Hans Willemsen |07.05.2016|18:10

Bierhoff-Entdecker (75) sucht weiter Talente

Unter Trainer Hans Willemsen gewann Oliver Bierhoff, später EM-Siegtorschütze, seinen ersten Titel. [Foto: Fotos Getty, www.appeltundhuth.de; Collage FUSSBALL.DE]

Oliver Bierhoff kennen die Fußball-Fans vor allem als Schützen des Golden Goals im EM-Finale 1996. Auch im Klubtrikot feierte der heutige Manager der deutschen Nationalmannschaft große Erfolge: 1998 wurde Bierhoff Torschützenkönig in der Serie A. Ein Jahr später gewann er mit dem AC Mailand die italienische Meisterschaft. Doch nur wenige können sich an Bierhoffs ersten Titel erinnern. Hans Willemsen hat den Moment genau vor Augen. „1976 hat unsere F-Jugend das Finale der Essener Stadtmeisterschaft gegen die Ballfreunde Bergeborbeck gewonnen. Der Oliver hat bei dem 2:1-Sieg natürlich ein Tor gemacht“, erzählt der 75-Jährige.

Willemsen blättert in einem Fotoalbum. „Da ist die Siegerehrung“, sagt der gebürtige Essener und deutet auf ein Schwarz-Weiß-Foto. Im Vordergrund reckt ein Junge den Pokal in die Höhe: der sechsjährige Oliver Bierhoff. Auf seinem Trikot prangt das Logo der Essener Sportgemeinschaft (ESG) 99/06 . Der Verein war der Ausgangspunkt für seine spätere Weltkarriere . Hans Willemsen war Bierhoffs erster Trainer. „Mit Hans Willemsen verbinde ich nur wunderbare Erinnerungen“, sagt Bierhoff. „Ehemalige Mannschaftskollegen von mir haben teilweise auch ihre Kinder noch von ihm trainieren lassen. Es hat mich immer wieder begeistert, wie er es schafft, mit Ruhe und hoher Empathie den Kindern das Fußballspielen beizubringen. Er war für mich eigentlich mein erster Lehrmeister.“

Trainer von Sergio Allievi

Willemsen ist also der Entdecker des späteren Nationalmannschafts-Kapitäns. Wobei: Willemsen würde sich selbst nie als Bierhoff-Entdecker bezeichnen. Dafür ist er zu bescheiden. Es wäre außerdem auch nicht gerecht, seine Verdienste auf die zwei Jahre und den einen Spieler zu reduzieren. Willemsen ist eine Institution im Essener Jugendfußball. Seit nunmehr fünf Jahrzehnten trainiert er Nachwuchskicker in seiner Heimatstadt. Mehreren Hundert Kindern hat er das Passen, das Dribbeln und das Schießen beigebracht. Aktuell trainiert er wieder die Bambini der ESG. Jeden Freitag versammeln sich die Drei- bis Sechsjährigen um den erfahrenen Coach und erlernen die Grundlagen des Fußballspiels. „Und die Arbeit macht mir weiterhin unglaublichen Spaß“, sagt Willemsen beim Gespräch im ESG-Vereinsheim. Heißt: Ans Aufhören denkt er noch lange nicht.

"Mit Hans Willemsen verbinde ich nur wunderbare Erinnerungen. Es hat mich immer wieder begeistert, wie er es schafft, mit Ruhe und hoher Empathie den Kindern das Fußballspielen beizubringen"

Seine Leidenschaft für den Fußball entdeckte er in den 1960er-Jahren. Willemsen studierte Grundschul-Lehramt und machte nebenbei seinen Schiedsrichterschein. Sein Schwiegervater suchte damals noch einen Trainer für die Jugendmannschaft. Und bald darauf stand Hans Willemsen bei der TuS Rott am Spielfeldrand und coachte Kinder. Später wechselte er zum TC Freisenbruch. In einer seiner Mannschaften spielte ein gewisser Sergio Allievi. Willemsen brachte dem Angreifer die fußballerischen Grundlagen bei. Später schoss Allievi Bundesliga-Tore für Fortuna Düsseldorf und Dynamo Dresden.

Auf der Ehrentribüne in Mailand

Hans Willemsen lernte als junger Fußballtrainer viele Vereine in Essen kennen. „Meine ersten Jahre waren Wanderjahre“, gibt er heute zu. Bei der ESG 99/06 wurde Hans Willemsen schließlich sesshaft. Seinen ältesten Sohn brachte er damals zum Verein mit. Thomas Willemsen gehörte als zweiter Torwart zu jenem Kader, der durch Bierhoffs Tor Stadtmeister wurde.

Die ESG stellte auch nach dem Weggang ihres größten Talentes gute Jugendmannschaften. „Ein Team hat mal eineinhalb Jahre kein Gegentor kassiert“, erzählt Willemsen. Der Verein schätzt seinen Trainer aber nicht allein wegen seiner Erfolge. Der Vorstand weiß, dass sie auf Willemsen in Notsituationen zählen können. Wie im Jahr 2010: Da hatte sich der mittlerweile pensionierte Lehrer aus dem Jugendbereich zurückgezogen. Doch dann starb Willemsens Nachfolger plötzlich. „Der Verein brauchte wieder einen Trainer. Deshalb bin ich zurückgekommen“, sagt er. Und so verbringt Willemsen einen Teil seiner Freizeit wieder in Turnhallen und auf Sportplätzen. „Mittlerweile trainiere ich viele Söhne und Töchter meiner ehemaligen Spieler“, sagt er. So hält Willemsen den Kontakt zu früheren Schützlingen aufrecht.

Mit Oliver Bierhoff hat er sich auch noch getroffen, als dieser schon zu den Stürmerstars in Europa zählte. Willemsen erinnert sich an eine Reise nach Italien. Auf Bierhoffs Einladung hin sah er das Spiel des AC Mailand gegen den AC Parma auf der Ehrentribüne. Und als 2010 der DFB-Bundestag in Essen stattfand, traf sich Willemsen mit seinem ehemaligen Spieler in der Stadt. Vor zwei Jahren hatten die beiden zuletzt Kontakt. Bierhoff hatte erfahren, dass Willemsens Ehefrau ihrem Krebsleiden erlegen war. Er rief seinen ehemaligen Trainer an, um zu kondolieren. „Das hat mich sehr gefreut“, sagt Willemsen.

Er blättert noch eine Weile in seinem Fotoalbum, verabschiedet sich dann und verlässt die Sportanlage im Essener Osten. Am Freitag wird er wiederkommen: Dann steht das nächste Bambini-Training auf dem Programm.