Derbytime|14.04.2018|15:00

Amateur-Alltag: Emotionale Derby-Sticheleien

Eine Frage der Ehre: Derbys gibt es zuhauf auch in den unteren Klassen.[Foto: imago sportfotodienst]

Am Sonntag steigt das Revierderby zwischen dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund (ab 15.30 Uhr, live bei Sky). Für Spieler, Klubverantwortliche und Fans ist das Duell nicht nur ein normales Fußballspiel. Nein, hier geht es um mehr: Ehre, Würde, Vormachtstellung. Im Profifußball gibt es die Derbys mindestens zweimal im Jahr, bei den Amateuren ein vielfaches häufiger - hier die neueste Folge der FUSSBALL.DE-Amateurkolumne Amateur-Alltag von Joel Grandke.

Fußball-Weisheit #44: Wer im Derby nicht geil auf dem Platz ist, hat in der Mannschaft nichts zu suchen. Ich bin immer geil auf Fußball.“ Da klimpert‘s kräftig im Phrasenschwein. Lewis Holtby weiß als ehemaliger Spieler vom VfL Bochum und FC Schalke 04 um die Bedeutung der Derbys gegen den BVB. Mittlerweile spielt Holtby bekanntermaßen beim HSV, allerdings hat seine Marschroute für das morgige Revierderby zwischen Schalke und Dortmund nichts an Aktualität verloren. Beide Teams trennen im Kampf um die Champions-League-Plätze nur zwei Punkte in der Tabelle. Nach der historischen Aufholjagd der Schalker beim 4:4 im Hinspiel sind die Borussen zudem besonders motiviert und auf Wiedergutmachung aus.

Zwischen den Vereinsverantwortlichen, Spielern und Fans wird im Zuge der traditionellen Rivalität an vielen Fronten gestichelt. Bissige Kommentare der sportlichen Leitung gehören genauso zum Programm wie angriffslustige Fan-Aktionen. Wir erinnern uns wohl alle an das Verschwinden eines riesigen BVB-Banners, den Schalker Fans bei einem späteren Heimspiel stolz als Trophäe im eigenen Fanblock ausbreiteten – musikalisch untermalt mit einem „Keine Fahne, keine Punkte – BVB!“-Schmähgesang. Auf der anderen Seite ist die Schalker Meister-Durststrecke immer wieder eine Einladung für die Borussen, um zum verbalen Gegenschlag auszuholen. Das Duell im Ruhrpott wird wohl verdientermaßen als „Mutter aller Derbys“ bezeichnet.

Anfahrt mit kuriosen Hindernissen

"Ich habe den Verein sowas von satt"

Dennoch: Emotionsgeladene Derby-Stimmung gibt es nicht nur auf der großen Profi-Bühne. Im Gegenteil: Im Amateurbereich können sich beide Parteien ihre dummen Sprüche manchmal sogar von Ortsschild zu Ortsschild zurufen. Rivalitäten werden auch in der Kreisliga kreativ ausgelebt. Ein Beispiel stammt aus dem ländlichen Raum. Dort wurde vor einem Derby zwischen zwei Nachbardörfern bereits vor Anpfiff auf psychologische Kriegsführung gesetzt. Die Gäste hatten eigentlich eine Anfahrt von unter zehn Minuten, doch unternahmen eine gefühlte Weltreise. Kurz vor dem Ortseingang trieb ein Landwirt „zufälligerweise“ gerade seine komplette Kuhherde von einer Weide auf die andere, sodass die Tiere die komplette Landstraße versperrten. Die Gastmannschaft musste folglich einen gehörigen Umweg nehmen, an dessen Ende sie wiederum mit langen Gesichtern dastanden. Ein großer Traktor samt überdimensionalem Anhänger stand hier quer auf der Straße. „Sorry, Jungs. Ich habe mich gerade voll im Grünstreifen festgefahren“, entschuldigte sich der Fahrer mit einem verschmitzten Grinsen. Genervt nahm das Auswärtsteam einen buckeligen Feldweg, um zum Sportplatz zu kommen. Aufgrund der deutlichen Verspätung mussten das Warmmachen und die Traineransprache extrem verkürzt werden, was natürlich ein erster Nachteil ist. Übrigens: Die beiden besagten Landwirte standen pünktlich zum Anpfiff feixend an der Bier-Bude.

Originelle Sticheleien können aber auch schon Tage vor der Partie stattfinden. So gelang einem Kreisligisten ein nicht für möglich gehaltener Coup, der heutzutage wohl in die Kategorie „Fake-News“ fallen dürfte. Das lokale Anzeigenblatt kündigte in der Woche vor dem Derby an, dass der Trainer des Gastes mit sofortiger Wirkung sein Amt niederlegen würde. In dem Artikel wurde er unter anderem mit folgenden Worten zitiert: „Ich habe den Verein sowas von satt.“ Stattdessen würde er nun Jugendtrainer bei – ihr ahnt es – dem eigentlich doch so verhassten Nachbarclub werden. Auf einem Foto war der Coach bereits im Trainingsanzug seines neuen Klubs zu sehen. Ein Skandal aus heiterem Himmel, da niemand in seinem „alten“ Verein davon etwas wusste. Die Aufklärung ließ allerdings nicht lange auf sich warten: Der Artikel war natürlich eine Ente – allerdings eine sehr gute. Ein Fan des gastgebenden Teams hat den Artikel seriös formuliert, ein täuschend echt bearbeitetes Photoshop-Bild angehängt und an die Zeitung geschickt. Der Zufall wollte es so, dass der Artikel einem Redaktionspraktikanten in die Hände fiel, der diese Knaller-Meldung ohne weitere Recherche kurz vor Feierabend noch auf die Seite hievte. Fertig war der durchaus amüsante Skandal mit „alternativen Fakten“, der tags darauf eine unehrenhafte Entlassung des Praktikanten zur Folge hatte.

Auto-Korso nach gegnerischem Abstieg

Entsprechende Rivalitäten bringen auch Würze in eine Begegnung, die für eins der Teams – zumindest mit Blick auf die Tabelle – eigentlich keine Bedeutung mehr hat. Wenn eine Mannschaft am letzten Spieltag im Prinzip nur noch um die goldene Ananas spielt, aber der Gegner im Derby noch gegen den Abstieg kämpft, kann das eine besondere Motivationsspritze sein. Auch schon erlebt: Bei genannter Konstellation gab es einen 90-minütigen Fight, der nach dramatischem Finish schließlich den Abstieg für die Gastmannschaft besiegelte. Im Sport werden schlechte Verlierer häufig an den Pranger gestellt, in diesem Fall musste man aber von schlechten Gewinnern sprechen. Diese blieben trotz ihres Sieges im Niemandsland der Abschlusstabelle stecken, aber feierten den Abstieg der Gäste größer als eine eigene Meisterschaft. Nach dem die bedröppelten Gäste mit hängenden Köpfen nach Hause fuhren, folgte ihnen kurze Zeit später ein Auto-Korso der Heimmannschaft, der ihren Abstieg lautstark hupend in den dortigen Straßen zelebrierte. Sicher nicht die feine englische Art, aber Geschichten, die im Zuge einer langen Rivalität durchaus vorkommen. Im Gegenzug klaute die Gastmannschaft am nächsten Tag die große Vereinsflagge der Gegner aus deren Vereinsheim. Ein Landwirt verschönerte mit dieser verkehrtherum aufgehängten Fahne schließlich sein großes Gülle-Silo.

Große Emotionen gibt es bei Derbys folglich nicht nur auf dem Platz. Das gesamte Umfeld ist weit im Voraus elektrisiert und stilisiert die Begegnungen nicht selten als eine Frage der Ehre. Das gilt im Amateurbereich genauso wie bei den Profis. Während Schalke und Dortmund morgen also die „Mutter aller Derbys“ austragen, finden überall in der Republik an jedem Wochenende die „Derbys der jüngeren Generationen“ statt. Ohne die nationale Strahlkraft, dafür mit genauso viel Emotionen bei den Betroffenen. Und solange den unschuldigen Kühen auf der Straße nichts passiert und dem Praktikanten keine große Karriere im Journalismus verwehrt bleibt, sorgen die Derby-Sticheleien ja vor allem für große Unterhaltung. Nur nicht vergessen: Wer austeilt, muss auch einstecken können.

Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.