Kreisligist Manheim: Kicken im Geisterdorf
Es sind derzeit noch wenige Meter vom Sportplatz des FC Viktoria Manheim zum Braunkohletagebau. Vorsitzender Wolfgang Eßer muss demnächst zum zweiten Mal den Baggern weichen. [Foto: Kämpf]
Das Örtchen Manheim gibt es bald nicht mehr – er verschwindet einfach in einem schwarzen Loch. Auch das Klubhaus und der Platz des FC Viktoria Manheim fallen dem Braunkohletagebau zum Opfer. Ein paar Kilometer weiter wagt der Kreisligist den Neuanfang. Aber der Abschied tut weh.
Die Fußballer von Viktoria Manheim werden nicht lange brauchen, um ihre Sachen zu packen. Das Trainings-Equipment, ein paar Pokale und das schwarze Brett aus dem Flur des Vereinsheims - viel mehr werden sie nicht mitnehmen. Dabei treten sie einen Abschied ohne Rückfahrticket an. Die jahrzehntelange Heimat des Klubs wird bald verschwinden. Der Platz, das Klubheim, die umstehenden Bäume und die Parkplätze. Alles wird abgebaggert. Genau wie der gesamte Ort. Die Kirche St. Albanus und St. Leonhardus mit ihrem spitzen Turm und gotischen Fensterbögen, die Schwimmhalle neben der Schule, der Kindergarten, die Wohngebäude, die Straßen. Die ersten Häuser sind schon weg. Bald schon wird ganz Manheim nicht mehr existieren. 2022 wird es verschwunden sein in einem 85 Quadratkilometer großen Loch – dem Braunkohletagebau Hambach. Nach Abbau und Rekultivierung werden da, wo heute Manheim liegt, Wald, Wiesen und ein großer See sein.
Seit der Zeitpunkt feststeht, stirbt die kleine Ortschaft rund 20 Kilometer westlich von Köln einen schleichenden Tod. Schon jetzt ist Manheim ein Geisterdorf. Von den ehemals knapp 1.700 Einwohnern lebt nur noch ein Bruchteil dort. Die meisten Häuser stehen leer, die Rollläden sind heruntergelassen, die Türen vernagelt. Die Straßen sind ausgestorben, die Fenster der Pizzeria vergilbt, die Vorhänge der Bäckerei zugezogen, und den Tante-Emma-Laden hat schon ewig niemand mehr betreten. Die Stimmung ist gespenstisch. Kein Wunder, Europas größter Tagebau ist schließlich nur noch 500 Meter entfernt. Auch ins Klubheim des FC Viktoria 1919 wurde zuletzt nur noch das Nötigste investiert. „Es ist alles noch in Ordnung, aber eben nicht mehr zeitgemäß. Was sollen wir da großartig mitnehmen?“ fragt der Vorsitzende Wolfgang Eßer. Im Sommer ist ja ohnehin Schluss.
Neuer Kunstrasenplatz wartet
"Jeder Klub leidet unter einer Umsiedlung, aber wir werden es schaffen, den Geist dieses Vereins in die neue Heimat mitzunehmen"
Der Neuanfang ist nicht weit entfernt. Ein paar Kilometer südöstlich nähert sich der Kerpener Stadtteil Manheim-Neu seiner Fertigstellung, die meisten Menschen aus dem alten Ort sind schon umgezogen. Auch der Fußballklub wird dort von Spätsommer an auf einem modernen Kunstrasenplatz seine Ligaspiele austragen. Diese Saison werden die zwei Seniorenteams, die Alten Herren und die Nachwuchsmannschaften aber noch auf der alten Anlage beenden. Insbesondere die erste Mannschaft darf auf einen sportlich versöhnlichen Abschied hoffen. Nach 16 von 30 Meisterschaftspartien belegt Viktoria Manheim Platz zwei. Nur einen Zähler hinter Spitzenreiter Viktoria Glesch-Paffendorf II. „Die Jungs haben auf jeden Fall das Zeug zum Aufstieg“, sagt Eßer über das B-Liga-Team um Toptorjäger Christoph Thiene und Kapitän Christoph Birkenheier. Letzterer ist einer von gerade einmal drei Spielern, die noch im alten Ort leben.
Bei aller Vorfreude auf den künftigen Platz und das schicke Klubheim tut der Abschied auch weh. Eßer muss mit seinen drei Söhnen, die für den Klub auflaufen, und seinen Mitstreitern im Vorstand des Klubs die sportliche Heimat verlassen. Die vielen packenden Begegnungen, die Niederlagen, Siege und die Feiern, die dort stattgefunden haben, sind dann irgendwann nur noch ferne Erinnerung. Es wird keinen Ort mehr geben, an den man zurückkehren kann, um ihn nachfolgenden Generationen zu zeigen. Das schmerzt. „Jeder Klub leidet unter einer Umsiedlung, aber wir werden es schaffen, den Geist dieses Vereins in die neue Heimat mitzunehmen“, macht sich Eßer selber Mut.
Flüchtlinge ziehen mit um
Der ehemalige Berufssoldat weiß, wovon er spricht. Auch sein Heimatort Königshoven musste vor Jahren dem Braunkohleabbau weichen. Nun wird Manheim folgen. Es ist das zweite Mal, dass er weiterziehen muss, nicht weiterziehen will. Aber der Bergbau schafft Arbeitsplätze, zahlt Entschädigungen für die alten Häuser. Das wissen die Menschen im Rheinischen Braunkohlerevier und das weiß auch Eßer.
Vielleicht ist seine Erfahrung auch ein Grund, sich für andere Menschen zu engagieren, die ihre Heimat verlassen mussten. Der 60-Jährige kümmert sich nicht nur um seinen Fußballverein, dem er seit 2001 vorsteht, sondern auch um Flüchtlinge. „Ich will da keine große Sache draus machen. Wenn ich sehe, dass ich helfen kann, dann packe ich an und versuche etwas zu organisieren“, sagt er. Seit einiger Zeit leben mehrere Familien in den zuvor leerstehenden Häusern in Manheim. Ein paar der neuen Mitbürger konnte Eßer auch zum FC Viktoria lotsen. „Die Integration funktioniert hier in einem kleinen Ort sehr gut“, meint er. Aber die Geflüchteten werden wie die letzten alteingesessenen Einwohner bald ihre Sachen packen und Manheim verlassen müssen. Eßer hofft, dass allen das rege Vereinsleben und vor allem sein FC Viktoria den Start in der neuen Heimat erleichtern werden.