Ex-Profi Heinze: Nochmal Geschichte schreiben
Einst galt Timo Heinze beim FC Bayern als hoffnungsvolles Talent, jetzt startet er beim Futsal durch. [Foto: Fotos Getty, Kühlborn; Collage FUSSBALL.DE]
Timo Heinze hat viel erlebt: er spielte neben den späteren Weltmeistern Mats Hummels, Toni Kroos und Thomas Müller für den FC Bayern München, schaffte den Sprung zu den Profis zwar nicht, aber schrieb ein Buch über seine unvollendete Karriere. Als 30-Jähriger träumt er nun von der Nationalmannschaft – im Futsal.
Die Geschichten, die seine einstigen Weggefährten erzählen können, lassen Herzen höher schlagen. Sie handeln vom maximalen sportlichen Erfolg und enden mit dem heldenhaften Triumph ihrer Hauptdarsteller. Mats Hummels, Toni Kroos oder Thomas Müller: sie alle können diese Geschichte erzählen. Ihre Geschichte vom großen Coup, dem Titelgewinn mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien.
"Das heutige Leben eines Profis brauche ich nicht. Ich verdiene zwar nicht so viel Geld, dafür habe ich meine Ruhe"
„Mats kann sich für immer Weltmeister nennen. Das ist schon Wahnsinn“, sagt Timo Heinze. Den Kontakt zu seinem ehemaligen Mitspieler hat er aufrecht gehalten. Mindestens einmal im Jahr treffen sich die beiden gemeinsam mit Mats‘ jüngerem Bruder Jonas, mit dem Heinze in Unterhaching auch schon gemeinsam auf dem Rasen stand, und plaudern über alte Zeiten oder dies und jenes. Langweilig wird es nie. Denn auch Timo Heinze hat seine Geschichte. Sie handelt nicht von großen Erfolgen und Siegesfeiern im Konfetti-Regen. Spannend und aufschlussreich ist sie trotzdem.
Heinze hat sie aufgeschrieben. Das Buch wurde ein Bestseller. Es handelt von der Kehrseite der Medaille, vom unerfüllten Traum, Fußballer in der Bundesliga zu werden. Davon, wie der junge Timo die Jugendmannschaften des großen FC Bayern durchläuft, U-Nationalspieler wird, die deutsche A-Jugendmeisterschaft feiert, als Top-Talent in die Reserve des deutschen Rekordmeisters aufsteigt und beim Abschiedsspiel von Oliver Kahn für sieben Minuten seinen Profi-Traum leben darf. Aber genauso handelt die Geschichte davon, wie eine schwere Verletzung den schier unaufhörlichen Weg nach oben abrupt bremst, wie Entscheidungen eines Trainers, die eigene Reaktion darauf und der mentale Druck zu unüberwindbaren Hindernissen werden auf dem steinigen Pfad in die Bundesliga.
Auszeit in Bali
Heinze wechselt vom FC Bayern in den Vorort Unterhaching. Nach nur einer Saison fasst er 2010 den Entschluss seine Karriere zu beenden. Er nimmt sich eine Auszeit, reist nach Bali. Dann schreibt er das Buch. Er nennt es „Nachspielzeit – eine unvollendete Fußballkarriere“. Es liest sich wie eine Verabschiedung von seinem bisherigen Leben.
Sein neues Leben führt Timo Heinze nach Köln. An der Sporthochschule studiert der Rosenheimer Sportmanagement und Kommunikation: „Ich wollte eigentlich Sportjournalist werden, habe aber schnell gemerkt, dass ich immer wieder bei den psychologischen Themen hängengeblieben bin. Das ist mir schon beim Schreiben des Buches aufgefallen.“ Er schließt sein Studium ab und beginnt gleich das nächste: Psychologie. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, als Sportpsychologe meine persönlichen Erfahrungen weiterzugeben. Mittlerweile habe ich Abstand gewonnen und kann reflektiert genug auf die Zeit zurückblicken“, sagt Heinze.
Die Lust am Kicken findet er schon während des Sportstudiums recht schnell wieder. Zur Saison 2011/12 schließt er sich Fortuna Köln an. Auch wegen einer gebrochenen Hand macht der zweikampfstarke Außenverteidiger aber nur acht Spiele in der Regionalliga. „An mein altes Leistungsniveau bin ich ohnehin nicht annähernd herangekommen. Darum ging es aber auch gar nicht. Ich wollte wieder Spaß am Fußball haben und den habe ich gefunden. Zeitlich war das allerdings definitiv nicht länger zu stemmen parallel zu meinem Vollzeitstudium.“
Im Studium entdeckt Heinze Futsal für sich: „Aus Spaß bin ich mit ein paar Kommilitonen zu einem Uni-Turnier nach Münster gefahren. Ich hatte keine Ahnung und musste mir im Zug die Regeln durchlesen.“ Die Variante des Hallenfußballs, die vor allem in Südamerika und Spanien unfassbar populär ist, zieht Heinze gleich in ihren Bann. „Man ist permanent ins Spiel eingebunden und muss echte Allrounder-Fähigkeiten haben. Schwächen werden gnadenlos aufgedeckt und jeder Fehler bestraft. Dazu geht es in den Zweikämpfen richtig zur Sache. Das Vorurteil, dass Futsal ein körperloses Spiel ist, ist definitiv Quatsch.“
Plötzlich Torjäger
Nachdem er mit den Kölner Futsal Panthers das Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft erreicht, zieht es Heinze und vier Mitspieler zu Bayer Uerdingen. „Die Mannschaft in Köln ist leider auseinandergefallen und in Uerdingen gab es gewachsene Strukturen“, begründet Heinze diesen Schritt. Nach drei Spielzeiten und viel Zeit auf der Autobahn kehren er und seine vier Mitstreiter nach Köln zurück. Mittlerweile ist aus Timo Heinze ein echter Vollblut-Futsaler geworden. Einen Weg zurück auf den großen Platz gibt es für ihn nicht: „Ich würde nicht mehr tauschen wollen, sondern bleibe beim Futsal, bis ich aufhöre.“ Doch das kann noch dauern.
Zwar feierte der Kapitän der Panthers Ende Februar seinen 30. Geburtstag, die Schuhe an den Nagel hängen will er aber noch lange nicht. Sein Team würde eine solche Entscheidung ohnehin kaum akzeptieren. Denn insbesondere dank ihres Spielführers haben die Kölner Panther in diesem Jahr gute Chancen, die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft zu erreichen. Stolze 18 Tore erzielte Heinze in den ersten 13 Spielen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Torgefahr ausstrahlen würde“, scherzt der langjährige Außenverteidiger. Ob es letztlich zum Meistertitel im Westen reichen wird, dürfte sich wohl erst am letzten Spieltag entscheiden. Die Konkurrenz in der WFLV-Futsal-Liga ist mit Teams wie Holzpfosten Schwerte oder Sennestadt nämlich immens stark.
Doch es gibt noch ein weiteres großes Ziel für Timo Heinze, seit der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verkündete, im Jahr 2016 erstmals eine eigene Futsal-Nationalmannschaft ins Rennen schicken zu wollen. „Beim ersten Länderspiel der Geschichte auf dem Platz zu stehen, wäre ein Traum. Gerade weil ich eine riesige Leidenschaft für den Sport entwickelt habe.“ Leicht wird der Weg in den DFB-Dress aber nicht: „Ich rechne mir offen gesagt schon Chancen aus, aber in Deutschland gibt es sehr viele gute Kicker und ein Futsal-Kader ist recht klein.“ Und so stehen in den nächsten Wochen Verbandsturniere und mindestens zwei Lehrgänge an, bei denen sich der Kreis potenzieller Nationalspieler so lange verringert, bis am Ende die erste deutsche Futsal-Nationalmannschaft steht.
Es ist das gleiche Prozedere, wie Timo Heinze es aus seiner Zeit in der Jugendnationalmannschaft kennt. Ein Schwenk in eine Vergangenheit, mit der er mittlerweile endgültig abgeschlossen hat: „Ich verfolge das Fußballgeschäft als Außenstehender sehr intensiv und würde natürlich gerne als Sportpsychologe später darin arbeiten. Aber das heutige Leben eines Profis brauche ich nicht. Ich verdiene zwar nicht so viel Geld, dafür habe ich meine Ruhe und auf anderen Ebenen deutlich an Lebensqualität gewonnen.“ Mindestens ein Mal will Timo Heinze aber doch noch Geschichte schreiben. Mit einem Einsatz im ersten Futsal-Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft.