Rot-Weiss Essens Sportdirektor Andreas Winkler |09.12.2015|17:00

RWE in der Krise: "Drohungen gehen zu weit"

Andreas Winkler war Spieler und Trainer bei Rot-Weiss Essen, mittlerweile ist er Sportdirektor. [Foto: Fotos Getty, imago; Collage FUSSBALL.DE]

Rund zehn Jahre lang war Andreas Winkler für den Nachwuchsbereich des West-Regionalligisten Rot-Weiss Essen verantwortlich. Im Sommer wurde der 46-jährige Ex-Profi beim Traditionsverein zum Sportdirektor befördert. Seine Aufgabe: Eine Mannschaft zusammenzustellen, die um die Spitzenplätze mitspielen kann. Unter dem ebenfalls neuen Trainer Jan Siewert läuft es bislang allerdings alles andere optimal. Der Deutsche Meister von 1955 und DFB-Pokalsieger von 1953 mit einem für Viertliga-Verhältnisse gigantischen Zuschauerschnitt von 7458 Besuchern spielt gegen den Abstieg.

Im aktuellen FUSSBALL.DE -Interview spricht Andreas Winkler über die schwierige Situation, Grüppchenbildung in der Mannschaft und drohende „Nikoläuse“.

FUSSBALL.DE: Dass Rot-Weiss Essen nur einen Punkt Vorsprung auf einen Abstiegsplatz aufweist, kommt selbst für viele Experten überraschend. Wie erklären Sie sich das bisherige Abschneiden?

Andreas Winkler: Fakt ist, dass die Punktausbeute für uns alle absolut unbefriedigend ist. RWE spielt in der Regionalliga West sicher eine besondere Rolle. Für viele Vereine ist das Duell mit Rot-Weiss das Spiel des Jahres. Wenn wir dann - wie im Sommer - einen schwachen Start erwischen, verzögern sich gewisse Prozesse und es wird noch schwerer. Gleichzeitig reagiert das Umfeld, vielleicht sogar mehr als irgendwo anders.

„Rot-Weiss Essen gehört nicht in die 4. Liga“: Ein Satz, den man rund um die Hafenstraße häufig hört. Nun gehört RWE aber im fünften Jahr in Folge der vierthöchsten Spielklasse an, war sogar schon seit 2008 nicht mehr drittklassig. Warum?

Winkler: Ich möchte jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen. Bei RWE rechnet man vor einer Saison schnell damit, dass es jetzt mit dem Aufstieg passieren muss. Genauso schnell wächst die Ungeduld, wenn es nicht rund läuft. Wir haben aktuell nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten, um nur Spieler zu holen, die schon Dritt- oder sogar Zweitliga-Erfahrung aufweisen. Wir haben eine verhältnismäßig junge Mannschaft, die sich entwickeln muss. Das Potenzial ist aber ohne jeden Zweifel vorhanden.

Viele RWE-Fans haben noch Erst-, zumindest aber Zweitliga-Fußball in Essen gesehen, zuletzt 2007. Trotzdem pilgern Sie immer noch in Scharen ins Stadion. Kann dieser Zuspruch abebben, wenn nicht bald ein Aufstieg gelingt?

Winkler: Die erste Mannschaft als Aushängeschild ist besonders gefordert, damit RWE positiv im Gespräch bleibt. Unsere Fans werden nicht jünger. Deshalb geht es ständig auch darum, neue Anhänger in unser neues Stadion zu locken. Das geht am einfachsten über Erfolge, eingeschränkt noch über eine attraktive Spielweise.

Vor der Saison wurde als Ziel formuliert, ständig Kontakt zu den Spitzenplätzen halten zu wollen. Das hat nicht geklappt. Wie lautet aktuell die Zielsetzung?

Winkler: Zunächst einmal ist es entscheidend, den Abstand nach unten so schnell wie möglich zu vergrößern. Darüber hinaus stehen wir im Halbfinale um den Verbandspokal, den wir erneut gewinnen wollen. Der damit verbundene Einzug in den DFB-Pokal wäre sportlich und finanziell attraktiv.

Im Zentrum der Fan-Kritik stehen Sie als Sportdirektor im ersten Jahr und Trainer Jan Siewert, der zuvor noch nie eine Senioren-Mannschaft trainiert hatte. Hätten Sie mit so viel Gegenwind gerechnet?

Winkler: Es ist doch ganz normal, dass ich als Sportdirektor durchaus im Fokus stehe, wenn es nicht nach Wunsch läuft. Konstruktive Kritik ist völlig akzeptabel.

Wie gehen Sie damit um?

Winkler: Wenn ich höre, dass mir ein Fan etwas Unsachliches entgegenruft, suche ich umgehend das Gespräch. Danach verstehen mich die Fans in der Regel besser. Für mich ist es wichtig, dass unsere Anhänger wissen, dass man mit mir reden kann. Meine Arbeit soll transparent sein.

Mit 33 Jahren gehört Jan Siewert, der mit Ihnen gemeinsam die Ausbildung zum Fußball-Lehrer absolviert hatte, zu den jüngsten Trainern der Liga. Hätten Sie nicht doch mehr auf Erfahrung setzen sollen?

Winkler: Es waren auch ältere Trainer im Gespräch, wir haben uns aus verschiedenen Gründen jedoch für Jan Siewert entschieden. Kompetenz stand dabei immer im Vordergrund - da spielt das Alter keine Rolle. Jan Siewert hat für RWE seinen Job beim DFB beendet und damit einiges aufgegeben. Wir alle haben das Feuer in ihm gespürt und spüren es nach wie vor.

Innerhalb der Mannschaft soll es Grüppchenbildung geben. Wird es im Winter Teambuilding-Maßnahmen wie zum Beispiel einen Besuch im Hochseilgarten geben?

Winkler: Wir waren vor der Saison im Hochseilgarten, sind darüber hinaus geschlossen zur Hochzeit von Jan Siewert gefahren. Wichtig ist jetzt die Teambuilding-Maßnahme, die aktuell in der Meisterschaft stattfindet. Das jüngste 1:1 bei Borussia Dortmund U 23 hat uns allen gezeigt, dass die Mannschaft immer mehr zusammenwächst.

Im Sommer war die Vereinsphilosophie unter dem Schlagwort „Hafenstraßen-Fußball“ vorgestellt worden. RWE sollte aggressiv, leidenschaftlich, mutig und offensiv spielen. Was ist davon übrig geblieben?

Winkler: Der Begriff „Hafenstraßen-Fußball“ hat sich schnell verselbstständigt. Plötzlich verstand jeder etwas anderes darunter. Es gibt in jeder Partie Phasen, in denen unsere Spielidee erkennbar ist. Zugegeben: Wir schaffen es häufig nicht, diesen Stil über die gesamte Spieldistanz durchzuhalten. Es ist uns bisher noch nicht gelungen, uns in einen Lauf zu spielen, der vieles einfacher machen würde.

Der Vertrag mit Zugang Kevin Behrens, in der vergangenen Saison für Ligakonkurrent Alemannia Aachen noch ein Torgarant, wurde aus disziplinarischen Gründen aufgelöst. Der ebenfalls als Leistungsträger eingeplante Cebio Soukou sucht nach einem neuen Verein in der 3. Liga. Wo liegen die Gründe?

Winkler: Ich glaube zu beiden Spielern ist alles gesagt. Generell ist Rot-Weiss Essen in der Regionalliga sicher eine extreme Situation mit einem extremen Umfeld. Den Spielern, die zu uns kommen, fällt es bei ihrem Wechsel schwer, sich vorzustellen, was hier los ist, wenn es nicht gut läuft. Auf der anderen Seite bietet der Verein hervorragende Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Die Kombination aus Verein, Fans und Druck kann einen jungen Spieler innerhalb kurzer Zeit zu einem gestandenen Fußballer machen.

Behrens und Soukou würden in Bestform die meisten Offensivabteilungen im Regionalliga-Bereich bereichern. Aktuell stellen sich beide sogar bei Drittligisten im Probetraining vor. Wie reagieren Sie auf die Abgänge?

Winkler: Wir haben großes Vertrauen in unseren aktuellen Kader, wollen aber mit 23 Spielern in die zweite Saisonhälfte gehen. Schon seit Wochen sondieren wir den Markt nach möglichen Zugängen, die uns über die Saison weiterhelfen können. Einen erneuten Umbruch im Sommer, wie vor der aktuellen Saison, soll es nicht geben. Verpflichtungen sind im Winter schwieriger, weil viele interessante Spieler noch vertraglich gebunden sind.

Die Auswärtsbilanz ist mit einem Sieg, zwei Unentschieden und sechs Niederlagen verheerend. Nur das abgeschlagene Schlusslicht FC Wegberg-Beeck (null Punkte) steht in der Auswärtstabelle hinter RWE. Wo liegen die Hauptprobleme?

Winkler: Wir haben auch schon auswärts gute Leistungen abgeliefert. Häufig ließ sich unsere Mannschaft aber schlicht überrumpeln, einige Partien wie in Verl oder in Dortmund sind extrem unglücklich gelaufen. Wie gesagt: Die gegnerischen Teams legen gegen RWE meistens noch eine Schippe drauf. Damit müssen wir umgehen.

Vor dem jüngsten 1:1 bei Borussia Dortmund U 23 waren Fans im Nikolaus-Kostüm aufgetaucht. Sie hielten ein Banner mit der Aufschrift „Wenn Ihr heut verliert, gibt es richtig Rabatz“ hoch. Was denkt man als Verantwortlicher in so einem Moment?

Winkler: Das sind für mich nicht die Fans, die ich seit rund zehn Jahren hier erlebe. Emotionalität ist okay, Kritik auch. Drohungen gehen aber zu weit. Die Mannschaft hat das Plakat gar nicht so richtig wahrgenommen. Man muss sich einmal vorstellen, dass sich unsere Spieler danach 90 Minuten konzentrieren müssen. Da helfen solche Aktionen ganz sicher nicht.

Sollte RWE am Samstag beim SC Wiedenbrück verlieren, droht das Überwintern auf einem Abstiegsplatz. Ein Horror-Szenario?

Winkler: Ich mag das Wort Horror-Szenario nicht. Wir reden immer noch über Fußball. Es wäre sicher extrem unschön, auf einem Abstiegsplatz zu überwintern. Das ist uns allen bewusst. Wir werden daher alles versuchen, damit es nicht dazu kommt.

Sie waren einst Spieler beim FC Bayern München. Wie sehr ärgert es Sie, mit RWE nicht die Nummer eins zu sein?

Winkler: Mein erklärtes Ziel ist es, immer den maximalen Erfolg zu haben. Das treibt mich an. Beim FC Bayern München wollte jeder - vom Präsidenten bis zum Zeugwart - Erster sein. Die Geschlossenheit im gesamten Verein war beeindruckend.

Ihr Spitzname ist „Jimmy“. Wie kommt man von Andreas auf Jimmy?

Winkler: Woher wissen Sie das? (lacht) Als Jugendlicher war ich Fan von James Dean, hatte seine Plakate in meinem Zimmer. Andreas klang damals in meinen Ohren ein wenig langweilig. Deshalb hatte ich nichts dagegen, wenn meine Freunde mich ‚Jimmy‘ gerufen haben.