Diese seltenen Amseln fliegen auf Peickwitz
Zwei aus der Familie Amsel sind hier zu sehen: Vater Ingo Amsel ganz rechts, Sohn Marvin ganz links (mit Glatze). [Foto: Steffen Rasche]
In Peickwitz, einem 380-Einwohner-Ortsteil Senftenbergs im Oberspreewald, hat ein besonderes Viererpack sein Nest gebaut: die Familie Amsel. Das Ehepaar Ingo (47) und Kirstin (45) bereichert gemeinsam mit seinen Söhnen Marvin (21) und Clemens (18) den SV Germania Peickwitz. Mehr noch: Die Amseln tragen den Verein. Ohne sie wäre Germania wohl nicht das, was es heute ist. Eine Geschichte aus der FUSSBALL.DE-Themenwoche Tierischer Fußball.
Fußball wird in Peickwitz erst seit diesem Sommer wieder gespielt. Vorher hatte der Verein seit 1958 keine Männermannschaft zusammenbekommen. Ein unzumutbarer Zustand auch für Marvin und Clemens Amsel. Die beiden Brüder waren in Peickwitz aufgewachsen und hatten hier in Junioren-Teams ihre ersten „Flugstunden“ mit dem Ball unternommen. Schon bald aber mussten sie zwangsläufig flügge werden, weil es nach der E-Jugend keine Teams mehr gab beim SV Germania . Nun jedoch, als gestandene Männchen, sind sie wieder da, um für ihren Heimatort zu kicken. Gemeinsam mit dem Jugendclub und weiteren davongezogenen Peickwitzer Kindern planten sie die Rückkehr und den Neuanfang in der 2. Kreisklasse. Weil ihnen Identifikation wichtiger erschien als die Zugehörigkeit zu einem höherklassigen Klub. Ein Vogelzug zurück ins Brutgebiet.
"Wir haben die Jungs ja nicht Jahre lang durch die Gegend gefahren und auf die Sportschule geschickt, damit sie irgendwann in der Kreisklasse spielen"
Papa Ingo, der in dem neu entstandenen Peickwitzer Konstrukt zwischen Mannschaftsleiter, Aushilfstrainer und Standby-Spieler hin und her pendelt, bescheren die beiden Söhne mit ihrem Entschluss ein Privileg, das bei Weitem nicht jedem Vater zuteil wird: Er darf mit dem eigenen Nachwuchs zusammen gegen den Ball treten. „Das ist für einen Vater ein wahnsinnig tolles Gefühl und auch die Jungs haben einen Heidenspaß, wenn sie den Alten im Training ausnehmen“, sagt Ingo Amsel. Trotzdem wollte er sich anfangs auf keinen Fall mit der Idee anfreunden, dass seine Jungs entgegen jeden sportlichen Ehrgeizes ihre Vereine verlassen, um im untersten Keller des deutschen Ligen-Systems zu landen. Immerhin spielte der 18-jährige Clemens schon für Energie Cottbus in der B-Jugend-Bundesliga und hatte im Sommer Angebote aus der Ober- und Brandenburg-Liga vorliegen. „Es gab großes Theater zuhause. Wir haben die Jungs ja nicht Jahre lang durch die Gegend gefahren und auf die Sportschule geschickt, damit sie irgendwann in der Kreisklasse spielen“, sagt Ingo Amsel.
Doch Marvin und Clemens Amsel trällern eben nicht alles nach, was die Eltern vorsingen. Sie haben ihren eigenen Kopf – und fliegen auf Peickwitz. Deswegen spielen sie wieder zuhause. „Dabei sind sie komplett unterschiedlich“, weiß Papa Ingo. „Marvin ist eine hundertprozentige Kampfsau, gegen den möchte ich auch nicht spielen. Clemens dagegen ist der Kopf der Mannschaft. Einer, der das Spiel liest.“ Mit ihren Erfahrungen aus höheren Ligen gehören die Brüder ohne Zweifel zu den Eckpfeilern bei Germania, das bislang genauso selbstständig durch die 2. Kreisklasse marschiert ist wie der FC Bayern durch die Bundesliga. Die ersten sieben Liga-Spiele wurden allesamt gewonnen. Im familieninternen Torjägerduell liegt Marvin mit seinen sieben Toren knapp vor Clemens (6).
Auch Ingo Amsel durfte schon ein Tor bejubeln. Und nach und nach verändert sich auch bei ihm der Ärger über die Starrköpfigkeit seiner Sprösslinge in ein Gefühl von Vaterstolz. „Es ist schon prima, wenn man solche geerdeten und heimatverbundenen Jungs hat.“ Im Grunde muss es auch genauso kommen, wenn die Kinder schon im Alter von ein bis zwei Jahren erstmals mit dem Verein in Berührung kommen. „Wir haben die Jungs schon als kleine Stifte mit auf den Platz genommen. Sie wurden quasi Mitglied mit der Geburt.“
So wie es einst auch Mutter Kirstin ergangen war, die als Vereinsvorsitzende agiert, aber weniger mit Fußball als vielmehr mit der Frauensportgruppe zu tun hat. Auch sie bekam den SV Germania mehr oder weniger vererbt. Im Alter von 24 Jahren übernahm sie den Vorsitz vom eigenen Vater Gerd Drogla. Der hatte immer davon geträumt, selbst mal für Peickwitz spielen zu können. 1958 aber, als die bislang letzte Mannschaft aufgelöst wurde, war er noch zu jung. Und nun mit 70 Jahren ist er zu alt – und darf den Peickwitzer Aufschwung nur noch als Greenkeeper miterleben. Dennoch sagt Ingo Amsel: „Der Verein ist sein Ein und Alles. Auch für ihn ist in diesem Sommer ein Traum in Erfüllung gegangen.“ Seinen Enkelkindern sei Dank.