Themenwoche Schiedsrichter |12.10.2014|10:00

Beim Pfeifen vergisst Weinzierl die Krankheit

Fußball hilft Stefan Weinzierl, seine Krankheit FOP zu vergessen. [Foto: Oliver Jensen]

Auf dem Fußballplatz stehen, ein Spiel leiten, über Foul oder nicht Foul entscheiden - genau das ist die Leidenschaft von Stefan Weinzierl. Wie mehr als 75.000 Menschen in Deutschland hat auch der 27-Jährige viel Spaß am Pfeifen. Doch er ist kein Schiedsrichter wie jeder andere: Stefan Weinzierl leidet seit Geburt unter der seltenen Knochenkrankheit Fibrodysplasia ossificans progressiva (kurz FOP).

„Mir wächst praktisch ein zweites Skelett. Es entstehen Knochen an Stellen, wo eigentlich überhaupt keine wachsen dürfen“, erklärt er. Mit der Zeit verknöchert sein Körper mehr und mehr. Seinen linken Arm und seinen linken Fuß kann er kaum noch bewegen. Das zeigt sich auch auf dem Fußballplatz. Schnelles Laufen ist nicht möglich. Er kann sich lediglich gehend und mit Hilfe einer Krücke fortbewegen, muss daher viele Spielszenen aus der Ferne beurteilen.

Spiele werden anstrengender

„Ich habe zum Glück ein gutes Auge“, stellt er klar. Nur wenn die Entscheidung allzu knifflig ist, benötigt er etwas Hilfe von den Trainern und spielenden Kindern. An der Nase herumführen lässt er sich allerdings nicht: „Wenn ich mir 100-prozentig sicher bin, dass die das falsch gesehen haben, sage ich ihnen, wo es langgeht.“

"Ich finde es klasse, wenn mich die Kinder ganz offen fragen, was ich habe"

Die Reaktionen auf Stefan Weinzierl, der hauptberuflich im Empfang der Lebenshilfe Freising arbeitet, sind verschieden. Ein paar schiefe Blicke und abwertende Äußerungen sind auch ihm schon auf den Fußballplätzen untergekommen. Doch die meisten Kinder der E- und F-Jugend, bei denen er Spiele auf dem Kleinfeld leitet, begegnen ihm ohne Vorurteile. Möglicherweise weil er selber ganz offen mit seiner Behinderung umgeht: „Manche Kinder schauen zwar komisch wegen der Krücke, zeigen aber Respekt. Ich finde es klasse, wenn mich die Kinder ganz offen fragen, was ich habe. Ich kann es ihnen leider nicht so richtig erklären, weil sie dafür noch zu klein sind."

Überhaupt kann sich Stefan Weinzierl gut in die kleinen Kicker hineinversetzen. Auch er rannte früher dem runden Leder hinterher. Ab der D-Jugend wurde ihm der Sport allerdings zu schnell. Aufgrund seiner Behinderung konnte er nicht mehr mithalten. Um dem Fußball weiterhin verbunden zu bleiben, wurde der Fan von 1860 München als Betreuer aktiv. „Ich wollte einfach weiter am Vereinsleben teilhaben. Es macht mir Spaß, mit anderen Leuten zusammen zu sein“, erzählt er. Der Wunsch, selber wieder auf dem Rasen zu stehen, war immer präsent. So sehr, dass er mit etwa 16 Jahren als Schiedsrichter anfing.

In seinen besten Zeiten pfiff er locker drei Spiele im Monat - manchmal sogar zwei Partien in Folge. Doch die Krankheit macht ihm das Schiedsrichterdasein immer schwerer. „Wenn ich ein Spiel gepfiffen habe, bin ich mittlerweile total kaputt. So lange auf den Beinen zu stehen und die Konzentration aufrecht zu halten, ist für mich sehr anstrengend.“ Nun ist er dazu gezwungen, auch als Schiedsrichter kürzer zu treten und nur noch auf Abruf bei Engpässen parat zu stehen.

Um dem Fußball dennoch nahe zu sein, übernahm er zwischenzeitlich für die Schiedsrichtergruppe Freising auf ehrenamtliche Basis die Einteilung der Unparteiischen. Die Aufgabe war allerdings so stressig, dass er die Funktion wieder aufgab. Seine Kräfte spart er sich nun lieber, um zum Beispiel im Winter bei dem einen oder anderen Hallenturnier als Schiedsrichter aushelfen zu können.

Die große Angst von Stefan Weinzierl, der den WM-Schiedsrichter Felix Brych als sein Vorbild bezeichnet, ist eine Verschlimmerung seiner Krankheit. „Kein Arzt kann das voraussagen. Meine Krankheit kann niemals besser, aber jederzeit schlimmer werden“, sagt er mit sachlichen Worten. Der junge Mann ist davon überzeugt, dass der weitere Krankheitsverlauf mit seiner Psyche zusammenhängt. Je besser er sich fühlt, desto geringer schätzt er die Gefahr einer Verschlimmerung ein. Und genau dabei kann ihm der Fußball helfen. „Wenn ich auf dem Platz stehe, denke ich nur an das Pfeifen“, sagt er. In diesen glücklichen Momenten gerät seine Krankheit in Vergessenheit.