Als Roman L.* die Meldungen aus seiner Heimat hörte, bekam er Angst um seine Familie. Russlands Staatspräsident Wladimir Putin hatte am 21. Februar die Volksrepubliken Luhansk und Donezk als eigenständige Staaten anerkannt. L. ahnte, dass nun ein Angriffskrieg gegen die Ukraine folgen würde. Drei Tage später fielen russische Truppen schließlich im Nachbarland ein – und die Familie von Roman L. ergriff die Flucht aus der Dombass-Region.
Mittlerweile sind seine Mutter und der kleine Bruder in Deutschland angekommen. Sie haben in Neubrandenburg eine Wohnung gefunden. Dass die beiden nun in Sicherheit sind, ist auch der Verdienst eines Fußballvereins aus Mecklenburg-Vorpommern. Roman L. spielt in der Kreisliga für den FC Motor Süd Neubrandenburg 2 . "Als sich die Lage in der Ukraine zuspitzte, war uns klar, dass wir seine Familie da rausholen müssen", sagt das Vorstandsmitglied Klaus Meyer* im Gespräch mit FUSSBALL.DE .
Er setzte sich mit seinen Vereinskollegen zusammen, plante mit ihnen die Reise und fuhr los – rund 1000 Kilometer in Richtung polnisch-ukrainischer Grenze. Im Karpatendorf Medyka parkte er seinen Kleintransporter und wartete auf die Flüchtlinge. "Es war gar nicht so einfach, zueinander zu finden", sagt der Neubrandenburger. Schließlich traf er auf die Mutter und den Bruder seines Spielers, führte sie zu seinem Auto und fuhr zurück nach Deutschland. "Das waren berührende Szenen, als die Familie wieder vereint war", erklärt das Vorstandsmitglied.
Integrationsarbeit in der Vereins-DNA
"Dass wir uns um Mitmenschen in Not kümmern, ist für uns selbstverständlich"
Ihm blieb keine Zeit, sich von den Strapazen zu erholen. Erneut war seine Hilfe nötig. Roman L. ist nämlich nicht der einzige Ukrainer, der für den FC Motor Süd Neubrandenburg spielt. Ein weiterer läuft in der ersten Mannschaft auf – in der Kreisoberliga Mecklenburgische Seenplatte. Und neben Roman L. war noch ein Ukrainer in der Kreisliga aktiv. "Die beiden haben Verwandte, die nach Kriegsausbruch fliehen mussten", sagt Meyer. Das Vorstandsmitglied verlegte seinen angedachten Urlaub also und fuhr erneut in die Grenzregion.
Wiederum war Geduld gefragt. Meyer musste rund 24 Stunden warten, bis die Angehörigen der beiden Fußballer zu ihm gelangt waren. Auf der Rückfahrt standen sie noch in einem langen Stau, da viele Ukrainer die Flucht ergriffen hatten. "Wenn man sieht, was die Bevölkerung für ein Leid erlebt, betrachtet man die Wartezeit im Auto aber gelassen", erklärt Klaus Meyer.
In Neubrandenburg angekommen, war er nun urlaubsreif. Der Verein bereitete derweil die nächste Fahrt zur Grenze vor. Die Mitglieder wollten noch weitere Angehörige ihrer Freunde in Sicherheit bringen. "Dass wir uns um Mitmenschen in Not kümmern, ist für uns selbstverständlich", betont Meyer. Für seine Integrationsarbeit ist der FC Motor Süd Neubrandenburg schon ausgezeichnet worden. In dem Verein sind viele Flüchtlinge aktiv. Mustafa Ibrahim, ein ehemaliger Profi aus Syrien, trainiert etwa die A-Jugend.
Einladung zum UEFA-Turnier
Der Vorstand setzte sich auch ein, als die Familie von Roman L. im Mai 2019 abgeschoben wurde. "Das konnte damals keiner nachvollziehen", erklärt Klaus Meyer. "Die Mutter hatte gerade ihren Bachelor in Sozialer Arbeit gemacht und musste dann wieder zurück in die Ukraine." Das Engagement war vergeblich. Die Familie wurde getrennt. Nur Roman L. durfte bleiben. Der heute 21-Jährige hatte damals gerade eine Ausbildung in einem Vermessungsbüro begonnen.
Der Krieg hat die Familie nun wieder zusammengeführt. Der jüngste Sohn kann demnächst zusehen, wie sein großer Bruder mit dem FC Motor Süd Neubrandenburg 2 um den Aufstieg in der Kreisliga spielt. Das Team ist aktuell Erster.
Und für Roman L. steht im Sommer noch ein großer Höhepunkt in seiner Fußball-Laufbahn an. Der Neubrandenburger Verein hat eine Einladung von der UEFA bekommen. Ende Juni geht es nach Nyon zu einem pan-europäischen Turnier, bei dem sich geflüchtete Fußballer auf dem Platz begegnen.
*Die Namen wurden anonymisiert, liegen der Redaktion jedoch vor.