Bevor der Rollator kommt
Stopp: Ruhpausen sind dringend einzuhalten. [Foto: Imago]
Fußballspielen im Alter ist ein Privileg. Manch einer kommt mit 70 ohne Rollator nicht mehr über die Straße, und wieder andere frönen allen Verschleißerscheinungen zum Trotz noch der schönsten Nebensache der Welt. Ein Showspiel in Berlin zwischen der Traditionsmannschaft von Eintracht Mahlsdorf und einer Auswahl bekannter DDR-Größen hat in der Zeit der WM 2014 in Brasilien zwar gezeigt, dass mit der Betagtheit nicht nur die Passschärfe nachlässt – vor Foto- und Autogrammjägern sind aber auch Fußballrentner noch nicht gefeit.
Wie sich Samuel Eto’o einen in die Jahre gekommenen Mann vorstellt, zeigt der eigenwillige Kameruner quasi mit jedem Torjubel. Weil der afrikanische Stürmer-Star in der vergangenen Saison beim FC Chelsea in Verruf gekommen war, seine besten Tage längst hinter sich zu haben, nimmt er seine Kritiker seither nach jedem statistischen Gegenbeweis auf die Schippe. Den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt und eine Hand in den Rumpf gestützt, humpelt er mit Tippel-Schritten zur Spielfeldbegrenzung, um Halt an der Eckfahne zu suchen.
Dass man aber noch andere Assoziationen zu älteren Menschen haben und sich als solcher durchaus auch noch schneller (fort)bewegen kann, haben namhafte Fußballrentner in Berlin gezeigt. Im Rahmen einer zweitägigen Kinder-WM arrangierte die Ü 70-Mannschaft vom BSV Eintracht Mahlsdorf ein Showspiel gegen eine Auswahl ehemaliger DDR-Fußballer um Nationalspieler wie Peter Ducke (73), Henning Frenzel (72) oder Erich Hamann (70). Letzterer hatte bei dem legendären 1:0 gegen die BRD bei der WM 1974 von Jürgen Sparwasser die Vorarbeit geleistet und somit maßgeblichen Anteil an einem der geschichtsträchtigsten Tore der deutschen Fußball-Geschichte (Sparwasser: „Erich gehören 50 Prozent des Tores“).
Zugeständnis der Natur
"Wir wollen deutschlandweit die erste Ü 80-Mannschaft an den Start bringen."
Natürlich aber hat der Kick aufgezeigt, dass während so einer langen Zeitspanne irgendetwas mit dem Körper passiert. Denn vor vier Jahrzehnten hätten die Freizeitfußballer aus Mahlsdorf das DDR-Ensemble mit Nationalspielern aus Leipzig, Magdeburg und Berlin sehr wahrscheinlich noch nicht mit 4:1 abgefrühstückt. Ein Erich Hamann kann einen Flugball, wie er ihn Sparwasser 1974 millimetergenau in den Laufweg geflankt hat, heute auch nicht mehr aus dem Fußgelenk schütteln. Der Verschleiß in den Knochen führt unweigerlich dazu, dass die Schere zwischen Amateur und Profi in diesem Fall immer kleiner wird. Zumindest ein kleines Zugeständnis der Natur an alle Gesellschaftskritiker. Soziale Ungleichheit im Abseits.
Generell hat bei den betagten Akteuren die Passschärfe abgenommen, Tempodribblings sind genauso unausgeprägt wie der Mut zur Defensivarbeit. Einzig die Diskussionsfreudigkeit mit dem eigenen Mitspieler scheint sich stetig weiterzuentwickeln. Doch wer angeboten bekommt, sich als Mittsiebziger noch so behände um den Ball zu zanken, muss eigentlich sofort den Kugelschreiber zum Unterschreiben parat haben. In einem Alter, in dem manch einer schon Probleme hat, den Einkaufsbeutel nach Hause zu schleppen, haben die Herrschaften noch die Luft, zweimal 30 Minuten in der Sommersonne herunterzuspulen. Und erst recht muss sich hier niemand an der Eckfahne abstützen.
Einmal pro Woche findet sich die Mahlsdorfer Traditionsmannschaft auf dem Übungsplatz ein und bestreitet Punktspiele in der Altliga, um nicht einzurosten. Auch Schlagersänger Frank Schöbel zählt dazu. Seit zehn Jahren schnürt er die Schuhe für die Eintracht. „Mit ihm wollen wir deutschlandweit die erste Ü 80-Mannschaft an den Start bringen“, verkündet der Vereinsvorsitzende Thomas Loest. Dafür müssen die Beteiligten aber noch ein bisschen durchhalten. Frank Schöbel ist 71.
Training im Treppenhaus
Die meisten Sonnenaufgänge von allen Aktiven auf dem Feld aber hat Günter „Jimmy“ Hoge miterlebt. Der sechsfache Nationalspieler hat mittlerweile 74 Lenze auf dem Buckel und war Profi zu einer Zeit, in der Fußballspieler noch keine Werbeverträge hatten und heute unvorstellbare 3000 bis 4000 Mark dafür bekamen, dem Ball hinterherzurennen. Früher sprintete er als Außenstürmer die rechte Flanke rauf und runter und wurde auf den Spitznamen „kleines Motorrad“ getauft. „Und nun fallen mir die Haare aus“, lacht der Berliner. 1973 hatte „Jimmy“ Hoge seine aktive Karriere beendet, dieser Tage hält er sich maximal bei Eventspielen mit Traditionsmannschaften wie in Mahlsdorf fit. „Für mich ist es sogar schon eine Trainingseinheit, wenn ich zuhause die Treppe nehme. Ich wohne in einem Hochhaus – im zwölften Stock.“
Doch selbst, wenn Günter Hoge heute auf dem Feld weniger unterwegs ist als Mario Basler, genießt er im Besonderen bei Anhängern von Union Berlin noch immer ungeheuren Kultstatus und ist ein begehrtes Fotoobjekt. Sein Autogramm ist für einen Fan in den 50ern wahrscheinlich nicht weniger wert als die Unterschrift von Mario Götze für einen kleinen Knirps. So schien sich ein Union-Fan nach dem Abpfiff fast einen kleinen Lebenstraum zu erfüllen, als er ein Bild mit dem Ehrenmitglied der „Eisernen“ knipsen lassen konnte. Als ihn seine Frau fragte, warum er so aufgeregt sei, antwortete der Mann: „Das verstehst du nicht – das war Jimmy Hoge!“