Finaltag der Amateure | Magazin | 11.05.2025 | 10:00

Trainerduo Tuncel führt SV Hemelingen nach 76 Jahren zum Titel

"Wir sind 24 Stunden am Tag für unsere Spieler da - und zwar nicht nur, wenn es um Fußball geht": Günter (l.) und Feyhat Tuncel.[Foto: Halit Bulduk/SV Hemelingen]

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war der SV Hemelingen schon mal eine große Nummer im Bremer Fußball. Der Landesmeister von 1949 und zweimalige Landespokalsieger (1951 und 1952) aus dem Osten der Hansestadt spielte 1954 sogar um die Deutsche Amateurmeisterschaft mit - unter anderem gegen Hertha BSC.

Nach drei weiteren - jeweils nicht erfolgreichen - Finalteilnahmen im Bremer Landespokal (1963, 1967 und 1971) verschwand der Heimatklub des früheren Nationalspielers und Werder-Idols Max Lorenz jedoch nach und nach in den Niederungen des Amateurfußballs, bis ihn ein Brüderduo 2012 "wachküsste". Günter Tuncel (36) und sein älterer Bruder Feyhat (45) übernahmen eher zufällig das Traineramt beim SVH, der damals in der Bezirksliga tief im Abstiegskampf steckte.

"Unser Märchen"

"Damit begann unser Märchen", formuliert Günter Tuncel, der im Hauptberuf als Sozialarbeiter tätig ist, im Gespräch mit FUSSBALL.DE. In der Tat: Der SV Hemelingen schaffte nicht nur den Klassenverbleib, sondern entwickelte sich unter der Regie der Tuncel-Brüder kontinuierlich und nachhaltig weiter: Aufstieg in die Landesliga 2015, Sprung in die Bremen-Liga 2019. Dort wurde das Team 2023 und 2024 jeweils Vizemeister, ehe in dieser Saison erstmals nach 76 Jahren wieder der "große Wurf" gelang: Meister der Bremen-Liga - und das mit riesigem Vorsprung (aktuell 20 Punkte).

Dieser große Erfolg des kleinen Klubs könnte aber sogar noch doppelt getoppt werden. Am Finaltag der Amateure (Samstag, 24. Mai) trifft der SV Hemelingen ab 17.30 Uhr (live in der ARD-Konferenz) im Endspiel um den Bremer Poka l- genau wie vor einem Jahr - auf den Titelverteidiger und Nord-Regionalligisten Bremer SV. Nur vier Tage später (Mittwoch, 28. Mai) beginnt dann mit einem Auswärtsspiel beim Hamburger Traditionsklub Altona 93 die Aufstiegsrunde zur Regionalliga Nord. Für den SV Hemelingen ist also noch das erste Bremer Double und der Aufstieg in die vierthöchste deutsche Spielklasse möglich.

Vor allem die Aussicht auf die erste DFB-Pokalteilnahme der Vereinsgeschichte elektrisiert den Klub. "Wenn ich daran denke, dass wir uns eventuell auf dieser Bühne präsentieren dürfen und dabei auf einen Erst- oder Zweitligisten treffen würden, bekomme ich jetzt schon Gänsehaut", schwärmt Günter Tuncel. "Das ist eine Riesenchance für uns."

"Wenn ich daran denke, dass wir auf einen Erst- oder Zweitligisten treffen würden, bekomme ich Gänsehaut"

Zwar geht der zehnmalige Pokalsieger Bremer SV, der alleine seit 2014 gleich sechsmal den "Pott" gewann, auch diesmal als klassenhöheres Team und damit auch als Favorit in das Pokalfinale. Günter Tuncel sieht diesmal aber andere Vorzeichen als vor einem Jahr, als sein Team im Endspiel schon früh auf die Verliererstraße geriet und am Ende 0:3 das Nachsehen hatte. "Wir haben in der Meisterschaft bewiesen, dass wir reifer geworden sind, und treten jetzt mit einer extrem breiten Brust zum Finale an", betont Hemelingens Trainer: "Wir können nur gewinnen, der Bremer SV hat etwas zu verlieren."

Hinzu kommt: Der Titelverteidiger steckt in der Regionalliga Nord aktuell noch im Kampf um den Klassenverbleib, muss sich vor allem darauf fokussieren, während der SV Hemelingen schon seit Wochen als Meister der Bremen-Liga feststeht. Daher ist es nicht einmal ausgeschlossen, dass der Außenseiter den BSV nicht nur als Bremer Pokalsieger, sondern eventuell sogar als die neue Nummer zwei in der Stadt ablösen könnte, falls anschließend auch noch der Aufstieg in die Regionalliga Nord gelingen sollte.

Amtszeiten wie Rehhagel und Schaaf

Für Günter und Feyhat Tuncel, die sich mit ihrer Amtszeit von mehr als zwölfeinhalb Jahren inzwischen in den Sphären der Werder-Trainerlegenden Otto Rehhagel und Thomas Schaaf bewegen, ist das alles "wie ein Traum", der allerdings einst eher mit zwei Alpträumen begann.

Innerhalb kurzer Zeit hatten sich die beiden in Hemelingen aufgewachsenen Brüder Kreuzbandrisse zugezogen. Günter, der als Nachwuchskicker beim Nachbarn FC Oberneuland auch auf einem sehr ordentlichen Level gekickt hatte, hängte nach seiner schweren Knieverletzung die Fußballschule endgültig an den berühmten Nagel und übernahm zunächst als Trainer die U 19. Nur wenige Monate später rückte er dann aber in einer Krisensituation im Alter von nur 22 Jahren bereits zur ersten Mannschaft auf.

Dort war sein älterer Bruder Feyhat eigentlich als Leistungsträger eingeplant, konnte jedoch auf dem Platz verletzungsbedingt ebenfalls nicht helfen - und bildete fortan mit Günter das neue Trainergespann, das sofort erfolgreich startete und den Aufschwung einleitete.

Wohlfühloase für "Weltauswahl" 

"Wir haben beide ein großes Netzwerk, kennen sehr viele Leute", berichtet Günter Tuncel. "Dadurch ist es uns immer wieder gelungen, talentierte Jungs nach Hemelingen zu holen. Wir bewegen uns mit unserem Etat zwar selbst in der Bremen-Liga allenfalls im unteren Mittelfeld. Aber wir haben andere Vorteile zu bieten, was die Jungs zu schätzen wissen", so der Trainer: "Uns ist es wichtig, eine Wohlfühloase zu schaffen. Wir sind 24 Stunden am Tag für unsere Spieler da - und zwar nicht nur, wenn es um Fußball geht. Dadurch ist das Team auch bereit, für uns durchs Feuer zu gehen."

Nicht weniger als 13 verschiedene Nationalitäten sind im Kader des SV Hemelingen vereinigt, so dass in Bremen bisweilen sogar von einer "Weltauswahl" die Rede ist. "Die Spieler wissen, dass sie bei uns eine besondere Atmosphäre vorfinden, dass sie sich aber auch sportlich weiterentwickeln können", betont Günter Tuncel. Das beste Beispiel ist Torjäger Isa Drammeh, ein 22 Jahre alter Spanier mit Wurzeln in Gambia. Nachdem er während eines Bremen-Aufenthalts für einige Tage beim SV Hemelingen mittrainiert hatte, meldete sich der Angreifer, der in seiner Heimat zuletzt für den spanischen Viertligisten CE Manresa am Ball war, während der Winterpause bei Günter Tuncel und äußerte den Wunsch, dauerhaft für Hemelingen zu stürmen. Er erwies sich als wertvolle Verstärkung, traf bei seinen ersten zehn Einsätzen 19-mal.

Nun soll Drammeh auch mithelfen, das "Wunder von Hemelingen" mit dem Pokaltriumph und dem Regionalliga-Aufstieg noch wundersamer zu machen. Die Planungen für einen möglichen Sprung in die 4. Liga laufen bereits. So viele Spiele wie möglich will der SVH im Aufstiegsfall auf der heimischen Bezirkssportanlage an der Heerstraße austragen. Dort entstand beispielsweise für rund 80.000 Euro schon ein Gästeblock. Mögliche Ausweichspielstätten könnten die Städtische Sportanlage am Panzenberg, Heimat des Pokalfinalgegners Bremer SV, oder die ebenfalls regionalliga-taugliche Marko Mock Arena des FC Oberneuland sein. Dort findet jetzt auch das Endspiel um den Landespokal statt.

Auch Günter Tuncel arbeitet an den Voraussetzungen für die Regionalliga, strebt demnächst die Ausbildung zur A-Lizenz an. "Ich bin auch persönlich sehr ehrgeizig und möchte weiterkommen", betont er. Sehr weit und viel weiter als einst gedacht sind sein Bruder und er mit dem SV Hemelingen bereits gekommen. Noch aber ist der Weg nicht zu Ende.