Der Wille zählt |05.05.2018|13:30

Amateur-Alltag: Mehr Spannung geht nicht

Auch im Amateurfußball: Im Abstiegskampf geht's um den Willen - und ums Nervenkostüm.[Foto: FUSSBALL.DE, Imago / Collage: FUSSBALL.DE]

Abstiegskampf gibt es ligaübergreifend. Das ist nichts für schwache Nerven, stets gilt es, kühlen Kopf zu bewahren. Dabei geht es nicht um die höhere Qualität der Spieler, sondern nur um den nötigen Willen zu bestehen, auch im Amateurfußball. Darum geht's auch in der neuesten Folge der FUSSBALL.DE-Kolumne von Joel Grandke.

Fußball-Weisheit #63: „In der Tabelle ist es da unten gerade richtig kuschelig. Wenn es keine Gegner wären, könnten wir uns gegenseitig richtig wärmen.“ Da klimpert‘s kräftig im Phrasenschwein. Diese alte Abstiegskampfs-Analyse von Robin Dutt, damals noch Trainer beim VfB Stuttgart, lässt sich problemlos auf die aktuelle Lage im Tabellenkeller übertragen. Zurzeit bibbern mit dem HSV, Wolfsburg, Freiburg, Mainz und Hannover noch fünf Teams unter ihrer „Kuscheldecke“ vor dem Abstiegsgespenst. Wen erwischt es neben dem 1. FC Köln?

Der Hamburger SV war längst totgesagt und abgeschrieben, doch schwingt sich womöglich entgegen aller Prognosen noch zum kleinen Fußball-Wunder auf. Mit einem Sieg in Frankfurt könnte er sogar an den Wölfen vorbeiziehen und auf seinen wohlbekannten Relegationsplatz springen. Sollten die Wolfsburger hingegen gewinnen, würden Freiburg und Mainz wieder mächtig ins Schwimmen geraten. Gleichzeitig könnte der erste Abstieg des Hamburger Bundesliga-Dinos damit doch Realität werden.

Die heiteren Rechenspiele sind längst eröffnet und zeigen, wie spannend es bis zum letzten Spieltag bleiben wird. Noch enger geht es in der 2. Liga zu, in der der Tabellenzehnte nur vier Punkte Vorsprung auf einen direkten Abstiegsplatz hat.

"Die Erfahrung lehrt: Es steigen nicht zwangsläufig die Mannschaften ab, die die schwächeren Fußballspieler in ihren Reihen haben."

Dramatische Abstiegskämpfe stehen allerdings nicht nur den Profiklubs bevor. In allen Spielklassen der Republik geht es nun in die entscheidenden Partien – nichts für schwache Nerven. Hier gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die meisten Amateurkicker haben in ihrer fußballerischen Karriere schon den ein oder anderen Kampf im Tabellenkeller ausgefochten.

Die Erfahrung lehrt: Es steigen nicht zwangsläufig die Mannschaften ab, die die schwächeren Fußballspieler in ihren Reihen haben. Wenn am Ende der Saison jede Partie einen Endspielcharakter hat, entscheidet vielmehr die Bereitschaft, Gras zu fressen und den Platz bis auf den letzten Zentimeter umzugraben. Da zahle ich auch gern nochmals ins Phrasenschwein: Der Wille kann nun mal Berge versetzen. Wer sich im Abstiegskampf nur auf seine fußballerische Qualität verlässt, könnte am Ende eine böse Überraschung erleben.

Im Profibereich gibt es eine bekannte Reihe von „allerletzten Maßnahmen“, um das sinkende Schiff doch noch auf Kurs zu bekommen. Die Grenze zwischen effektiven Impulsen und reinem Aktionismus verschwimmt hierbei jedoch. Die bekannteste Option stellt sicherlich der Trainerwechsel dar. Nachdem der alte Coach mit jedem Versuch gescheitert ist, die Truppe zurück auf die Siegerstraße zu bringen, bringt ein neuer Mann nochmal frischen Wind an die Seitenlinie. Alles fängt wieder bei Null an.

In der Kreisliga ist die Rekrutierung eines „Feuerwehrmanns“ eher die Seltenheit. Hier halten die Vereine in der Regel an ihren Trainern fest – in guten wie in schlechten Zeiten. Das ist auch gut so. Für den Coach gilt es nun, über seine Ansprachen eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Seine Spieler kicken nicht für das große Geld oder eine steile Karriere. Wer mit dem Club über lange Zeit eng verbunden ist, lässt sich spätestens durch eine emotionale Rede auch vor Augen führen, wie bedeutsam ein Klassenerhalt für den Verein und die gesamte Gemeinde ist. Wer in dieser Situation keine Motivation findet, um ordentlich in die Zweikämpfe zu gehen, sollte dringend die Sportart wechseln.

Ein Mentalcoach, wie ihn Profivereine manchmal aus dem Ärmel zaubern, steht in der Kreisliga nicht zur Verfügung. Die starken Worte des Cheftrainers und das Heißmachen unter den Spielern müssen ausreichen, um mit dem Messer zwischen den Zähnen aufs Feld zu laufen. Mit dem Kampfgeist gegen das Abstiegsgespenst: So dreht man den Spieß um.

Eine weitere Option, um das Team auf die entscheidenden Aufgaben vorzubereiten, sind teambildende Unternehmungen. Profiteams nutzen häufig ein Kurztrainingslager, um sich nochmal abseits vom Trubel auf die „Wochen der Wahrheit“ vorzubereiten. Im Amateurbereich steht zugegebenermaßen keine Journalisten- und Zuschauerschar am Trainingsplatz, die für Ablenkung sorgen würde. Dennoch können ein oder zwei abgeschirmte Tage im Kreise der Mannschaft nochmal dafür sorgen, dass der Alltag ein wenig vergessen und der Ernst der fußballerischen Lage erkannt wird. Freilich kann sich kein Kreisligist mal fix einen teuren Kurztrip mit der gesamten Truppe an die Ostsee leisten. Doch auch die Jugendherberge im benachbarten Landkreis bietet einen holprigen Fußballplatz und vor allem eines: Ruhe. Die größte Herausforderung ist lediglich, auch an den Abenden den Fokus zu behalten, damit aus dem Trainingslager kein Trainingsgelage wird.

Am Ende ist es gleich, in welchen Rahmen die Trainer ihre Teams auf den Saisonendspurt einstellen: Entscheidend ist auf dem Platz. (Das Phrasenschwein bekommt heute ordentlich Futter.) Der bereits angesprochene Abstiegskampf in der 2. Liga mag außergewöhnlich sein, doch der Amateurbereich kann bei dieser Spannung natürlich mithalten.

In der württembergischen Landesliga 4 kann wohl niemand eine seriöse Prognose abgegeben, wen es am Ende erwischt. Den Tabellenletzten auf Platz 17 und den Zehntplatzierten trennen hier ganze 3 (in Worten: drei!) Punkte. Heißt: Der Tabellenletzte kann mit einem Sieg mal kurz ins Tabellenmittelfeld hochschießen. Eine Woche später könnte es freilich wieder in den Keller zurückgehen.  Darüber hinaus ist auch der Achte zurzeit nur drei Punkte vom Relegationsplatz entfernt. Ein Spiel um die berühmte „goldene Ananas“, in der zwei Teams locker gegeneinander aufspielen können, gibt es hier nicht. Jedes Tor auf jedem Platz kann die Tabelle auf links drehen – mehr geht nicht.

Frei nach Robin Dutt lässt sich feststellen: Kuscheliger als in dieser Landesliga kann es kaum noch werden. Stellt sich die Frage, welchem Team es am besten gelingt, den Druck in positive Energie umzumünzen. Egal, ob ein neuer Trainer oder Mental-Coach einbezogen wird, ob ein Trainingslager stattfindet oder nicht – der Klassenerhalt wird am Ende sicher über den Kampf entschieden. Da entsteht die Hitze nicht unter der dutt’schen Kuscheldecke, sondern in den Zweikämpfen auf dem Rasen.

Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.