Atalan: "Ein Nobody wird kritisch gesehen"
Will mit den Sportfreunden Lotte nach oben: Ismail Atalan. [Foto: imago]
Fußballprofi war Ismail Atalan nie. Als Trainer startet der 35-Jährige dafür so richtig durch. Nach zweieinhalb erfolgreichen Jahren beim Westfalen-Oberligisten SC Roland Beckum übernahm Atalan im Januar 2015 die Leitung beim West-Regionalligisten Sportfreunde Lotte. Seine Bilanz nach rund einem Jahr Amtszeit ist beeindruckend: Durchschnittlich mehr als zwei Punkte pro Spiel holten die Sportfreunde in den bisherigen 41 Partien unter Atalans Regie. Vor dem Spitzenspiel zum Restrundenstart gegen Rot-Weiß Oberhausen am Samstag (ab 14 Uhr) rangiert Lotte punktgleich mit Tabellenführer und Titelverteidiger Borussia Mönchengladbach U 23 auf Platz zwei.
Im aktuellen FUSSBALL.DE -Interview spricht Ismail Atalan über seinen Ruf als „Professor“, die Gründe für den Erfolg, die Vor- und Nachteile eines Trainers ohne Profilaufbahn und die Zielsetzung für den Endspurt.
FUSSBALL.DE: Die Wintervorbereitung ist vorbei, am Wochenende geht es wieder los. Welche Schwerpunkte haben Sie gesetzt, Herr Atalan?
Atalan: Wir haben uns vor allem darauf vorbereitet, gegen tief stehende Mannschaften Lösungen zu finden. Unsere Gegner werden sich in der Restrunde mehr denn je hinten reinstellen. Uns erwarten andere Spiele als noch während der Hinserie. Zum Ende der Saison werden die Begegnungen auch hitziger, die Aggressivität nimmt zu. Auch das war bereits jetzt ein wichtiger Punkt in unseren Trainingseinheiten.
"Die Qualität einer Spielidee hängt nicht von einer früheren Profilaufbahn ab"
Im abschließenden Test kassierte Ihre Mannschaft ein 1:3 gegen den Nord-Regionalligisten BSV Schwarz-Weiß Rehden. Was lief falsch?
Atalan: Es hat die richtige Einstellung gefehlt. In Testspielen ist es häufig schwer, die Spannung hochzuhalten. In den Köpfen der Spieler existiert immer der Gedanke, dass es nicht um Punkte geht. Das ist für den einen oder anderen zermürbend. Als ambitionierte Mannschaft, die ehrgeizige Ziele verfolgt, darf uns das aber nicht passieren. Ich erwarte von jedem meiner Spieler, dass er immer 100 Prozent gibt - egal ob im Training bei einer Passübung, in einem Testspiel oder in der Meisterschaft. Deshalb war ich logischerweise mit dem Auftreten gegen Rehden nicht zufrieden. Gegen vermeintlich stärkere Gegner haben wir allerdings auch gute Leistungen gezeigt - beispielsweise bei unseren Siegen gegen den VfL Osnabrück oder den TSV Havelse.
Sie beschreiben die Sportfreunde Lotte als „ambitioniert“. Wie lautet denn Ihre Zielsetzung für den Rest der Spielzeit?
Atalan: Ganz klar: Wir wollen bis zum Ende um die Meisterschaft mitspielen. Allerdings ist es bis zu einem möglichen Titel noch ein langer Weg. Die Konkurrenz ist groß.
Wer sind neben dem punktgleichen Tabellenführer Borussia Mönchengladbach U 23 die stärksten Konkurrenten?
Atalan: Auch Viktoria Köln und Rot-Weiß Oberhausen besitzen das Potenzial, nach 36 Spielen an der Tabellenspitze zu stehen. Beide Vereine würden auch über die finanziellen Mittel verfügen, um die Herausforderung in der 3. Liga anzugehen.
Apropos: Wären auch die Sportfreunde Lotte wirtschaftlich bereit für den Profifußball?
Atalan: Klares Ja! Wenn wir uns sportlich qualifizieren sollten, dann werden wir auch den Gang in die 3. Liga antreten. Diesen Traum verfolgt der Verein schon seit einigen Jahren, ist mehrfach nur ganz knapp gescheitert.
Ihre Bilanz als Trainer lässt aufhorchen. Gibt es ein Erfolgsgeheimnis?
Atalan: Das müssten Sie vielleicht eher die Spieler fragen. (lacht) Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass der Erfolg nicht zuletzt vom Wohlbefinden der Spieler abhängt, die nicht zur Stammformation gehören, sondern meist auf der Bank oder sogar auf der Tribüne sitzen. Wenn man es als Trainer schafft, im gesamten Kader eine gute Stimmung zu verbreiten, hat man bereits einen wichtigen Schritt in Richtung Erfolg gemacht. Entscheidend ist, immer ehrlich mit seinen Spielern umzugehen und regelmäßig zu erklären, warum man sich für diese oder jene Aufstellung entschieden hat. Jeder Spieler muss nachvollziehen können, warum er nicht eingesetzt wird.
Wie würden sie sich als Trainertyp beschreiben? Sind Sie eher emotional oder introvertiert?
Atalan: Ich bin ein emotionaler Trainer, der den Spielern den Einsatz vorlebt, den sie auch auf dem Platz zeigen sollen.
Sie gelten auch als „Fußball-Professor“. Was ist da dran?
Atalan: (lacht) Ich weiß zwar nicht, woher der Begriff kommt. Es ist aber richtig, dass ich sehr detailliert arbeite und ziemlich penibel bin. Das heißt, dass ich beispielsweise bereits bei einer simplen Passübung darauf achte, dass sie perfekt ausgeführt wird und die Pässe mit der richtigen Schärfe gespielt werden. Außerdem stelle ich meine Spieler auf jeden Gegner individuell ein. Es kann schon einmal passieren, dass ich einen meiner Jungs auf einer anderen Position einsetze, weil er uns gegen einen bestimmten Gegner so am meisten hilft. Ich lege auch großen Wert darauf, verschiedene Typen im Kader zu haben. Es gibt Begegnungen, in denen eher ruhige, in sich gekehrte Spieler gefragt sind. An einem anderen Tag benötigen wir dagegen emotionale, lautstarke Akteure. Auch danach entscheide ich, wer in der Startelf steht und wer nicht. Ich gebe zu, dass ich häufig auf Kleinigkeiten achte. Das ist aber auch wichtig. Denn diese winzigen Details entscheiden oft die Spiele.
Sie waren selbst kein Profifußballer. Ist das als Trainer in höheren Spielklassen nicht ein Nachteil?
Atalan: Zu Beginn der Karriere ist es sicher ein Vorteil, wenn der Trainer einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt. Der Respekt ist dann größer. Wer eigene Erfahrungen im Profigeschäft gesammelt hat, kann diese außerdem vor allem den jungen Spielern hervorragend vermitteln. Ein „Nobody“ wird dagegen zunächst oft kritisch angesehen. Nach maximal vier bis sechs Wochen ist dieser Vorteil aber meist verpufft. Spieler und Trainer lernen sich besser kennen, die Mannschaft setzt die Spielidee des Trainers um - ganz egal, ob er früher Profi war oder nicht. Die Qualität einer Spielidee hängt nicht von einer früheren Profilaufbahn ab.
Ihr Vertrag in Lotte läuft aktuell bis zum Saisonende. Noch haben Sie Ihren Kontrakt nicht verlängert. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, was im Sommer passiert?
Atalan: Wir werden uns in den nächsten Wochen zusammensetzen und Gespräche über eine Fortsetzung unserer Zusammenarbeit führen. Das Ziel ist es, so früh wie möglich Klarheit zu schaffen. Auch, damit nicht unnötig Unruhe aufkommt. Klar ist, dass ich mich bei den Sportfreunden sehr wohl fühle und gerne bei diesem Verein arbeite. Ich möchte auch betonen, dass die Entscheidung über meine Zukunft in Lotte unabhängig von einem möglichen Drittliga-Aufstieg fällt.
Sie sind derzeit A-Lizenz-Inhaber. Ist die Fußball-Lehrer-Ausbildung ein Thema, damit auch Sie persönlich für die 3. Liga gerüstet sind?
Atalan: Ich möchte definitiv versuchen, in diesem Jahr einen der begehrten Plätze für die Ausbildung zum Fußball-Lehrer zu ergattern. Das mache ich aber nicht nur für einen möglichen Aufstieg, sondern hauptsächlich für mich selbst. Ich habe das klare Ziel, irgendwann im Profibereich zu arbeiten. Als Trainer eines ambitionierten Regionalligisten kann es keine andere Zielsetzung geben. Wie jeder Spieler auch möchte ich mich weiterentwickeln und in der höchstmöglichen Spielklasse tätig sein.
Am Samstag empfangen Sie mit den Sportfreunden Lotte den direkten Konkurrenten Rot-Weiß Oberhausen. Im Hinspiel gab beim 0:2 eine von nur zwei Niederlagen. Was ist von Ihrer Mannschaft gefordert, um das Rückspiel zu gewinnen?
Atalan: Vor allem in den Auftaktspielen des neuen Jahres müssen wir über den Kampf kommen. Nach einer langen Pause wird spielerisch noch nicht alles funktionieren. Ich erwarte deshalb auch eine zweikampfbetonte Partie, in der sich die intensive Arbeit der Vorbereitung auszahlen wird. Wer den entscheidenden Meter mehr macht, der wird sich durchsetzen.