WM 1974 |22.05.2018|16:45

WM 1974: "Wallis" aufregende Zeit mit Zaire

„Walli, Foto!“: Walburga Krebber betreute während der WM 1974 die Nationalmannschaft aus Zaire.[Foto: Privat / Walburga Krebber]

Die Republik Zaire und seinen grausamen Diktator Mobuto gibt es schon lange nicht mehr. Seit dem Ende seiner Schreckensherrschaft 1997 heißt das zentralafrikanische Land Demokratische Republik Kongo. Aber die Erinnerungen an die erste WM-Teilnahme einer schwarzafrikanischen Mannschaft an einer Fußball-Weltmeisterschaft überhaupt leben im Münsterland weiter. 1974 betreuten Walburga Krebber und ihr Mann Manfred die „Leoparden“ während der WM in Deutschland. Die Vorsitzende des SV Fortuna Seppenrade erinnert sich und ist unsere FUSSBALL.DE – Kultfigur der Woche.

Sportlich gesehen war es ein Desaster. Mit 0:14 Toren und drei Niederlagen im Gepäck trat die Nationalmannschaft von Zaire nach der Vorrunde der WM 1974 die Heimreise an. Dort angekommen, traf sie der Zorn des Diktators. Die für die WM-Qualifikation in Aussicht gestellten Häuser, Autos und Geldleistungen wurden wieder gestrichen. Einige Spieler verschwanden später gar auf mysteriöse Art und Weise.

Und auch der Kontakt nach Seppenrade riss schnell ab. Walburga Krebber bestätigt: „Wir waren noch einige Zeit im Austausch mit dem Attaché des Landes. Aber was aus ihm geworden ist, ist ungewiss. Er soll später in Afrika ermordet worden sein.“ So genau wisse sie das aber nicht. Wie man vieles nicht genau weiß, was auch mit einzelnen Spielern danach passiert ist. Wo sie sich aber ganz sicher ist: Vorher verbrachte das WM-Team aus Zaire mit Walburga Krebbers berühmter Schwarzwälder-Kirschtorte im beschaulichen Münsterland die wohl unbeschwerteste Zeit seiner Geschichte.

Weil Mobutu in der WM-Teilnahme seines Landes die Chance auf Aufwertung für sein Unrechtsregime sah, stattete er die Delegation mit üppigen finanziellen Mitteln aus. „Geld spielte keine Rolle“, erinnert sich Krebber. Untergebracht waren die Spieler im noblen Hotel „Jagdschlösschen“ im nahe gelegenen Ascheberg. Trainiert wurde in Seppenrade. Falls nicht gerade ausgiebig geshoppt wurde. „Die Spieler haben das einzige Elektrofachgeschäft und den Fotoladen des Ortes komplett leer gekauft“, erinnert sich Krebber. Kommuniziert wurde über einen französischsprachigen Dolmetscher.

„Die Spieler haben das einzige Elektrofachgeschäft und den Fotoladen des Ortes komplett leer gekauft.“

Weltmeister im Fotografieren

Besonders für das Fotografieren entwickelten die Spieler eine ungeahnte Leidenschaft. „Walli, Foto!“ wurde damals zum geflügelten Wortspiel. Nicht nur, dass die junge Frau selbst als begehrtes Objekt herhalten musste, sie übernahm auch den Kurierdienst für die „Leoparden“. „Die haben fotografiert wie die Weltmeister“, sagt die 66-Jährige.

Während ihr Ehemann – Schiedsrichterlehrwart im Kreis und Schiedsrichterassistent in der Bundesliga – von seinem Dienst als Ingenieur bei der Kreisverwaltung Lüdinghausen freigestellt war und auch im Hotel übernachtete, fuhr sie jeden Abend nach dem Schuldienst mit den frisch entwickelten Bildern vom Vortag die 20 Kilometer von Seppenrade nach Ascheberg.

Weil das Team seine WM-Spiele in Dortmund und Gelsenkirchen zu absolvieren hatte, suchten die Verantwortlichen einen abgeschiedenen Ort, von dem man beide Spielorte gut erreichen konnte. „Und da wir gerade eine ganz neue Platzanlage bekommen hatten, war Seppenrade als Trainingsort ideal“, weiß Krebber.

Per Helikopter zum Parkstadion

Die Nationalelf aus Zaire war natürlich die Attraktion schlechthin in Seppenrade, dort wo sich sonst Fuchs und Hase gute Nacht sagen. „Auch für uns Spieler vom SV Fortuna Seppenrade war das natürlich ein riesiges Ereignis“, sagt der damalige Mannschaftskapitän der Mannschaft Franz-Josef Löbbert. „Das ersehnte Freundschaftsspiel gegen die Nationalelf wurde zwar vom Verband untersagt, aber wir standen bei deren Training Spalier für die Spieler aus Zaire und schauten uns das Training von der Bande aus an.“ Und die WM-Betreuung hatte positive Nachwirkungen: Nach der WM gastierten der Hamburger SV und der FC Schalke 04 vor über 4.000 Zuschauern in Seppenrade.

Während der WM ging es locker zu. Wie locker, davon zeugt eine Anekdote, über die Krebber herzhaft schmunzelt: Weil die Delegation aus Zaire vor dem Spiel in Gelsenkirchen gegen Jugoslawien die Wimpel für den obligatorischen Austausch im Hotel vergessen hatte, wurde diese kurzerhand von der Polizei per Helikopter zum Parkstadion geflogen. „Fünf Minuten vor dem Anpfiff hat mein Mann sie in Empfang genommen“, lacht Krebber. „So waren sie. Auch im Hotel ging es gut zur Sache.“

Zigaretten und Alkohol waren kein Tabu. „Die Spieler waren einfach froh, dass sie im Westen waren und haben das entsprechend genossen“, bestätigt sie. Professionelle Vorbereitung sah sicherlich anders aus. Als die ersten beiden Spiele gegen Schottland und Jugoslawien 0:2 und 0:9 verloren wurden, stieg allerdings der Druck aus der Heimat. Nach dem 0:3 gegen Brasilien flog die Mannschaft mit 0:14 Toren und null Punkten wieder nach Hause. Lange her, aber die WM-Trikots, die ihr die Spieler beim Abschied geschenkt hatten, hütet Walburga Krebber zu Hause wie einen Schatz. Genauso wie eine Porzellanschale, die ihr der Ersatztorwart geschenkt hatte.

Erste weibliche Vorsitzende

Nach Ablauf seiner Schiedsrichter-Karriere übernahm Manfred Krebber das Amt des 1. Vorsitzenden beim SV Fortuna Seppenrade. Walburga Krebber war viele Jahre für die Geschäftsführung verantwortlich. Nach dem frühen Tod ihres Mannes zog sie sich etwas aus der ersten Linie zurück, blieb dem Vereinsleben aber über die Einsatzplanung für die Kaffeestube weiter erhalten. „Seit 1970 bin ich fast jeden Sonntag auf der Sportanlage“, sagt Krebber. In dieser Zeit hat sie unzählige Kuchen gebacken und so die Vereinskasse aufgemöbelt.

Als vor zweieinhalb Jahren im 1000 Mitglieder zählenden Verein niemand bereit war, für das Präsidentenamt zu kandidieren, sprang Krebber nochmals ein. Seitdem ist sie die erste weibliche Vorsitzende in der langen Klubgeschichte. Die früheren Spieler wie Franz-Josef Löbbert unterstützen sie. „Ich konnte nicht mit ansehen, wie der Verein meines Mannes unter dieser Situation leidet“, erklärt sie.

Solange sich niemand zur Verfügung stellt, will sie vorerst weiter machen. Das halte jung. In dieser Saison gelang die langersehnte Rückkehr in die Kreisliga A. Grund genug, für das eine oder andere Interview. Aber auch das bekommt sie hin. Und mit: „Walli, Foto!“ kennt sie sich ja ohnehin aus.