WM-Torschütze |30.11.2022|21:30

Wie sich der TuS Ricklingen mit "Fülle" freut

Manfred Kling: "Wir sind natürlich unbändig stolz auf Niclas."[Foto: 2022 Getty Images]

Der Opa ist als "Helfer für alles" fast jeden Tag auf dem Vereinsgelände am Meisenwinkel anzutreffen, der Vater hat bis vor kurzem noch eine Jugendmannschaft dort trainiert und die Schwester auch. Der jüngere Bruder Mika hat hier im Nachwuchs gekickt. Beim TuS Ricklingen "füllkrugt" es – und zwar nicht erst, seit die WM in Katar läuft.

In dem Stadtteilverein in Hannover hat der neue deutsche Fußballheld das Kicken gelernt: Niclas Füllkrug, mit seinem Treffer zum 1:1 am Sonntag gegen Spanien zum großen Hoffnungsträger der DFB-Auswahl für das Gruppenfinale am Donnerstag (20 Uhr) im Stadion al-Bayt gegen Costa Rica aufgestiegen.

"Wir sind natürlich unbändig stolz auf Niclas", gibt Manfred Kling zu. "Seine Entwicklung ist immer ein großes Thema bei uns. Natürlich hängt auch ein Trikot von ihm bei uns im Vereinsheim." Er ist der erste Vorsitzende des TuS Ricklingen, wo vor mehr als 20 Jahren die Karriere eines angriffslustigen Jungen aus einer echten Fußballerfamilie begann.

162 Tore in einer Saison

"Er ist die Waffe, die man einsetzt, wenn man unterzugehen droht"

Schon Opa Gerd stürmt für den bereits 1896 gegründeten Klub, später schafft er es mit Arminia Hannover in die Zweite Liga. Papa Andreas, "Ata" genannt, und früher ebenfalls beim TuS Ricklingen am Ball, nimmt seinen Sohn "Nici" mit zum Sportplatz, als der gerade vier Jahre jung ist. In der F-Jugend schießt er 162 Tore in einer Saison. "Sein Talent war offenkundig", weiß "Manne" Kling. "Er hat seine Mannschaft oft im Alleingang zum Sieg geschossen."

Vier Jahre später kommt seine Schwester Anna-Lena auf die Welt. Auch sie hat Fußball im Blut. "Niclas war mein Vorbild und hat mich animiert, Fußball zu spielen", erzählte die heute 25-Jährige in einem früheren Interview mit FUSSBALL.DE . "Meine Eltern haben mich auch immer wieder mal andere Sportarten ausprobieren lassen, aber für mich gab es nur Fußball. Das hat sich bis heute nicht verändert." Zu ihrem Bruder habe die Studentin (Grundschullehramt für die Fächer Sport und Mathe in Hildesheim) "ein gutes Verhältnis, wir tauschen uns regelmäßig aus, telefonieren viel. Und wenn es seine Zeit zulässt, ist er in Hannover und schaut sich meine Spiele an, oder wir besuchen ihn in Bremen".

Bei seiner auffälligen Torquote scheint es verwunderlich, dass Niclas Füllkrug seinem Heimatverein lange treu bleibt und nicht schon ganz früh zu einem größeren Klub wie zum Beispiel Hannover 96 wechselt. Acht Jahre spielt er beim TuS Ricklingen, danach noch eine Saison bei den benachbarten Sportfreunde Ricklingen, ehe er mit 13 zu Werder Bremen wechselt und ins Fußballinternat der Bundesligisten zieht. "Wenn ein Talent aus unserem Verein den Sprung schafft, dann freuen wir uns natürlich sehr", sagt Manfred Kling, betont aber: "Als Breitensportverein legen wir allerdings den Fokus auf ein vielfältiges Sportangebot. Wir sind uns der sozialen Verantwortung in der Gesellschaft bewusst."

Später Karriereschub

Niclas Füllkrugs Karriere verläuft allerdings auch, nachdem er seine Heimat verlässt, nicht unbedingt gradlinig. Obwohl er 2012 sein Debüt in der höchsten deutschen Spielklasse feiert, muss er noch einmal den Umweg über die zweite Liga und die Stationen Greuther Fürth, 1. FC Nürnberg und Hannover 96 nehmen. Auch mit seiner Rückkehr 2019 nach Bremen deutet sich sein kometenhafter Aufstieg, den er in den letzten Monaten erlebt hat, zunächst nicht an.

Vor einem Jahr noch nach kritischen Äußerungen beim damaligen Zweitligisten Werder kurzzeitig suspendiert, kann sich Fußball-Deutschland nun eine DFB-Elf ohne "Lücke" im Angriffszentrum kaum noch vorstellen. "Das hat er sich durch seine Leistungen verdient", meint Manfred Kling. "Dass ihn Bundestrainer Hansi Flick für die WM nominiert hat, war aus meiner Sicht absolut berechtigt. In den Jahren zuvor hatte er leider oft mit langwierigen Verletzungen zu kämpfen, sonst wäre er vielleicht schon eher ins Nationalteam berufen worden."

"Joker" statt Startelf

Die gefühlt über 80 Millionen Bundestrainer wollen nun den nicht nur wegen seiner charakteristischen Zahnlücke auffälligen Knipser in der Anfangsformation im Alles-oder-nichts-Match gegen Costa Rica sehen. Nicht so der erste Vorsitzende in seinem Heimatverein. "Ich würde ihn nicht von Beginn an bringen, sondern, wie gegen Spanien, später in die Partie werfen", empfiehlt Manfred Kling. Warum denn nur? "Er ist die Waffe, die man einsetzt, wenn man unterzugehen droht", sagt „Manne“ etwas pathetisch.

Im Vereinsheim am Meisenwinkel wird das Spiel am Donnerstag natürlich gemeinsam geschaut. Alle Ricklinger, und nicht nur die, feuern dann „Fülle“ und die deutsche Nationalelf vor dem Fernseher an. "Ich erwarte einen überzeugenden Sieg", sagt Manfred Kling. "3:0 oder 4:0. Leroy Sané, Ilkay Gündogan und dann ein- oder zweimal Niclas."

Wenn das Turnier in Katar vorbei ist, und für Deutschland hoffentlich nicht zu früh, warten sie in Ricklingen schon auf den WM-Star aus ihren Reihen. Ob es einen großen Empfang geben wird, wissen sie beim TuS allerdings noch nicht – Niclas Füllkrug wäre das wohl auch gar nicht recht. "So ein Hype ist manchmal komisch", wirft Manfred Kling ein, denn ‚Nici“ sei zwar jetzt in aller Munde, aber: "Ich kenn ihn als bodenständigen, normalen Menschen, der regelmäßig zu Hause bei seiner Familie ist und dann auch bei uns vorbeischaut."

Weihnachten steht vor der Tür – und dann ist Niclas Füllkrug mit Sicherheit bei seiner Familie in Hannover. Mal sehen, wie viele Tore für Deutschland er dann als Geschenk im Gepäck hat – oder sogar einen goldenen Pokal.