Dezember: Alptraum jedes Amateurkickers
Vertrautes Bild auf Deutschlands Amateursportplätzen im Winter: Das Spielfeld ist gesperrt, Mannschaft und Trainer müssen improvisieren, weil vielleicht doch noch eine Nachholpartie angesetzt ist. [Foto: imago]
Regen, Schnee, Kälte – und trotzdem werden im Amateurfußball noch schnell Nachholspiele auf kurz vor Weihnachten gelegt, um schließlich doch wieder abgesagt zu werden. Die Spieler stellt das auf eine fiese Probe, bei den Trainern sind Improvisationstalent und Cleverness gefragt. FUSSBALL.DE-Kolumnist und Buchautor Joel Grandke wirft wieder einen genauen Blick auf die kleinen und großen Tücken des Amateur-Alltags.
Fußball-Weisheit #68: „ Da ist schon lange Schnee drüber gewachsen. “ Bei einem Blick auf die Sportplätze der Republik muss man Bayern-Legende Jens Jeremies durchaus Recht geben. Die Spielflächen sind vielerorts unter einer weißen Decke begraben, nach Grün sucht man vergebens. Selbst in den rasenbeheizten Bundesliga-Stadien sind winterliche Spielabsagen nicht ausgeschlossen. Beim letzten Heimspiel der Kölner musste der Anpfiff zur Schneeballschlacht gegen den SC Freiburg mehrfach verschoben werden. Nach dem großen Promi-Rodeln zwischen Hannover und Hoffenheim brachte es Nadiem Amiri herzzerreißend auf den Punkt: „Wenn ich den Ball bekommen habe, sind so viel Schnee und Tränen in meine Augen gekommen, dass ich gar nichts mehr gesehen habe.“
Als gestandener Fußballer ist man nicht unbedingt nah am Wasser gebaut, aber im dichten Schneegestöber brechen zwangsläufig alle Dämme. Ein attraktives Spiel ist auf einem Platz, den unzählige Helfer vor Anpfiff gerade so freigeschippt haben, ohnehin nicht mehr zu erwarten. Über solche Beeinträchtigungen wäre man in der Kreisliga bei Wintereinbruch aber noch dankbar. Hier legen Schnee und Frost den Betrieb meist komplett lahm. Mit der Witterung gehen für die Teams zahlreiche Herausforderungen einher, die vor allem das Improvisationstalent der Trainer auf die Probe stellen.
Die „kurzfristigen Überstunden“ von Amateurfußballern nehmen bei schlechtem Wetter und drohendem Lauftraining um 75 Prozent zu
Im Amateurfußball läuft es wie so häufig im Privatleben: Kurz vor Weihnachten häufen sich die Termine. Alles, was man über das Jahr vor sich hergeschoben hat, türmt sich so lange auf, bis einem Mitte Dezember nach dem fünften Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt einfällt, dass das Jahr ja nicht mehr allzu viele Tage hat. In der Kreisliga ist es ähnlich, wenngleich es hier – zugegeben – weniger mit der eigenen Disziplin zusammenhängt. Nachdem bereits einige Spiele dem miesen Herbstwetter zum Opfer gefallen sind, werden diese bis Weihnachten immer wieder neu angesetzt. Die Witterung wird im Normalfall aber nicht besser – im Gegenteil.
Jeder kennt das: Man hat ob der Minusgrade ohnehin nur noch bedingt Bock, draußen zu kicken und fiebert daher dem letzten Hinrundenspiel entgegen, das laut Plan auf Anfang oder Mitte Dezember angesetzt ist. Wie es das Schicksal will, spielt das Wetter aber nicht mit: Es regnet, hagelt, friert oder schneit – der Platz ist so gut bespielbar wie ein Festivalgelände nach vier Tagen Dauerregen. Folglich muss das Spiel abgesagt werden, die Neuansetzung folgt eine Woche drauf. Ihr ahnt bereits, was der Wetterbericht für die dieses Wochenende ankündigt… Das Spielfeld gleicht am besagten Sonntag immer noch einem Schlachtfeld, sodass die Begegnung erneut verlegt wird – auf den letzten Termin kurz vor Heiligabend.
Goldene Regel: Nie zu früh auf Laufschuhe hinweisen
Anstatt also Anfang Dezember entspannt auf Hallenschuhe zu wechseln und erstmal um die goldene Ananas zu kicken, muss das Team bis Weihnachten noch auf Wettkampftemperatur bleiben und bei 100 Prozent weitertrainieren. Das Schlimmste daran ist, dass jeder in der Mannschaft weiß, dass die immer später angesetzten Spiele zu 95 Prozent auch ausfallen werden.
Entsprechend groß ist die Motivation der Truppe, wenn der Coach weiterhin zweimal die Woche zum Aufgalopp am Sportplatz bittet. Seine Ankündigung in der WhatsApp-Gruppe lässt Schlimmes erahnen: „Männer, bringt auch Laufschuhe, Hallenschuhe und Schneeketten mit! Wir wissen noch nicht, ob wir auf den Platz dürfen.“ Ein Blick aus dem Fenster straft den Trainer aber Lügen: Es schneit und stürmt schon seit Stunden munter vor sich hin – der Trainer weiß also ganz genau, dass der Platz heute auf gar keinen Fall betreten werden kann. Als alter Hase weiß er aber: Diese Info schon im Vorfeld zu verkünden, würde im Anschluss 10 bis 15 „ganz kurzfristige“ Absagen nach sich ziehen. Statistiker haben errechnet, dass die „kurzfristigen Überstunden“ von Amateurkickern bei schlechtem Wetter und drohendem Lauftraining zu 75 Prozent zunehmen. Gegen solche Ungerechtigkeiten sollte Ver.di vielleicht mal zu bundesweiten Streiks und Großdemonstrationen aufrufen!
Mit dem übriggebliebenen Spielermaterial muss der Coach nun improvisieren. Oh, Wunder: Der Platz ist mit 10 Zentimeter Neuschnee bedeckt, das Schild „Platz gesperrt – betreten verboten“ empfängt die genervten Kicker bei der Ankunft. Der Trainer ist aber kein Unmensch und möchte seine limitierte Trainingsgruppe für ihr Kommen belohnen. Es geht daher in die beheizte Sporthalle. Seine Ansage: Erst ein halbstündiges Zirkeltraining, danach wird eine Stunde lang locker gekickt. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Zumba-Kurs gefällig?
Mit der Aussicht auf ein bisschen Budenzauber kann sich jeder im Team damit anfreunden. Es kommt natürlich anders: Als der Coach gerade die Stoppuhr für den letzten Durchgang des Zirkeltrainings startet, betreten 30 gut gelaunte Frauen die Halle. Sie schauen die Kicker überrascht an und klären auf. Sie hätten ab 19.30 Uhr Anspruch auf die Halle, da seit Dezember ja die neuen Hallenzeiten gelten würden. Die Spieler könnten aber auch gern an ihrem Zumba-Kurs teilnehmen, falls sie ihren sportlichen Horizont mal erweitern wollen. Der Trainer stellt seinen Kickern die Entscheidung frei, die jedoch dankend ablehnen. Das bedeutet allerdings, dass sie die Halle räumen müssen.
Anstatt also das geplante Jux-Turnier in der Wärme auszuspielen, bleibt dem Coach nur noch eine letzte Option. Da er das Training nach einer halben Stunde nicht beenden kann, schließlich ist ja noch keine offizielle Winterpause, geht es raus in die Kälte. Seine Truppe ist natürlich schwer begeistert, als sie sich in der Kabine die Laufschuhe anzieht und so dick einpackt, als würde sie gleich zu einer Antarktis-Expedition aufbrechen.
Der Kapitän hat immerhin Galgenhumor und läuft mit einer Weihnachtsmann-Mütze auf dem Kopf, die er bereits für die anstehende Weihnachtsfeier besorgt hat. „Den Kilos, die ihr euch über die Feiertage anfresst, könnt ihr so zumindest schon im Vorfeld entgegenarbeiten“, beschönigt der Trainer die „präventive Laufeinheit“.
Warme Gedanken – und sei es an die Weihnachtsgans von Oma – sind bei den Minusgraden draußen auch bitter nötig. Ob die Spieler in Vorfreude auf den Feiertagsbraten tränenfeuchte Augen bekommen oder doch der peitschende Schneesturm – wie beim Kollegen Amiri – dafür verantwortlich ist, fragt ihr die Kollegen nach der Einheit lieber selbst.