Es geht bergauf |31.12.2021|11:00

HSV-Frauenfußball: Jugendarbeit trägt Früchte

Leisten hervorragende Arbeit im Frauen-Bereich des HSV: Catharina Schmipf (2.v.r) und Co.[Foto: Karsten Schulz]

Spätestens der 11:1-Derbysieg gegen den Stadtrivalen FC St. Pauli zeigte es endgültig auf: Die HSV-Frauen sind in Hamburg wieder "in". Die erste Mannschaft führt momentan die Tabelle der Regionalliga Nord an. Die Zweite steht in der Oberliga Hamburg ebenfalls auf Platz eins. Und auch die Jugendteams mischen munter in den höchsten Ligen mit. Frauenfußball-Koordinatorin Catharina Schimpf erläutert im Gespräch mit FUSSBALL.DE die Hintergründe des Erfolgs.

Derby-Siege sind die schönsten Siege. An den 12.12. werden alle Fans der Frauen-Regionalligamannschaft des Hamburger SV auch noch in einigen Jahren gerne zurückdenken. Denn an diesem Tag zeigten die HSV-Spielerinnen dem FC St. Pauli deutlich ihre Grenzen auf und gewannen klar 11:1. Das einseitige Match war aber auch ein klarer Hinweis darauf, dass mit dem Damenteam des neuntgrößten Fußballvereins Deutschlands wieder zu rechnen ist. Auch in der Liga sind die Unterschiede zwischen den beiden Hamburger Klubs klar zu erkennen. Während der HSV mit 34 Punkten auf Platz eins der Regionalliga steht, zittert St. Pauli mit sieben Zählern am Tabellenende um den Klassenerhalt.

Einen großen Anteil an der positiven Entwicklung hat Catharina Schimpf. Die 30-Jährige ist seit Juli Frauenfußball-Koordinatorin. Vorher war sie dort bereits als Jugendkoordinatorin und U 15-Trainerin tätig. Für die frühere HSV-Spielerin ist der Erfolg der Regionalliga-Mannschaft auch ein Ergebnis der vorbildlichen Jugendarbeit im gesamten Verein. "Wir haben sehr viele junge Spielerinnen in unserer Mannschaft. In den letzten Jahren mussten sich die Talente noch ein wenig an das Niveau im Erwachsenenbereich gewöhnen. Aber in dieser Saison rufen sie bislang wirklich konstant gute Leistungen ab", erklärt sie.

Neue Gesichter auf den Trainerbänken

"Wir achten sehr darauf, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen und die Entwicklungsschritte gemeinsam gehen"

Kurz nach ihrem Amtsantritt setzte der HSV zunächst auf Veränderungen im Trainerbereich. Lewe Timm folgte auf Manuel Alpers. Erfolge feierte Timm zuvor vornehmlich mit der Herrenmannschaft des SC Nienstedten , die er von der Kreis- in die Landesliga führte. Beim FC Altona 93 förderte er einst als Jugendkoordinator Stars wie Jonathan Tah und Eric Maxim Choupo-Moting. Der Damenfußball ist aber für den 45-Jährigen kein neues Feld. Etwas weniger beachtet von der Öffentlichkeit, baute er gemeinsam mit seiner Frau beim SC Nienstedten eine Frauen- und Mädchenabteilung auf. "Mit dem Wechsel auf der Trainerposition haben wir einen neuen Reiz gesetzt. Lewe Timm ist in seiner Art und Weise sehr empathisch, was für die Entwicklung unserer Mädels sehr wichtig ist", lobt Schimpf den neuen Mann an der Seitenlinie.

Assistiert wird er von Marwin Bolz, der früher mit Eintracht Braunschweig in der U 17-Bundesliga auflief und mit 23 seinen Jahren noch am Anfang der Trainerkarriere steht. Bislang arbeitete er u.a. als Assistenztrainer der U 14-Juniorinnen sowie der U 16-Junioren des Hamburger Fußball-Verbandes . "Beide konnten schon Erfahrung im Frauen-Auswahlbereich sammeln und stehen für einen modernen Ansatz", so Schimpf. Auch für die zweite Mannschaft machte sich ein Trainerwechsel mit Blick auf die Entwicklung und die Ergebnisse bezahlt. Dominik Jordan, der in diversen HSV-Nachwuchsteams aktiv war und aktuell für die dritte HSV-Mannschaft in der Oberliga spielt, führte den Unterbau auf Platz eins der Oberliga-Hamburg. Und auch die U 17 steht dem in nichts nach und belegt aktuell den dritten Platz der B-Juniorinnen-Bundeslig Nord/Nordost . Im Vergleich zur Konkurrenz hat die Elf von Trainer Niels Quante sogar ein Spiel weniger absolviert. Mit einem Sieg im Nachholspiel gegen den FC Carl Zeiss Jena winkt die Tabellenführung.

Schimpf: "Spielerinnen sammeln durch Nationalteams wertvolle Erfahrungen"

Das große Faustpfand der Mannschaften ist der Zusammenhalt und das übergreifende Arbeiten. Innerhalb der Teams gibt es keinen Missgunst oder Neid. "Wir achten sehr darauf, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen und die Entwicklungsschritte gemeinsam gehen", erläutert Schimpf. Zudem identifizieren sich die Spielerinnen in hohem Maße mit der Elbregion. "Unsere Leistungsträgerinnen haben ein großes Interesse, in Hamburg zu bleiben und mit dem Verein die nächste Stufe zu nehmen." Einige Spielerinnen konnten bereits überregional auf sich aufmerksam machen. Wie zum Beispiel die U 17-Leistungsträgerinnen Melina Wahlheim, Emily Wallrabenstein oder Lisa Baum. Die Nachwuchstalente kommen aus dem Großraum Hamburg und feierten im November ihr gemeinsames Debüt in der U 16-Nationalmannschaft (2:1 in Dänemark). Im Regionalliga-Team machen unter anderem Larissa Mühlhaus (18 Jahre, sechs Tore in acht Regionalliga-Partien), Mittelfeldstrategin Emilia Hirche (18 Jahre, zehn Tore) und Sophie Nachtigall (17 Jahre, neun Tore/Jugendspielerin des Jahres 2021 im Hamburger Fußball-Verband) auf sich aufmerksam.Die Nationalmannschaft dürfte über kurz oder lang von der rasanten Entwicklung profitieren. Kleiner Wehrmutstropfen: In der Regionalliga nimmt der Spielplan keine Rücksicht auf DFB-Lehrgänge. Daher müssen immer wieder auch an Spieltagen Nationalspielerinnen abgestellt werden. In der 2. Frauen-Bundesliga wäre das anders. Schimpf sieht aber den positiven Aspekt: "Unsere jungen Spielerinnen sammeln durch die Einladungen zu den Nationalteams wertvolle Erfahrungen. Eventuell müssen wir im Aufstiegsfall aufgrund der Belastung den einen oder anderen Kaderplatz mehr einplanen."

Solche Luxusproblemen hätte man an der Elbe lange Zeit gerne gehabt. Über Jahre hinweg schien der Frauenfußball in Hamburg am Boden. Vor einem knappen Jahrzehnt beschloss der Klub unter der Führung von Carl-Edgar Jarchow, die Investitionen runterzufahren. Der Verein zog die erste Mannschaft aus der Bundesliga zurück und spielte fortan in der Regionalliga weiter. Auch die zweite Mannschaft wurde von der 2. Bundesliga in die Regionalliga Nord runter gestuft. Als logische Folge fielen beide Teams immer tiefer. Das frühere Bundesliga-Team stieg bis in die Oberliga ab. Die Zweite landete zwischenzeitlich in der Bezirksliga. Schimpf war damals Bundesliga-Spielerin und erlebte es mit. Aus der U 17-Bundesligamannschaft, die als einziges Team bestehen blieb, rückten Talente nach oben. Zu wenige, um dauerhaft leistungsorientierten Sport anzubieten.

"Horst Hrubesch ist für mich ein Mentor und Ratgeber"

Allerdings arbeitete der HSV fleißig weiter. Hinzu kam der Vorteil, dass viele Talente nach dem Abstieg in die Oberliga dem Klub erhalten blieben, anstatt das sinkende Schiff zu verlassen. "So richtig brach lag der Frauenfußball beim HSV eigentlich nie. Der Spielbetrieb wurde aufrechterhalten, nur eben nicht in den obersten Ligen", sagt Schimpf. Die U 17 spielte aber weiterhin auf hohem Niveau in der Jugend-Bundesliga und blieb das große Zugpferd. "Der aktuelle Erfolg zieht sich auch aus den letzten Jahren. Wir haben viele große Talente aus Hamburg und Schleswig-Holstein beim HSV."

Von der guten Jugendarbeit profitiert der HSV bis heute. Eine wesentliche Rolle spielt Horst Hrubesch. Die Vereinslegende verantwortet das Nachwuchsleistungszentrum. "Horst ist für mich ein Mentor und Ratgeber. Wir nutzen die Kraft und Synergien des NLZ im Frauen-Bereich mittlerweile viel stärker", so Schimpf. So haben die Spielerinnen eine verbesserte medizinische Betreuung durch Athletiktrainer*innen und Physiotherapeut*innen. Zudem werden vorhandene Strukturen genutzt, wie zum Beispiel die Schulkooperationen, der Fahrdienst sowie Spezialisten wie die Sportpsycholog*innen des NLZ. Und auch Sportvorstand Jonas Boldt und Präsident Marcell Jansen sind stets eingebunden und schauen sich die Spiele der HSV-Frauen an.

Mit voller Kraft in Richtung Aufstieg

Ein größerer Umbau scheint auch im Falle eines Aufstiegs in die 2. Frauen-Bundesliga nicht nötig zu sein. Im DFB-Pokal bewies die Elf von Trainer Lewe Timm, dass sie es schon jetzt mit höherklassigen Teams aufnehmen kann. In Runde zwei besiegte die HSV-Elf den Zweitligisten FSV Gütersloh mit 4:3 im Elfmeterschießen . Gegen den Bundesligisten SGS Essen verlor die Elf nur knapp mit 0:1 . Gleichzeitig bekam die Mannschaft aber auch aufgezeigt, woran es momentan noch fehlt. "In den beiden Spielen hat man gesehen, dass der Kader auf jeden Fall das Potenzial für die 2. Bundesliga hat. Wir müssen uns aber im athletischen Bereich noch verbessern", blickt Schimpf nach vorne. Das Trainingspensum ist bereits mit einem Zweitligisten zu vergleichen: "Wir trainieren aktuell viermal in der Woche. Jede Spielerin hat zusätzlich ihren individuellen Plan."

Potenzial für die Bundesliga-Rückkehr ist also vorhanden. In der Regionalliga Nord strebt der HSV in dieser Saison zunächst die Aufstiegsspiele an: "Wir arbeiten hart daran, es in dieser Spielzeit zu schaffen. Aber wir haben noch viele Spiele vor uns." Bereits vor zwei Jahren wäre es möglich gewesen, doch aufgrund der Corona-Situation wurde die Spielzeit abgebrochen. Und wenn nicht? "Dann nehmen wir in der kommenden Spielzeit einen neuen Anlauf." Den Weg mit jungen Talenten will der HSV auch in Zukunft beibehalten. Schimpf ist vor der Zukunft nicht bange: "Natürlich haben wir auch erfahrene Spielerinnen im Kader, die sehr wichtig für uns sind und uns an der ein oder anderen Stelle verstärken. Aber an unserer grundsätzlichen Ausrichtung werden wir nichts ändern."