Nur vier Punkte: Neustrelitz will das Wunder
Noch kann dem neuen Neustrelitzer Trainer Achim Hollerieth der Blick auf die Tabelle in der Regionalliga Nordost nicht gefallen. [Foto: Fotos imago, FUSSBALL.DE; Collage FUSSBALL.DE]
Achim Hollerieths Mission bei der TSG Neustrelitz lautet Klassenverbleib. Doch was so einfach klingt, ist angesichts der bisherigen Punktausbeute in der Regionalliga Nordost eine wahre Herkulesaufgabe. Der ehemalige Profi-Torhüter (unter anderem VfB Stuttgart und FC St. Pauli) übernimmt das Tabellenschlusslicht der Liga mit gerade einmal vier Zählern auf dem Konto. Immerhin kennt Hollerieth die Liga. Von Saisonbeginn bis zum 14. Dezember war er Trainer beim Aufsteiger FSV Union Fürstenwalde. Nur sechs Tage nach Beendigung seiner Tätigkeit beim FSV heuerte der 43-Jährige bereits bei der TSG an und will dort das „Wunder“ eines weiteren Jahres in der vierten Liga perfekt machen.
Im aktuellen FUSSBALL.DE - Regionalliga-Interview der Woche spricht der 43-jährige Achim Hollerieth über die Gründe für das Ende seines Engagements in Fürstenwalde, die Zukunft im Falle eines Abstieges, verrückte Torhüter und sein Trainervorbild Uwe Rapolder.
FUSSBALL.DE: Wie kam es, dass Sie nur sechs Tage nach dem Ende beim FSV Union Fürstenwalde bei der TSG Neustrelitz angeheuert haben, Herr Hollerieth?
Achim Hollerieth: Ich hatte dem Verein vor der Partie gegen den BFC Dynamo mitgeteilt, dass ich die Zusammenarbeit zur Winterpause beenden werde. Daraufhin haben wir beschlossen, sofort - und damit noch vor dem 4:1 gegen den BFC - getrennte Wege zu gehen. Dann hat mich TSG-Präsident Hauke Runge kontaktiert.
"Wenn wir in den ersten fünf bis sechs Spielen ordentlich punkten, ist alles drin"
Was waren die Gründe für das Ende in Fürstenwalde?
Hollerieth: Zwischen mir und Peter Heinrich, dem Sportlichen Leiter beim FSV, gab es so gut wie keine Kommunikation. Weder hinsichtlich der Zusammenstellung der Mannschaft, noch mit Blick auf Verpflichtungen für den Trainerstab. Ich habe alle Aufgaben alleine erledigt, es gab keinen Co- oder Fitnesstrainer. Das war keine Grundlage für erfolgreiches Arbeiten.
Wollten Sie keine Pause?
Hollerieth: Nein, ich bin mit Leib und Seele Fußballer und erst 43 Jahre alt. Ich fühle mich fit und freue mich auf die Aufgabe in Neustrelitz.
Was hat Sie gereizt, beim abgeschlagenen Tabellenschlusslicht das Traineramt zu übernehmen?
Hollerieth: Die Gespräche mit Hauke Runge. Er hat mir eine Perspektive aufgezeigt, wie es mit dem Verein weitergehen soll. Es war eine angenehme Atmosphäre, die mich überzeugt hat.
Haben Sie die Mannschaft bereits kennengelernt?
Hollerieth: Noch nicht, am Donnerstag kommt die Mannschaft zum ersten Mal zusammen. Aber klar ist, dass das Team nicht vor Selbstvertrauen strotzt. Deshalb werde ich zweigleisig arbeiten. Zum einen soll die Mannschaft Spaß am Fußball zurückgewinnen. Das will ich auch mit Teambuilding-Maßnahmen, wie zum Beispiel Kartfahren, erreichen.
Und zum anderen?
Hollerieth: Zum anderen wird viel harte Arbeit auf dem Programm stehen. In der Vorbereitung werden wir den gesamten Tag miteinander verbringen. Das beginnt mit dem gemeinschaftlichen Frühstück und geht mit einer gemeinsamen Trainingseinheit weiter. Insgesamt werden wir von 8 bis 17 Uhr zusammenarbeiten und so den Grundstein für die Aufholjagd legen.
Was macht Ihnen Mut, das Wunder doch noch zu schaffen?
Hollerieth: Wenn wir in den ersten fünf bis sechs Spielen ordentlich punkten, ist alles drin. Und es ist nicht klar, welcher Platz für den Klassenverbleib reichen wird. Wenn alles günstig läuft, also aus der 3. Liga kein Verein in die Regionalliga Nordost absteigt und der Meister unserer Liga aufsteigt, würde sogar Platz 17 reichen. Das wären dann „nur“ sieben Punkte, die wir auf den FSV Luckenwalde aufholen müssten.
Wie wollen Sie die Abwehr, die mit 46 Gegentreffern die meisten kassierte, stabilisieren?
Hollerieth: Im Training kann man bestimmte Sachen einstudieren und so Sicherheit erlangen. Wir müssen uns aber auch mit Spielern verstärken. Das gilt nicht nur für die Abwehr, sondern für alle Mannschaftsteile.
Haben Sie bereits jemanden im Auge?
Hollerieth: Nein, aber ein Profil. Neue Spieler müssen eine gewisse Erfahrung mitbringen, die das gesamte Team stabilisiert. Nur mit jungen Spielern werden wir die Klasse nicht halten.
Sie haben gesagt, dass es schwierig sei, Spieler für die TSG Neustrelitz zu verpflichten. Woran liegt das?
Hollerieth: Der Blick auf die Tabelle sagt alles. Wir müssen versuchen, Spieler vom Gesamtkonzept zu überzeugen. Außerdem kann hier die Bühne Regionalliga genutzt werden, um sich ins Rampenlicht zu spielen. Entscheidend ist, dass es charakterlich passt. Deshalb setzte ich mich vor jedem Transfer mit dem Spieler zusammen. Jeder potenzielle Zugang muss sich mit Neustrelitz identifizieren.
Wie sieht Ihr Trainerstab aus?
Hollerieth: Ich werde mit dem vorhandenen Trainerteam zusammenarbeiten. Unter Co-Trainer Andreas Kavelmann hat die Mannschaft 4:1 bei der U 23 von RB Leipzig gewonnen. Mit ihm und den weiteren Trainern stehe ich im regen Austausch. So weiß ich, was bislang gut und was weniger gut gelaufen ist und kann an den entsprechenden Stellschrauben drehen.
Sie haben einen Vertrag bis 2018 unterschrieben. Bleiben Sie auch beim Gang in die Oberliga?
Hollerieth: Ja, das ist so gedacht.
Planen Sie bereits zweigleisig?
Hollerieth: Aktuell fokussieren wir uns ganz auf den Klassenverbleib. Aber Spieler, die wir neu verpflichten, sollen auch bei einem eventuellen Gang in die Oberliga bei uns bleiben. Da planen wir nachhaltig.
Torhüter und Linksaußen ticken - laut einer Fußballerweisheit - eigenartig. Können Sie das bestätigen?
Hollerieth: Ja, etwas verrückt muss man als Torhüter sein. Nicht jeder würde sich vom Gegner abschießen lassen. Auch der Druck ist zwischen den Pfosten immens. Es kommt vor, dass du 89 Minuten nichts zu tun hast. Dann kommt ein Ball aufs Tor und der ist drin. Das ist sehr frustrierend. Aber ich finde, dass die meisten Torhüter positiv bekloppt sind. Die besten Beispiele sind für mich Oliver Kahn und Jens Lehmann. Ebenfalls verrückt war Klaus Thomforde, der bei St. Pauli mein Torwarttrainer war und zuvor jahrelang selbst im Kasten des SCP gestanden hatte. Er ist ehrgeizig. So war zum Beispiel ein gefrorener Boden für Klaus Thomforde kein Trainingshindernis.
In Ihrer aktiven Zeit hüteten Sie unter anderem in 90 Partien in der 2. Bundesliga für den KFC Uerdingen, Waldhof Mannheim und SSV Reutlingen das Tor. Hat man als Schlussmann einen besonderen Blick auf das Spiel?
Hollerieth: Als letzter Spieler in der Kette hat man einen guten Überblick auf die Taktik. Ich habe gesehen, wie sich die Mannschaftsteile verschoben haben und konnte beispielsweise Ballzirkulationen und Änderungen des Tempos genau verfolgen. Diese Sicht erleichtert die spätere Ausbildung als Trainer.
Sie haben Ihre Trainerkarriere als Torwarttrainer in Dubai bei Al-Nasr gestartet. Wie kam es dazu?
Hollerieth: Frank Pagelsdorf hat mich gefragt, ob ich mit ihm nach Dubai gehen möchte. Ich hatte gerade meine Karriere beendet, deshalb dachte ich zunächst, dass er mich als Torhüter verpflichten wollte. (lacht) Zu Beginn war ich sein Co-Trainer, dann war ich als Torwarttrainer gefordert. Es war eine spannende Zeit und ein perfekter Einstieg in den neuen Beruf.
Was haben Sie von Frank Pagelsdorf gelernt?
Hollerieth: Frank Pagelsdorf ist ein super Typ. Wie er sich um die Mannschaft gekümmert hat, war beeindruckend. Sein Training war abwechslungsreich, er hat immer neue Reize gesetzt.
Welcher Trainer hat Ihnen außerdem imponiert?
Hollerieth: Uwe Rapolder bei Waldhof Mannheim. Er war der beste Trainer, den ich als Spieler hatte. Mit Akribie hat er seine Idee vom Vertikalspiel im Training einstudiert. Immer und immer wieder haben wir Spielzüge wiederholt, damit sich das Verhalten einbrannte.
Welche Ziele haben Sie?
Hollerieth: Aktuell bin ich im Besitz der Trainer-A-Lizenz. Ich werde mich um eine Stelle als Fußball-Lehrer bewerben. Aber die Chance, einen Platz zu ergattern, ist fast so groß wie ein Sechser im Lotto. (lacht) Doch jetzt träume ich nicht von höheren Zielen, sondern konzentriere mich voll auf die „Mission Klassenverbleib“ mit Neustrelitz. Ich will das Wunder wahrmachen!