzählen. Als diese Symptome über den Tag aber immer häufiger auftraten, musste ich mich öffnen. Bei meinem ehemaligen Verein SC Weiche Flensburg 08 war Mentaltrainer Markus Draeger mein erster Ansprechpartner. Ich hatte ihm meine Probleme erklärt und er vermittelte mir den Kontakt zu einer Flensburger Diako-Fachklinik für Psychiatrie.

Bei welchen Situationen hatten Sie bereits Panikattacken bekommen?

Empen: Wenn ich beispielsweise mit dem Auto im Stau stand, begann das "Kopfkino". Wie schnell kommen der Rettungswagen und die Polizei, wenn ich in einem Unfall verwickelt bin? Schlimm waren auch immer die Momente, wenn ich mich in einer fremden Umgebung zurechtfinden musste. Auch in geschlossenen Räumen fühlte ich mich unwohl. Am Ende hatte ich sogar Schwindelgefühle beim Fußball, konnte meinen Sport nicht mehr ausüben. Grundsätzlich verfestigen sich die negativen Gedanken und werden in der Psychologie dann als "Teufelskreis der Angst" beschrieben.

Sie galten früher als großes Stürmertalent, bestritten unter anderem zwei Kurzeinsätze für den FC St. Pauli in der 2. Bundesliga sowie 150 Regionalliga-Partien. Wie sehr hat Sie der Leistungsdruck belastet?

Empen: Ich glaube es war ein Mix aus allem. Es gibt den Druck, den man sich selbst auferlegt. Hinzu kommt der Druck vom Verein, Spiele gewinnen zu müssen. Ich weiß mittlerweile, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt, als am Wochenende drei Punkte zu holen. Gesundheit, Familie und meine Verlobte sind mir viel wichtiger. Diese Aspekte in meinen Leben wusste ich vorher nicht richtig zu schätzen.

Empfinden Sie Ihre Auftritte in der siebtklassigen Verbandsliga nun als eine Art "Befreiung", weil Sie dort nicht mehr so im Fokus stehen?

Empen: Ich bin einfach froh, wieder völlig frei und ohne Angst- und Panikattacken Fußball spielen zu können. In der Verbandsliga geht es etwas entspannter zu, was mir insgesamt sehr guttut. Dennoch will ich nach wie vor jedes Spiel gewinnen. (lacht)

Wie lange hatte es gedauert, bis Sie sich gegenüber Ihren Mannschaftskollegen in Flensburg geoutet hatten?

Empen: Nachdem ich zunächst mit der Sportlichen Leitung und unserem Cheftrainer gesprochen hatte, dauerte es nur etwa eine Woche, bis ich es auch der Mannschaft in der Kabine mitgeteilt hatte. Danach bin ich sofort für sechs Wochen in die Tagesklink gegangen, konnte nicht mehr zum Training erscheinen.

Wie weit war der Weg zurück auf den Platz?

Empen: Sehr weit! Ich bin überglücklich, dass ich so schnell einen Platz in einer Klinik bekommen habe. Nachdem ich meine Krankheit öffentlich gemacht hatte, war ich insgesamt acht Monate in therapeutischer Behandlung.

Wie fiel die Unterstützung aus Ihrem privaten Umfeld aus?

Empen: Meine Verlobte, Familie und Freunde haben mir Sicherheit und Rückendeckung gegeben. Der SC Weiche Flensburg 08 setzte ebenfalls ein Zeichen, indem er meinen Vertrag verlängerte, obwohl ich nur drei Spiele für den Verein absolviert hatte. Das war alles andere als selbstverständlich. Ich hätte gerne weiter für Weiche Flensburg gespielt. Aber das Angebot, das der Verein mir für eine weitere Verlängerung vorgelegt hatte, konnte ich aus finanzieller Sicht nicht annehmen. Dafür ist der Aufwand, den man in der Regionalliga betreiben muss, zu groß.

Wie wichtig war Ihr Entschluss, sich professionelle Hilfe zu holen?

Empen: Für mich war es eine lebensverändernde Entscheidung und ich hatte das große Glück, dass ich sofort einen Termin für eine Therapie bekam, was meinem Heilungsprozess beschleunigte. Wäre das nicht passiert, hätten sich meine Angstzustände vermutlich verfestigt. Ich weiß nicht, wie es mir dann heute gehen würde.

Ist Ihre psychiatrische Behandlung abgeschlossen oder befinden Sie sich weiterhin in Therapie?

Empen: Ich führe alle zwei oder drei Monate noch therapeutische Gespräche, die mich vom alltäglichen Ballast befreien sollen. Der Tod von Nationaltorhüter Robert Enke, der wegen Depressionen den Freitod wählte, hat die Öffentlichkeit für diese Thematik sensibilisiert. Mein Krankheitsbild hat allerdings überhaupt nichts mit Depressionen zu tun.

Sie gehen inzwischen sehr offen mit Ihrer Erkrankung um. Wollen Sie dadurch auch anderen Betroffenen Mut machen?

Empen: Für mich ist es definitiv hilfreich, dass ich offen mit meiner Krankheit umgehe. Ich will den Menschen zeigen, dass dieser Weg für mich der Richtige war. Nach meiner erfolgreichen Therapie kann ich wieder viel von dem machen, was ich gerne machen möchte. Bei jedem Betroffenen ist es allerdings unterschiedlich, was für ihn am besten ist.

Was würden Sie Fußballern oder anderen Sportlern raten, die in eine ähnliche Situation geraten sind?

Empen: Dass sie sich so früh wie möglich Hilfe holen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil, um den Genesungsprozess in Gang zu bekommen. Man darf sich nicht davor verstecken, dass man manchmal Angst hat. Lieber einmal mehr mit einer Vertrauensperson, die die Thematik kennt, sprechen als einmal zu wenig.

In der nächsten Woche werden im Rahmen des Länderspiels Deutschland gegen Frankreich die Gewinner der Torjägerkanonen der Saison 2022/2023 geehrt. Wie gerne wären Sie beim nächsten Mal dabei und wie viele Treffer haben Sie sich für diese Spielzeit vorgenomme? 

Empen: Ich hatte mir vor der Saison 25 bis 30 Tore vorgenommen. Wenn es weiter so gut läuft, muss ich meine Ziele wahrscheinlich nach oben korrigieren. Sollte ich die Torjägerkanone tatsächlich gewinnen, wäre das großartig. Für mich hat der Aufstieg mit Rot-Blau Obere Treene aber Priorität, weil der Verein noch nie in der Landesliga gespielt hat.