Für immer treu |01.09.2018|11:00

Vereinslegenden: Kreisliga-"Hall-of-Famer"

Kreisliga-Urgesteine schwören ihrem Klub ewige Treue.[Foto: Getty Images]

Gandhi-Weisheit #14: „Du und ich – wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen.“

Da klimpert’s kräftig im Phrasenschwein. Heute steigen wir mal bewusst mit ganz großen Worten ein, schließlich soll es auch um einen besonderen Schlag von Fußballspielern gehen: die Vereinslegenden. In der vergangenen Woche hat mit Bastian Schweinsteiger einer der berühmtesten Vertreter dieser Art seinen Abschied in der Münchner Allianz-Arena gefeiert.

17 Jahre lang trug er das rot-weiße Trikot – vom Jugendbereich angefangen bis ins hohe Fußballalter, bis er noch mal neue Herausforderungen in England und Übersee suchte. 500 Pflichtspiele bestritt er zuvor für die Münchner, das letzte davon im Mai 2015. Das nachträgliche Abschiedsspiel hatte es dennoch in sich. Und wie konnte es anders sein: Standesgemäß setzte Schweinsteiger mit seinem Treffer in der Endphase den umjubelten Schlusspunkt im Bayern-Dress. Nicht wenige FCB-Fans raunten dabei auf der Tribüne: „Als wäre unser Schweini nie weg gewesen…“ Es folgte eine emotionale Ansprache an die Fans, bei der er sich – sichtlich angefasst – für die Unterstützung bedankte. Verdientermaßen nahmen ihn die Bayern in ihre „Hall of Fame“ auf. Tituliert wird er in der Online-Übersicht der 18 ruhmreichen Mitglieder als „der Fußballgott“.

Schweinis Vereinstreue stellt zweifellos eine Besonderheit im oftmals so abgebrühten Profigeschäft dar. Als hoffnungsloser Fußball-Romantiker wirst du schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wenn der Top-Spieler deines Lieblingsklubs zwei Wochen nach seinem Treuebekenntnis beim Ligakonkurrenten unterschreibt. Frei nach dem Motto: „Und ich dachte, er wäre einer von uns…“ Solche Enttäuschungen sind im Amateurbereich sehr viel seltener. Beim Wort Treue werden hier zumeist noch alle fünf Buchstaben großgeschrieben. So lassen sich in fast jedem Kreisligaklub die „Fußballgötter“ finden, denen nach dem Karriereende eigentlich ein Denkmal gebaut werden müsste. Und über die stattlichen 17 Jahre Vereinszugehörigkeit, die Sportsfreund Schweinsteiger auf dem Buckel hat, können viele von ihnen nur müde lächeln. Hier zählt man der Einfachheit halber in Jahrzehnten – und braucht dafür nicht nur einen Finger.

Karrierestart bei den Bambini

„Solange du deine Füße unter unseren Tisch stellst, bist du Rot-Weißer!“

Der sportliche Lebenslauf der Kreisliga-Urgesteine passt meist auf eine Briefmarke, da er meist nur einen einzigen Verein umfasst. Der Reihe nach: Seine Eltern, die dem Verein natürlich auch schon ewig die Treue halten, wollen ihn direkt in die Bambini-Truppe stecken, als er seinen kleinen Stoffball erstmals nicht vollsabbert, sondern (wohl eher zufällig) durch das Kinderzimmer tritt. Schon brüllt der Vater aufgeregt durch die Wohnung: „Schatz, das war ein astreiner Spannschuss! Der Junge ist soweit!“ Nun gut, im Lebensalter von knapp einem Jahr hat der Verein dann doch seine berechtigten Einwände, aber mit dreieinhalb Jahren ist es endlich fix: Der Junge wird offizielles Bambini-Mitglied bei Rot-Weiß Meppen. Während seiner gesamten Jugend-Laufbahn unterstützen ihn seine Eltern an der Seitenlinie. Ihr Banner mit der altersgemäßen Aufschrift „Lego-Technik ist kein Verbrechen!“ wird mal einen Ehrenplatz im noch nicht existenten Vereinsmuseum einnehmen. Ein Wechsel kommt für ihren Jungen nie in Frage, stets nach der Marschroute: „Solange du deine Füße unter unseren Tisch stellst, bist du Rot-Weißer!“

Doch auch nach dem Übergang in den Seniorenbereich und dem Auszug aus den elterlichen vier Wänden wird es nie die Befürchtung geben, dass dieser Junge jemals in anderen Farben auflaufen könnte. Die rot-weiße DNA hat er quasi mit der Muttermilch aufgesogen, sodass er auch im Herrenteam schnell zum Führungsspieler aufsteigt. Sein Talent fällt auch höherklassigen Vereinen der Region auf, die mit Tankgutscheinen und Punkteprämien um ihn buhlen – aber nichts da. Die erste Kreisklasse reicht ihm locker zur fußballerischen Erfüllung. Und unterfordert ist er bei Weitem nicht, schließlich muss er bei seinen unterdurchschnittlich austrainierten Mitspielern häufig für drei Leute rennen.

Solange es die Knochen hergeben, gibt er für den Verein alles auf und neben dem Platz. Er erlebt mit seinem Verein alle Höhen und Tiefen – von mehreren Auf- und Abstiegen bis hin zu Pokal-Sensationen. Natürlich schreibt der langjährige Kapitän dabei auch Geschichte: Beim ersten und bisher einzigen Kreispokalsieg der Rot-Weißen köpft er sein Team in der Nachspielzeit zum Titel. In der Halbzeit zuvor (Spielstand 0:2) fällt er seinem Trainer – so lautet zumindest die Legende – nach dem ersten Satz ins Wort, um den Rest der Pause eine flammende Rede im Mel-Gibson-Braveheart-Sprech zu halten. In der folgenden Saison übernimmt er schließlich den Job als Spielertrainer. Nach dem Pokalsieg löst er darüber hinaus sein Versprechen ein, indem er sich das Vereinsemblem auf die Schulter tätowieren lässt.

Kiste Bier statt Abschiedsspiel

Der große Aufwand stört ihn nicht – ganz im Gegenteil. Ab seinem 30. Lebensjahr kickt er nebenher auch noch für die Altherren-Mannschaft. Zum Ende seiner aktiven Fußballerkarriere gibt es kein großes Abschiedsspiel vor 75.000 Zuschauern, dafür ist man in der Kreisliga viel zu bodenständig unterwegs. Stattdessen gibt das Urgestein einfach eine Kiste Bier aus – fertig. Seine Nummer wird nicht „nie wieder vergeben“, aber er hat sie immerhin an seinen Sohnemann weitergegeben, der in der Herrenmannschaft längst in seine Fußstapfen getreten ist. Auf den großen Abschied verzichtet er allein deshalb, weil er ja ohnehin weiter jedes Wochenende am Sportplatz stehen wird, um anzufeuern und zu pöbeln.

Während er mit seinen Mitspielern aus alten Zeiten also bei Bratwurst und Bier der neuen Generation zuschaut, wird er von Jugendspielern meist ehrfürchtig beäugt. Hinter vorgehaltener Hand diskutieren sie über den Mythos, der besagt, dass ihm mal drei Fallrückzieher-Tore in einem Spiel gelungen sein sollen. In diesem Spiel sei er eigentlich früh mit einer Roten Karte vom Platz geflogen. In der Kabine habe er sich aber kurzerhand Haare und Bart abrasiert, um sich danach mit falscher Identität und Rückennummer wieder einzuwechseln. Er selbst äußert sich nicht zum Wahrheitsgehalt dieser Story.

Es mag zwar keine offizielle Hall-of-Fame bei unserem Meppener Amateurklub geben, aber allein für ihn müsste diese Ruhmeshalle errichtet werden. Sein Titel ist Ehrensache: „der rot-weiße Fußballgott“. Und falls jemand ein schlechtes Wort über ihn verlieren sollte, beleidigt er den ganzen Verein gleich mit. Ein Phänomen, das nicht nur Ghandi kannte.


Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.