Nothilfe |25.03.2022|16:30

Lok-Mannschaftsbus holt Kinder aus Ukraine

Ankunft in Satu Mare: 40 Kinder aus der Ukraine werden danach mit dem Bus nach Deutschland gebracht.[Foto: Lok Leipzig]

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Es ist halb vier nachts am 12. März, als sich von Leipzig aus ein Fahrzeug in Richtung Osten aufmacht. Es ist der Mannschaftsbus des Nordost-Regionalligisten 1. FC Lokomotive Leipzig. Sein Ziel: der Ort Satu Mare an der rumänisch-ukrainischen Grenze. Dort warten 40 Kinder aus dem Kriegsgebiet darauf, abgeholt und in Sicherheit gebracht zu werden.

Zehn Personen sind Teil der Delegation: drei Fahrer, vier Helfer einer Einrichtung für Kinder in Ostwestfalen und drei ehrenamtliche Mitarbeiter des Vereins. Einer von ihnen ist Marko Hofmann. Der Lehrer ist seit Kindheit Fan von Lok Leipzig, seit einigen Jahren als ehrenamtlicher Mitarbeiter für das Internetradio des Traditionsklubs tätig. Außerdem ist er Trainer des Landesligisten Kickers 94 Markkleeberg und Familienvater. Seine Freizeit ist knapp bemessen, doch als Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen ins Nachbarland schickt und mit jedem Tag die Not der Menschen in der Ukraine größer wird, beschließt er zu handeln. "Ich wollte nicht nur einfach etwas spenden oder für Frieden demonstrieren, sondern vor Ort helfen", erklärt der 38-Jährige.

Mit abgeklebtem Auto durchs Kriegsgebiet

Die Initiative geht zunächst von einem Maler und Lackierer aus Lage in Ostwestfalen aus. Weil der Handwerker zwar ein Haus für die Kinder und jede Menge Sachspenden für die Menschen in der Ukraine gesammelt, aber keinen Transporter zur Verfügung hat, stellt er eine Suchanfrage auf ebay ein. Als ein Mitarbeiter von Lok Leipzig die Anzeige sieht, ist die Entscheidung schnell gefallen: "Wir stellen unseren Mannschaftsbus zur Verfügung." Genauso schnell reift die Idee, nicht nur die Kinder abzuholen und in Sicherheit zu bringen, sondern auch Hilfsgüter ins Krisengebiet zu bringen.

"Ich wollte nicht nur einfach etwas spenden oder für Frieden demonstrieren, sondern vor Ort helfen"

Zwei Tage vor der Abreise ist erst klar, wann es genau losgeht. Lok Leipzig bittet Sponsoren um Spenden wie haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel, Windeln und mehr. Keine 24 Stunden später muss der Klub den Aufruf stoppen, so viel ist schon zusammengekommen. "Und das Geld für Sprit hat die erste Mannschaft bezahlt", berichtet Marko Hofmann.

Dass er selbst den Lok-Mannschaftsbus begleitet, ist zwar kein Zufall, wird aber dennoch von anderen Umständen begünstigt. Eigentlich haben die Kickers 94 Markkleeberg an dem Wochenende, als sich der Bus auf den Weg in Richtung Ukraine machen will, ein Spiel. "Weil der Gegner, der Großenhainer FV, die Partie coronabedingt am Samstagvormittag abgesagt hat, war ich nicht mehr in einem Gewissenskonflikt und konnte ruhiger mitfahren", gibt Marko Hofmann zu.

Von Leipzig aus geht es über Tschechien, die Slowakei und Ungarn bis an die rumänisch-ukrainische Grenze. Nach mehr als 1200 Kilometern kommt der Leipziger Mannschaftbus gegen 21 Uhr in Satu Mare an. Es ist eine anstrengende Tour, aber natürlich nichts im Vergleich zu dem, was die 40 Kinder im Alter zwischen drei und 18 Jahren und ihre Betreuer aus dem Heim in Mariupol hinter sich haben. "Sie sind mit den Privat-PKW der Erzieher gefahren und durften im unmittelbaren Kriegsgebiet nur bei Tag fahren", berichtet Marko Hofmann und führt aus: "Sie haben alles dafür getan, dass ihnen nichts passiert. Sie haben das Auto abgeklebt und darauf geschrieben. 'Hier sind Kinder drin, bitte schießt nicht auf uns'. So sind sie unversehrt an der Grenze angekommen, wo wir sie in Empfang nehmen konnten."

Mit der Aussicht auf ruhigere Stunden geht es zurück, doch dann geht erstmal gar nichts mehr. Am Übergang von Rumänien nach Ungarn will die Polizei die Pässe sehen, aber die Pässe der Ukrainer entsprechen nicht den Anforderungen der EU. Alle bekommen neue Pässe. "Wir hatten an der Grenze nur fünf Busse vor uns, trotzdem hat es 13 Stunden gedauert, bis wir passieren konnten", schildert Marko Hofmann eine endlos anmutende Odyssee. Der Lehrer am Bischöflichen Maria-Montessori-Schulzentrum in Leipzig ist sprachgewandt und kann normalerweise gut vermitteln, aber "es hat alles ewig gedauert, um die Genehmigung zur Weiterfahrt zu erhalten".

Kicken auf dem Rasthof

Einen der schönsten Momente erleben die Helfer aus Deutschland auf einem Autobahnrasthof. Lok Leipzig ist schließlich ein Fußballverein und bei der Planung dieser Tour wurde nicht vergessen, Fußbälle einzupacken. Als der Bus also Pause macht, wird auf dem harten Asphalt nach Herzenslust gekickt. "Da ist einiges abgefallen, was die Kinder und Jugendlichen zuvor erlebt haben", berichtet Marko Hofmann.

Am 14. März kommen sie abends am Teutoburger Wald an, werden von weiteren Helfern in Stapelage herzlich in Empfang genommen. Die Tische in dem vorher leerstehenden Gebäude, in das die Kinder nun einziehen können, sind voll mit Essen und Getränken. Auch die Leipziger stärken sich erst einmal, dann geht es von Ostwestfalen noch einmal quer durch Deutschland zurück nach Hause.

Nach insgesamt 3100 Kilometern und fast 72 Stunden auf der Straße kommen sie früh morgens am 15. März wieder in Leipzig an – und alle sind sich einig: Das war die wichtigste Auswärtsfahrt, die der Mannschaftsbus von Lok Leipzig je gemacht hat.

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