Amateur-Alltag: Fachsimpeln & Pöbeln vorm TV
Fußball schauen mit den Mannschaftskollegen: Das endet nicht selten in emotionaler Ekstase. [Foto: imago]
Alleine Fußball schauen macht keinen Spaß. Gut, dass sich Amateurfußballer nicht lange nach den geeigneten Mitguckern umschauen müssen. Mit den Teamkollegen lässt es sich schließlich am besten fachsimpeln. Die Nachteile des "falschen Neuners", die Inkompetenz des Kommentators und die hirnlosen Reporterfragen nach dem Spiel - Buchautor und Amateurfußballer Joel Grandke beleuchtet für FUSSBALL.DE die liebgewonnenen TV-Gewohnheiten eines Amateurteams.
Fußball-Weisheit #8: „Das wird doch alles von den Medien hochsterilisiert!“ Da klimpert’s kräftig im Phrasenschwein. Der gemeine Fußballfan dürstet stets nach Nachrichten und Berichten rund um sein liebstes Hobby. Auf dem Markt gilt natürlich das Prinzip von Angebot und Nachfrage: Wenn sich Leute für eine brodelnde Gerüchteküche interessieren, werden ihnen auch täglich halbgare Transfermärchen serviert: „Echt jetzt? Der Berater von Aubameyang wurde Pasta essend bei einem Italiener (!) in Dortmund gesichtet? Die Bedienung hüllt sich in Schweigen, aber laut einer Küchenaushilfe (möchte anonym bleiben) soll sein Wechsel zu Inter Mailand unmittelbar bevorstehen!“
Noch weit vor den Transfernachrichten und Verletzungsmeldungen steht beim Fan natürlich das im Vordergrund, was die Mannschaften auf dem Platz leisten. In der Winterpause scheinen die Sportsendungen gezwungen zu sein, aus jedem Eckchen-Spiel im Trainingslager eine „Breaking News“ zu ziehen, doch mit dem jetzigen Beginn der Bundesliga-Rückrunde geht es endlich wieder ans Eingemachte. Für Pay-TV-Abos oder Kneipenbesuche geben Fans an Spieltagen viel Geld aus – die Leidenschaft ums runde Leder ist es schließlich wert. Die 90 Minuten werden dann stets bei einem Bierchen mit den Kumpels zelebriert. Fußball ist schließlich nicht nur beim aktiven Kicken auf dem Platz, sondern auch beim passiven Fachsimpeln vor der Mattscheibe vor allem eins: gesellig.
Kein Elite-Partner nötig
"Einigkeit herrscht allerdings bei der Analyse, dass die Gastgeber wohl nie ein Spiel gewinnen werden, wenn sie weiterhin jeden Angriff ins Tor tragen möchten, anstatt mal ein 'ordentliches Pfund' aus der zweiten Reihe abzudrücken"
Umso besser, dass über die eigene Kreisliga-Mannschaft bereits ein Netzwerk an Gleichgesinnten bereitsteht, in dem alle gleichermaßen fußballbekloppt sind. Für einen Sofa- oder Kneipenabend ist daher keine Kontaktanzeige über Elite-Partner nötig. Wer will beim BuLi-Abend denn auch einen „Partner mit Niveau“ an seiner Seite? Stattdessen wird einfach in der teaminternen WhatsApp-Gruppe besprochen, welcher Mitspieler seine Pforten öffnet. Derjenige zwingt seine Familie bereits zwei Tage im Voraus, sich alle verderblichen Waren aus dem Kühlschrank schnellstmöglich reinzuschaufeln, damit dort der nötige Platz für Bierflaschen geschaffen wird.
Wer sich diesen Stress ersparen möchte, verlegt den Fußballabend oder -Nachmittag kurzerhand in die örtliche Stammkneipe. Der Wirt muss schließlich 'was in die Kasse kriegen, um die hohen Pay-TV-Preise für Gastronomen wieder einigermaßen reinzubekommen. Also geht es ab in den „Röhrenden Hirsch“. Am Freitagabend steht hier stets die gesamte Kreisliga-Truppe auf der Gästeliste. Nach dem Training sind die Männer natürlich durstig und haben sich ihre zwei bis zwölf Feierabend-Bierchen redlich verdient. Und wenn dann auch noch die Bayern zum Tanz bitten, wie es gestern der Fall war, ist der gemeinsame Fußballabend natürlich eine Pflichtveranstaltung.
Kritik am Kommentator
Schon vor dem Anpfiff bringen sich die Jungs in der Kneipe auf Temperatur. Es wird gepöbelt und geklugscheißt, bis das Phrasenschwein auf dem Tresen anfängt zu glühen. Als erster bekommt natürlich der Kommentator sein Fett weg – noch bevor dieser überhaupt sein erstes Wort gesprochen hat. Egal ob Réthy, Buschmann oder ehemals Reif, von Thurn und Taxis oder Hansch am Mikro sind: Die Zuschauer klatschen die Hände vor die Stirn und zitieren auswendig gelernte Versprecher, die dem jeweiligen Kollegen bereits unterlaufen sind. Fußballkompetenz wird jedem Kommentator ohnehin pauschal abgesprochen – kann ja auch nicht jeder so viel Sachverstand haben wie der stets am lautesten meckernde Klaus Müller, Ersatzstürmer der Zweiten Herren von den Sportfreunden Meppen-Süd.
Die Fachsimpelei geht weiter, wenn die Startaufstellungen der Teams über die Mattscheibe flimmern. Der Tenor in der Runde: Die Formation ist völlig verkehrt, wenn nicht gar „Selbstmord“, da man mit einem „falschen Neuner“ keinen Druck auf die Abwehr ausüben könne. Und überhaupt: „Wer soll denn seine Rübe in die Flanken halten, wenn da überall nur so kleine Wuselzwerge herumgeistern?“, echauffiert sich unser bulliger Mittelstürmer Müller, der seine eigene Spezies vom Aussterben bedroht sieht. Natürlich wird in der Runde nun heftig diskutiert. Sein Spielmacher-Kollege sieht das ganz anders: „In welcher Zeit lebst du? Mit dem Motto ‚Breit gebaut, braun gebrannt – 100 Kilo Hantelbank‘ wirst du im Stadion vielleicht an der Einlasskontrolle eingesetzt, aber sicher nicht als Stürmer auf dem Platz.“ Der Ton wird rauer. Einigkeit herrscht allerdings bei der Analyse, dass die Gastgeber wohl nie ein Spiel gewinnen werden, wenn sie weiterhin jeden Angriff ins Tor tragen möchten, anstatt mal ein „ordentliches Pfund“ aus der zweiten Reihe abzudrücken.
Hirnlose Fragen und inhaltsleere Antworten
An Kritik wird auch im weiteren Spielverlauf nicht gespart. Die Schiedsrichterentscheidungen seien durch die Bank daneben. Unser Experte Müller hat den Braten längst gerochen und macht einen klassischen „Heimschiedsrichter“ aus, der der aufgeheizten Stimmung im ausverkauften Stadion nicht gewachsen sei. Sollte der Linienrichter bei einer Abseitsentscheidung um Zentimeter daneben liegen, greift Müller natürlich auch in die große Sprüchekiste: „Was winkt der da mit seiner Fahne? Flugzeuge auf die Landebahn? Oder will der sich ‘nen Mückenschwarm vom Leib halten?!“ Noch während er seine Gags abfeuert, lacht er sich förmlich in einen Schwächeanfall. Zwei unbeteiligte Stammgäste am Tresen zahlen derweil und verlassen kopfschüttelnd die Kneipe.
Das Schönste an der Fachsimpelei auf Stammtisch-Niveau ist am Ende, dass jeder seine steilen Thesen raushauen kann, ohne sich am Ende einen Irrtum eingestehen zu müssen. Der bereits vor Anpfiff verspottete „falsche Neuner“ hat mit seinem Hattrick das Spiel heute alleine entschieden, dennoch kann seine Nominierung ein Fehler gewesen sein: „Pah, ein echter Mittelstürmer hätte mindestens viermal zugeschlagen“, heißt es dann. „Der musste ja immer nur den Fuß hinhalten.“ Ergänzt mit dem ewig-dämlichen Satz, bei dem jeder Kreisligastürmer kurz darüber nachdenkt, was wohl aus ihm geworden wäre, wenn er mit 16 Jahren nicht angefangen hätte zu trinken: „Die Dinger hätte ich auch noch selbst reingemacht…“
Bei den TV-Interviews nach dem Spiel, wenn der Pegel in der Kneipe schon merklich gestiegen ist, bekommen sowohl die Field-Reporter für ihre „hirnlosen Fragen“ als auch die Profis für ihre „inhaltsleeren Antworten“ ihr Fett weg. Der Matchwinner wird abschließend noch damit konfrontiert, dass sein Berater mehrfach beim Nobel-Italiener gesichtet wurde. Die pfiffige Frage des Reporters: „Hand aufs Herz: Ging das Essen auf die Rechnung von Inter Mailand?“ Wenn der Spieler dann routiniert ausweicht und betont, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen, grätscht unser Experte Müller wieder dazwischen: „Pah, ein Bekenntnis sieht anders aus! Für 50 Millionen würde ich den Typen noch selbst nach Mailand fahren!“ So wäre immerhin Platz für einen echten Mittelstürmer – wie ihn. Das Phrasenschwein auf dem Tresen hat sich unterdessen bis zum Anschlag gefüllt. Immerhin hat der Wirt damit sein Trinkgeld zusammen, das er sich für die anstrengende Kundschaft redlich verdient hat.